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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

No. 44.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.



Die Geheimräthin.

Novelle von Hieronymus Lorm.
1.

Die Stadt hat sich außerordentlich verändert, dachte Herr von Perser, als er in einer Droschke, die er nach seiner Ankunft am Bahnhofe bestiegen hatte, durch ihm fremde, neu errichtete Straßen fuhr. Im Wagen hatte der Reisende einen leicht tragbaren Handkoffer auf dem Sitz gegenüber, und auf den Knieen einen Plaid, den er beim Frost eines früh dämmernden Herbstnachmittags um so fester an sich zog, je weniger dicht sein Oberkleid erschien.

Fünfundzwanzig Jahre! fuhr er in seinen Gedanken fort, die silberne Hochzeit meiner ersten Trennung von dieser alten geliebten Stadt oder meiner ersten Begegnung mit dem schrecklichen Paris. Nie wieder dahin! Das ist eine Zeit, daß nicht bloß die Weltgeschichte, daß auch gewöhnliche Bauleute schon etwas aufführen können. Ich hoffe aber, sie haben mir das alte Gebäude unangetastet stehen lassen; es hat immer so fest und stattlich ausgesehen, wie für Jahrhunderte gebaut.

Die Droschke bog jetzt in Straßen ein, deren er sich wohl zu erinnern vermochte; ja er wollte sogar hier und da einen Laden wiedererkennen, wie er ihn in seiner Jugend gesehen hatte. Dies überkam ihn wohlthuend wie eine Illusion, als ob noch vieles Andere unverändert geblieben sein müßte, unbeschadet freilich des Hinschwindens seiner eigenen Jünglingstage. Unveränderlichkeit ist oft ein so großes Uebel, Menschen und Dingen gegenüber, die man um jeden Preis anders haben möchte; wenn aber die Unveränderlichkeit an sonst gleichgültigen und nur lange nicht gesehenen Gegenständen hervortritt, dann schöpft man die Hoffnung, auch was schon längst verloren gegeben ist, müsse sich plötzlich wiederfinden lassen.

Er hielt vor dem alten Gebäude still, welches das Ziel seiner Fahrt war. Da er nicht sogleich abstieg, trat der Kutscher an den Wagenschlag. Herr von Perser zog, noch immer sitzen bleibend, sein Geldtäschchen und reichte absichtlich ein Zehnmarkstück hin in der Voraussetzung, daß der Kutscher nicht werde wechseln können. Das war richtig und Herr von Perser sagte:

„Rufen Sie ’mal den Hausmann hier; es ist ja sonst nichts in der Straße, kein Verkaufsladen."

In der That, die große breite Straße war den ganzen Tag über wie ausgestorben, und auf jener Strecke, zu der das alte Gebäude gehörte, befand sich nicht einmal ein Gassengeschäft. Man hätte glauben können, in diesen Häusern müßten lauter vom Schicksal vergessene Menschen wohnen, weil es rings umher stets so still war und das Schicksal doch immer die Gestalt vielbewegter Menschen und vielbeweglicher Sachen annimmt. Die Stimme Herrn von Perser’s war wegen dieser Stille auch viel vernehmbarer, als er beabsichtigte.

„Ach nee!" schallte eine Frauenstimme zurück, „was geht denn das uns an?"

Die Stimme gehörte der Hausmannsfrau selbst, die unbemerkt im Schatten der Einfahrt


Bernhard v. Langenbeck.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 725. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_725.jpg&oldid=- (Version vom 5.11.2023)