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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Hieroglyphen in den nahegelegenen Steinbrüchen selbst bekunden die Bedeutung dieses Arbeiterdorfes. Ueber nahezu zwei geographische Geviertmeilen der östlich vom Katarakt belegenen Wüste erstrecken sich die Steinbrüche, in denen man jene mächtigen Werkstücke löste, welche, als riesige Rund- und Spitzsäulen, Gesimse und Träger der Tempel uns mit staunender Bewunderung erfüllen, mit denen man die Grabkammern der Pyramiden überdeckte, weil man ihnen vertrauen durfte, sie würden die über ihnen aufgethürmten ungeheuren Lasten tragen.

„Ueberall,“ sagt mein gelehrter Freund Dümichen, „sehen wir hier, wie Menschenhände gearbeitet, theils, um das werthvolle Gestein von der Felswand zu lösen, theils, um durch bildliche Darstellungen und Inschriften dieses oder jenes Geschehniß zu verewigen; überall ist hier der Stein zu einem Denkmale der Erinnerung umgewandelt, und zahlreiche Inschriften, nicht selten gerade an den höchsten Spitzen der Berge angebracht, Weihinschriften zu Ehren der göttlichen Dreiheit des ersten oberägyptischen Gaues, des Kataraktengottes Chnum-Ra und seiner beiden Genossinnen Sati und Anuka, wie Verherrlichungen einzelner Großthaten ägyptischer Könige und hoher Staatsdiener bedecken weit und breit die Felsenwände. Auch diese Inschriften gehen zum Theile bis in der Geschichte zurück, und doch wie jung erscheinen sie im Vergleiche mit jener Arbeit, welche hier in nicht zu berechnenden Jahrtausenden der ägyptische Sonnengott Ra mit dem Gestein vorgenommen! Ueberall nämlich sind die Felsen da, wo sie noch nicht von Menschenhand bearbeitet, unseren Blicken entgegentreten, an ihrer Oberfläche mit einer dunkelglänzenden Kruste wie mit einem Schmelze überzogen, während die Bruchflächen des Syenites, denen wir mit Sicherheit zum Theil ein Alter von tausend Jahren beilegen dürfen, eben so wie die überall in den Steinbrüchen umherliegenden Blöcke noch heute uns die dem Granite eigenthümliche rothe Färbung in ihrer vollen Frische zeigen – zu jung noch, um jene Rinde der Zeit angenommen zu haben.“

Von jedem höheren Uferberge aus kann man einen Theil des Katarakts überblicken. Zwei Wüsten treten an den Nil heran und reichen sich gleichsam in ihm durch Hunderte von kleinen Felseninseln die Hand. Jedes dieser Eilande theilt den Strom und zwingt ihn, seine Fluthen aufzustauen; um so heftiger aber rauscht er zwischen ihnen hindurch. Unablässig anstürmend gegen die Trümmer des von ihm vor Jahrhundertausenden gebrochenen Felsendammes, scheint er jene wegräumen und vernichten zu wollen und erzürnt zu sein über den noch immer unbesieglichen Widerstand, so grollend klingt das Tosen seiner Gewässer zu dem Beschauer hinauf und wird diesem zu der rechten Begleitung des großartigen Schauspiels vor und unter ihm. Ruhelos wie die ewig fluchenden Wellen schweift das Auge durch das Felsenwirrsal; hundert Einzelbilder erschaut es mit einem Blicke, und dennoch gestaltet sich aus ihnen allen endlich ein erhabenes, einheitliches Gesammtbild, in welchem die starren glänzenden Felsmassen scharf sich abheben von dem weißen Gischte der sie umzischenden Wogen, der beide begrenzenden goldgelben Wüste ringsum und dem wolkenlosen, tiefdunklen. Himmel darüber. Besonders reizvoll ist der obere Theil der Stromschnellen. Eine Kette von schwarzen Felsen, die natürliche Grenzmauer zwischen Aegypten und Nubien, zieht sich quer durch den Nil und schweift auf dessen rechtem wie auf dem linken Ufer in weiten Bogen aus, vor dem Auge des Beschauers einen ringsum geschlossenen, mit Felsendämmen umwallten Thalkessel bildend. Die Wälle bestehen zum Theile aus ungetrennten Massen, zum Theile aber aus lose über einander liegenden, wie von der Hand eines Riesen aufgethürmten runden, eigestaltigen und eckigen Felsblöcken. Hier und da treten einzelne Theile der wundersamen Umwallung vor und wiederum zurück; hier und da erheben sie sich inselgleich aus dem alten Seebecken, welches sie umgaben, bevor der gewaltige Strom freien Durchgang erzwang.

Inmitten dieser vormenschlichen Trümmerstätte liegt die grüne, palmenbestandene Insel Philä mit ihrem herrlichen Tempel. Ich kenne kein erhabeneres Landschaftsbild als dieses. Rings umgeben von starrem, tiefdunklem Gefelse, ewig umtost von den gegen seine Grundfesten ankämpfenden Wellen, freundlich begrünt von fruchtspendenden Palmen und duftenden Mimosen, erscheint der Tempel als ergreifendes Sinnbild inneren Friedens in tobendem Streite. Ein gewaltiges Kampflied singt ihm der Strom und Palmen. Er ist eine Stätte zur Verehrung der hehren Gottheit, welcher er geweiht, wie es keine Würdigere geben kann. In solcher Einsamkeit, in solcher Umgebung mußte der Geist der von den weisesten Priestern gebildeten Zöglinge Nahrung und Leben empfangen, dem Erhabenen und Hohen sich zuwenden, den Kern der sinnigverhüllten, bedeutungsvollen Lehren erkennen, das verschleierte Bild von Saïs erschauen.

Unter der göttlichen Dreiheit, welcher der Tempel von Philä geweiht war, Isis, Osiris und Horus, stand Isis oben an. „Isis, die große Göttin, die Herrin des Himmels, die Herrin aller Götter und Göttinnen, welche mit ihrem Sohne Horus und ihrem Bruder Osiris in jeder Stadt verehrt wird, die erhabene, göttliche Mutter, die Gemahlin des Osiris: sie ist die Herrin von Philä,“ lehren die Inschriften im Tempel selbst. Inschriften in allen Schreibarten, welche in den verschiedenen Zeiträumen der ägyptischen Geschichte im Gebrauche waren, erzählen uns aber auch von den Wandlungen, welche der Tempel im Laufe der Zeiten erlitten hat, bis endlich eingewanderte Araber die christlichen Priester, welche den Dienern der Isis gefolgt waren, aus dem Heiligthum Vertrieben.

Heut zu Tage liegt ein großer Theil von Philä in Trümmern. An Stelle feierlicher Gesänge der Priester vernimmt man nur noch das einfache Lied der Wüstenlerche; aber die Wogen des Stromes rauschen noch ihre gewaltigen Weisen wie vor Jahrtausenden. Die Insel ist verödet, der Frieden des Tempels ihr geblieben. Und trotz aller Wandlungen ist die Insel wie der Tempel noch immer das Kleinod des ersten Katarakts.

Von hier an aufwärts ist der Nil auf weit hin felsenfrei, jedoch nicht mehr im Stande, seinen Segen über die Ufer hinauszutragen. Mühsam versucht der Mensch, die ihm anderswo freiwillig gegebene Spende dem Strome abzuringen. Ein Schöpfrad neben dem anderen hebt kreischend das belebende Naß auf die schmalen Feldsäume am Ufer. An den meisten Stellen aber drängt sich die Wüste mit ihren Felsenwänden so dicht an das Ufer heran, daß kein Raum für das Feld oder den Palmenwald bleibt. Auf weite Strecken hin sieht man hier einzig und allein verkrüppelte Unkrautpflanzen zwischen denen der gelbe Flugsand fort und fort zur Tiefe rollt, als wolle er der Wüste schon hier zum Siege über den göttlichen Spender des Fruchtlandes verhelfen.

Im Süden von Wadihalfa: dem südlichsten Grenzdorfe des obenerwähnten Landstrichs, tost wiederum das zwischen Felseninseln eingezwängte Wasser des Stromes. Zahllose Steinmassen, Felsenkegel und Blöcke zwingen diesen, sich auszubreiten; ein Wirrsal von Fels und Wasser, wie er es zum zweiten Male niht ausweist, beirrt selbst das Auges. Bei hohem Wasserstande übertönt das Gebrüll der wirbelnd zwischen den Felsen hinabellenden Wogen den Klang der menschlichen Stimme: es dröhnt und donnert, rauscht und braust, tobt und zischt, daß die Felsen selbst zu erzittern scheinen. Oberhalb der hier ununterbrochen aneinander gereiheten Schnellen und Tobel liegt der hochaufgestauete Nil wie ein weiter stiller See vor dem Auge; doch dieses freundliche, durch einige begrünte Inseln gehobene Bild ist eng umgrenzt. Weiter aufwärts, wird das Strombett nochmals durch zahllose Felseninseln zertheilt; denn nunmehr beginnt, das „Batte el Hadjar“ oder Felsenthal der Schiffer, in welchem noch zehn namhafte Stromschnellen liegen. Es ist der ödeste Landstrich Nubiens und des ganzen Nilthals überhaupt. Gewöhnlich sieht man nur Himmel und Wasser, Felsen und Sand. Die Uferwände sind so glatt, als ob sie geschliffen wären, und so glänzend, bei Tage auch so glühend, als seien sie erst vor ganz kurzer Zeit dem innerirdischen Feuer entstiegen. Der segenspendende Strom rauscht fast spurlos an ihnen vorüber; denn nur an äußerst wenigen Stellen kann er sein göttliches Vorrecht zur Geltung bringen. Hier, in einspringenden Buchten oder hinter Vorgebirgen, welche die heftige Strömung ablenken, senkt er seinen fruchtbaren Schlamm hernieder und führt ihm selbst den Samen zu. Dann keimt und wächst, grünt und blüht es auch in dieser Wüstenei. Auf allen Inseln, in deren Felsenspalten abgelegter Schlamm haften blieb, in allen von der Strömung nicht getroffenen Buchten erheben sich Weiden und einzelne Mimosen, Bürgen des Lebens im Reiche des Todes. Wurzel auf Wurzel, Schößling auf Schößling sendete die erste Weide aus, welche hier festen Fuß faßte, und bald überkleidete sie den kahlen Grund mit belebendem Grün.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 731. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_731.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)