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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

gut bekannt ist, wobei sie keine Ahnung von seiner politischen Bedeutung hat.“

Während dieser Unterhaltung hatte die Seele Brigitta’s die Last der Angst und der Zweifel abgeworfen. Niemals hatte ihr Siegfried eine Unwahrheit gesagt und die Versicherung, daß Glowerstone allein, also ohne seine Tochter in der Hauptstadt gewohnt, hatte der gequälten Frau vollkommen genügt, um die Besorgnisse der vorhergegangenen schlaflosen Nacht zu zerstreuen. Der politische Fall, in den sie jetzt erst Einblick gewonnen, erklärte vollkommen den großen Eindruck, den die Anwesenheit Glowerstone’s auf den Legationsrath geübt hatte. Brigitta schämte sich fast ihres Verdachtes, und wie um Versäumtes nachzuholen, wandte sie sich jetzt den mitgebrachten kleinen Geschenken zu. Die Freude darüber, das Lachen, die geistreiche oder komische Bedeutung, die sie jedem einzelnen Stück beilegte, hätten ein entzückender Lohn für Siegfried sein müssen, und einige Wochen früher wäre er darüber in Enthusiasmus gerathen und hätte mit der Versicherung nicht zurückgehalten, daß er den schwebenden Zustand des Verhältnisses nicht länger ertrüge und endlich Alles dransetzen wolle, sein Glück zu verwirklichen. Jetzt aber begnügte er sich, zu lächeln, den Geist Brigitta’s zu bewundern und über ihre Befriedigung Freude zu äußern. Brigitta, in der bescheidenen Unbewußtheit ihres geistigen Reizes, vermißte in diesem Augenblicke Nichts in der Haltung des Geliebten; sie schwamm noch selig in dem Gefühle, ihre Zweifel und Besorgnisse verscheucht zu wissen.

Während Brigitta hin und her ging, um die passenden Stellen für die Etablirung der neuen Nippessachen zu wählen und jene, die in den großen Salon kommen sollten, bei Seite zu stellen, sagte Siegfried:

„Das Schönste an der Geschichte ist, daß ich dabei selbst etwas geschenkt bekam, wofür ich jeden Preis bezahlt hätte. Ich habe nämlich gestern bei Carmisoli, wo ich die Dinge auswählte, die Gräfin Surville getroffen. Sie sagte mir in ihrer harmlosen Art, die Wichtigkeit nicht ahnend, daß sie in den nächsten Tagen ihren Verwandten Glowerstone besuchen werde, und da ich so großes Interesse an ihm gezeigt hätte, so wolle sie mich vorstellen, wenn ich die Reise dahin nicht scheute. Es gehört zu den wenigen diplomatischen Vorzügen, die ich besitze, die ganze Tragweite, das Vollgewicht einer zufälligen, anscheinend ganz unbedeutenden Situation sogleich zu überblicken. Mir ist es natürlich nur um den Lord zu thun. Da die Gräfin sehr vertraut mit ihm ist, so sagte ich ihr, ich würde gern nach Wiesbaden gehen und ihren Freund dort kennen lernen, nur möchte ich nicht, daß er glaube, ich sei zu diesem Zweck dahin gekommen, es müßte sich wie zufällig machen. Die Gräfin ist sehr naiv, sehr unfähig in diplomatischen Geschäften, zu einer Intrige ganz unbrauchbar. Ich mußte ihr daher meine politische Absicht wie bei den Besuchen in ihrem Hause auch jetzt noch ganz verborgen halten. Mein Bischen Diplomatie ließ mich aber nicht im Stich und ich improvisirte, in Wiesbaden könnte ich die Angelegenheit ihres Vetters Glowerstone zu einem erwünschten Ende bringen, brauchte dazu ihre Hilfe, falls sie ihn mit der Erledigung der Sache überraschen wollte. Darauf ist sie freudig eingegangen, versprach, mir in Allem zur Seite zu stehen, was ich in der Sache für nothwendig halte. Sie können sich denken, theure Freundin, daß ich Alles für nothwendig halten werde, was mich dem unzugänglichen Lord näher bringen kann. So reise ich denn gegen Ende dieser Woche ab.“

Brigitta wäre zu jeder andern Zeit mehr erschrocken über diese Ankündigung, als diesmal. Das Glück, sich wieder im ungestörten Einklang mit dem geliebten Manne zu fühlen, hob sie über den Schmerz der ersten Trennung von ihm hinweg. Das Weib, das sie im Spiele geglaubt, erkannte sie als Hirngespinst, und dann war Alles gut. Auch wollte er ja nicht zu Glowerstone, sondern nach Wiesbaden gehen, wäre aber auch das Erstere der Fall gewesen, sie war nicht so thöricht, ihn vor jeder neuen Bekanntschaft mit einem Weibe bewahren zu wollen. Glowerstone’s Tochter war ihr nur so lange ein Gegenstand der Besorgniß gewesen, als sie Siegfried’s verändertes Verhalten in jüngster Zeit mit jenem unbekannten Mädchen in Verbindung brachte, das er aber, wie sich jetzt herausstellte, gar nicht gesehen hatte, von dem er nichts wußte.

So beschränkte denn die schöne Frau den Ausdruck des Leids über seine bevorstehende Abreise auf die sorgliche Erkundigung nach dem Tage seiner Wiederkehr. Ihre Gelassenheit in solchem Falle würde auch Malköhne seinerseits noch einige Wochen früher anders aufgenommen haben als diesmal. Jetzt fiel es ihm nicht einmal ein, nach dem Grunde zu fragen; er hatte eine Scene gefürchtet, einen Schmerz, der ihn früher beglückt hätte und dessen Ausbleiben ihn jetzt gewissermaßen von einer Angst befreite. Fröhlichen Sinnes sprach er von den Vorbereitungen zur Reise, vom Wegfallen lästiger Abschiedsbesuche, weil seine Entfernung vom Amte gleichsam eine heimliche wäre, obgleich sie im Dienste desselben geschehe, und als er endlich seinen Hut nahm, kündigte er Brigitta an, daß er beim Wiederkommen am nächsten Tage ihren Rath und ihre Hilfe in einer Sache in Anspruch nehmen werde, die nothwendig zur Reise gehöre.

Brigitta blieb allein, und zufällig in den großen Stehspiegel blickend, erstaunte sie selbst, wie sich ihr Aussehen seit den Morgenstunden verändert hatte. Der rosige Anhauch ihrer Wangen war zurückgekehrt, ihre üppige Gestalt stand wieder schwungvoll aufrecht, und die weißen Zähne verriethen sich wieder beim unwillkürlichen Lächeln. Sie war so heiter, daß sie über die Maßen lachte, als Elise ihr in einem fast kummervollen Tone berichtete, wie armselig die Ausstattung war, die der neue Miethsherr für die schöne Wohnung mitgebracht hatte.




6.

Die Gräfin Surville befand sich in einem großen Salon, von mehreren Damen umgeben, die, nach ihrer Toilette zu schließen, nicht Besucherinnen waren, sondern zum Hause gehörten.

Mit dem Gleichmuth der Gewohnheit nahm die Gräfin die Karte von der ihr dargereichten silbernen Platte auf, beugte aber, nachdem sie gelesen hatte, das Haupt betroffen zurück und ließ die Hand, welche die Karte hielt, in den Schoß sinken.

Ein Lebenstraum, den sie nie vergessen, wenn sie ihn auch immer zu verhüllen, ja gänzlich zu verwischen gesucht, stieg plötzlich vor ihr auf: Ludwig von Perser! Ihre erste und einzige Liebe! Aber dahin auf immerdar!

Großer Verstand in ihren eigenen Angelegenheiten, während sie sich absichtlich von Intrigen und politischen Fragen fern hielt, hatte sie von jeher ausgezeichnet. Darum hatte sie im Bewußtsein ihrer erreichten Jahre längst mit jenem Traum abgeschlossen. Sie war sich ebenso klar, daß das Gefühl für Perser immer in ihr rege bleiben würde, sowie daß Zeit und Umstände, die harte Wirklichkeit ohne Zweifel einen ganz andern Mann aus ihm gemacht hatten als Derjenige war, welchen sie geliebt hatte.

Was wollte er jetzt bei ihr? Gleichviel! Ansprüche sollte er nicht erheben können, und das Geheimniß ihrer ersten Beziehung zu ihm mußte dadurch seine Bedeutung verlieren, daß sie es offen vor aller Welt erzählte. Das war das beste Mittel, die Vergangenheit abzuthun. Unbefangen reichte die Gräfin Perser die Hand und erzählte dann den Damen eine kleine romantische Geschichte, deren Inhalt ihre erste Begegnung mit Perser in ferner Jugendzeit war.

Es lag für Perser bei aller Anmuth in ihrer Unbefangenheit doch etwas beinahe Schauerliches in der objektiven Kälte und Gelassenheit, womit die Gräfin einen so wichtigen Theil seines und ihres Lebens behandelte. Er war darauf gefaßt gewesen, Umschweife machen zu müssen, damit sie den Zusammenhang, der so weit zurücklag, und die Gefühle, die so lange Zeit daran geknüpft waren, ganz begreife, und nun erzählte sie selbst dies Alles, aber wie eine Begebenheit aus einem eben gelesenen Roman. War damit nicht vielleicht angedeutet, daß sie die Vergangenheit als völlig abgethan betrachte und keine Konsequenzen daraus für die Gegenwart werde dulden wollen?

Die Gräfin war verblüht und keine Spur des Liebreizes, der den Jüngling hingerissen hatte, war zurückgeblieben. Nur wenn sie lachte und ihre Züge sich belebten, wie es in diesem Momente der Fall war, erweckte ihr Wesen Sympathie. Erst nachdem sie ihren Vortrag den Damen gegenüber geschlossen hatte, stellte sie ihnen den Baron mit aller Förmlichkeit vor. Die Damen waren Kousinen des Hauses Glowerstone aus England, zwei schon ältere Frauen, die, zum Besuche der Gräfin gekommen, bei ihr wohnten, eine Gesellschafterin, eine Deutsche mit ziemlich mürrischem Gesichtsausdruck, und endlich ein junges Mädchen von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 758. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_758.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)