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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

einen Schopf am Scheitel und bekleiden den Kopf mit einem enganschließenden weißen Mützchen, der Takhïe, über welche an Feiertagen vielleicht auch ein weißes Tuch turbanähnlich gewunden wird. Ein sechs bis neun Meter langes Umschlagetuch dient zur Bekleidung des Oberkörpers, kurze Beinkleider und Sandalen, an Feiertagen ein blaues oder weißes talarähnliches Gewand bilden die übrigen Kleidungsstücke; ein am linken Arme getragenes Dolchmesser und auf Reisen die Lanze die Waffen; Lederrollen, in denen Amulette enthalten sein sollen, und an den Schnüren um den Hals gehängte Täschchen den einzigen Zierat des Mannes. Die Frauen ordnen ihr Haar in hundert kleine, dünne Zöpfe und salben diese reichlich mit Hammelfett, Butter oder Ricinusöl, verbreiten daher auf weithin einen für uns geradezu unerträglichen Geruch, tätowiren verschiedene Theile ihres Gesichtes und Leibes mit Indigo, färben oft die Lippe blau und stets die Handteller roth, zieren den Hals mit Glasperlen-, Bernsteinketten, Amulettäschchen und dergleichen, die Knöchel mit zinnernen, elfenbeinernen, hörnernen, Ohrläppchen, Nasenflügel und Finger mit silbernen Ringen, schlagen an Stelle der Beinkleider einen bis zu den Knöcheln herabreichenden Schurz um die Lenden und werfen das Umschlagetuch in malerischen Falten über Brust und Schultern. Knaben gehen bis ins sechste oder achte Jahr nackt; Mädchen tragen vom vierten Jahre an die ungemein kleidsame, aus feinen Lederstreifen bestehende, oft mit Glasperlen oder Muscheln verzierte Troddelschürze.

Alle im Stromthale seßhaften Nubier hausen in viereckigen, beziehentlich mehr oder weniger würfeligen Gebäuden, welche entweder aus lufttrockenen Ziegeln errichtet und dann nach oben zu abgeschrägt sind, oder aber aus einem mit Stroh überkleideten leichten Holzgerüst bestehen, gewöhnlich bloß einen Wohnraum darstellen, eine niedrige Thür und an Stelle der Fenster oft nur Luftlöcher haben, auch die denkbar einfachste Einrichtung zeigen. Ein erhöhtes, mit verflochtenen Lederstreifen oder Baststricken überspanntes Lagergestell, das Ankareb, einfache Kisten, vortrefflich gearbeitete, selbst wasserdichte Körbe, Lederschläuche, Urnen, zur Aufbewahrung des Wassers, Durrabieres und Palmweines, Handmühlen oder Reibsteine zum Zerkleinern des Getreides, eiserne oder thönerne flachmuldige Platten zum Brotbacken, Kürbisschalen, ein Beil, ein Bohrer, einige Hacken etc. bilden den Hausrath, Matten, Vorhänge, Scheidewände und Lagerdecken die Einrichtungsgegenstände, Mulden, flache, geflochtene Teller und dazu gehörige Deckel die nicht in jeder Hütte vorhandenen Eßgeschirre. Die Nahrung unserer Leute besteht vorwiegend, hier und da fast ausschließlich, in Pflanzenstoffen, Milch, Butter und Eiern. Das häufiger zerriebene als gemahlene Getreide wird zu einem Teige verarbeitet und dieser zu schliefigem Brote gebacken, letzteres aber entweder ohne alle Zuthaten oder mit Milch oder mit dickschleimigen Brühen aus verschiedenen Pflanzen, günstigsten Falles auch darunter gemischten Fleischfasern aus vorher an der Sonne getrockneten Streifen, und viel und scharfem Gewürz genossen. Begehrlicher als hinsichtlich der Speisen zeigt sich der Nubier, wenn es sich ums Trinken handelt; denn jedes berauschende Getränk, sei es heimischen oder fremden Ursprungs, findet an ihm jederzeit einen eifrigen Verehrer, um nicht zu sagen unmäßigen Zecher.

Sitten und Gewohnheiten der Bewohner des mittleren Nilthals bekunden gegenwärtig eine absonderliche Verquickung von ererbten und angenommenen Gebräuchlichkeiten. Schmiegsam und leichtfertig fügt er sich ebenso willig in das ihm Fremde, wie er das ursprünglich Heimische zu vergessen scheint. Bekenner des Islam ist er mehr dem Namen als der That nach; strenges Festhalten an Glaubenssatzungen kennt er eben so wenig wie Unduldsamkeit gegen Andersgläubige. Bevor er ins reifere Mannes- oder ins Greisenalter getreten, übt er die Gebote des Propheten selten und wohl niemals mit dem Pflichteifer der arabischen oder türkischen Stämme, glaubt vielmehr vollständig genug zu thun, wenn er den äußerlichen Vorschriften seines Glaubens nachkommt. Gesang und Tanz, heitere Unterhaltungen, Scherze und Trinkgelage gefallen ihm besser als die Lehren und Gebote des Koran, als die auf mönchische Auslegung der letzteren zurückführenden Glaubensübungen und Bußermahnungen oder das von anderen Mohammedanern für so heilig erachtete Fasten.

Gleichwohl wird ihn Niemand als willenlosen, wankelmüthigen, unselbständigen, unverläßlichen oder treulosen, kurz schlechten Menschen bezeichnen können. Im unteren Nubien, wo er alljährlich mit Hunderten, in seinen Augen reichen und freigebigen Fremden verkehrt, wird er freilich oft zum unverschämten, ja selbst unerträglichen Bettler, und die Fremde, welche er aufsuchen muß, weil sein armes Land ihn nicht ernähren kann, trägt auch nicht dazu bei, ihn zu veredeln: im Allgemeinen aber darf man ihn mit Fug und Recht einen braven Gesellen nennen. Wohl vermißt man heut zu Tage an ihm oft die Willenskraft der Väter, keineswegs aber auch deren Muth und Tapferkeit; wohl erscheint er bei Weitem sanfter und gutmüthiger als der Aegypter, erweist sich jedoch nicht minder verläßlich und ausdauernd als dieser, wenn es sich um schwierige oder gefahrdrohende Unternehmungen handelt. Sein armes, unergiebiges Land, an welchem er mit ganzer Seele hängt, dessen er in der Fremde mit rührender Anhänglichkeit gedenkt, für welches er arbeitet, darbt und spart, da sein einziges Streben dahin geht, die Mannes- und Greisenjahre in ihm zu verleben, legt ihm unablässigen Kampf um das Dasein auf und stählt seine leiblichen wie geistigen Kräfte; der tosende Strom, mit welchem er nicht minder beharrlich kämpft wie mit dem felsenstarrenden Lande, weckt und erhält in ihm Muth und Selbstvertrauen, eben so wie er kühle Würdigung der Gefahr in ihm erzeugte und befestigte. Dank den so erworbenen Eigenschaften wird der Nubier zum treuen Diener, verläßlichen Reisebegleiter, wanderlustigen Djellabi oder Kaufmann und vor Allem zum unternehmenden, unerschrockenen Schiffer.

Fast gewinnt es den Anschein, als ob die Eltern ihre Söhne von frühester Jugend an auf alle Dienste, welche sie später als Erwachsene leisten, regelrecht vorbereiteten. Wie in Aegypten werden in Nubien die Kinder des armen Mannes kaum erzogen, höchstens zur Arbeit angehalten, richtiger vielleicht: nach Maßgabe ihrer Kräfte ausgenutzt.

So klein der Knabe sein mag: einen Dienst muß er leisten, ein Aemtchen verwalten; so schwach das Mädchen: der Mutter muß es helfen bei allen Verrichtungen, welche den Frauen des Landes obliegen. Aber während man in Aegypten den Kindern kaum Erholung gönnt, begünstigt man in Nubien fröhliches Spiel der Kleinen nach Möglichkeit. In Aegypten wird der Knabe zum Knechte, das Mädchen zur Sklavin dieses Knechtes, ohne daß es eine freudige Kindheit durchlebte; in Nubien sind mehr als Halberwachsene oft noch immer Kinder in Sein und Wesen. Daher erscheinen uns jene unnatürlich ernst wie ihre Väter, diese heiter wie ihre Mütter. Ein allgemein beliebtes Kinderspiel wird jeder Reisende kennen lernen und mit Wohlgefallen beobachten, weil es Gewandtheit und Anmuth der Bewegung, Ausdauer und Unternehmungsmuth vereinigt wie kaum anderswo: ich meine das in der ganzen Welt gebräuchliche „Haschen“ oder „Fliehen und Verfolgen“. Nach geschehener Arbeit vereinigen sich Knaben und Mädchen. Jene lassen das Schöpfrad, dessen Zugochsen sie antreiben mußten vom frühen Morgen, bis die Sonne zum Untergange sich neigt, das Feld, in welchem sie dem Vater behilflich waren, das junge Kamel, welches sie traben lehrten, diese die jüngeren Geschwister, welche sie eher schleppten als trugen, den Brotteig, dessen Gährung sie zu überwachen hatten, den Reibstein, an welchem sie ihre jungen Kräfte übten: und alle eilen zum Ufer des Stromes. Lachend und plaudernd zieht die Gesellschaft dahin; wie dunkle Ameisen wimmelt es im goldgelben Sande, zwischen und auf den schwarzen Felsen. Bunt durch einander gemischt ordnen sich die Verfolger, welche den Flüchtling zu fangen haben. Letzterer, dem einiger Vorsprung gegönnt wird, giebt das Zeichen zum Beginn der Jagd, und alle heften sich an seine Fersen. Wie eine Gazelle läuft er über die sandige Ebene den nächsten Felsen zu und wie hetzende Windhunde jagt die lärmende Rotte hinter ihm drein; einer Gemse vergleichbar klettert er an den Felsen empor, und nicht minder gewandt strebt die gelenkige Gesellschaft der Spielgenossen nach der Höhe; wie ein erschreckter Biber stürzt er sich in den Strom, um tauchend sich zu bergen, schwimmend zu entrinnen: aber auch in das nasse Element folgen ihm die beherzten Mitspieler, Knaben wie Mädchen, strampelnd wie schwimmende Hunde, rufend und schreiend, schwatzend und kichernd wie sich treibende, schnatternde Enten. Lange schwankt das Zünglein der Wage, und gar nicht selten geschieht es, daß der breite Nilstrom überschwommen wird, bevor der kühne Vorspieler in die Hände

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 762. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_762.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)