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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Weihnacht.

Kein Windhauch draußen, regungslos die Luft,
O wunderbarer herber Winterduft!
Es schneit, es schneit! Ein stumm’ Gewimmel
Schwebt Flock’ und Flöckchen von dem grauen Himmel

5
Und legt sich sacht auf Weg und Steg und Halde,

Verschneit die Tannen draußen in dem Walde,
Ruht leuchtend weiß auf jedem Thurm und Dach
Und scheint so helle in mein still Gemach,
Daß ich die Feder gerne ruhen lasse

10
Und meine Blicke sende auf die Gasse.


So einsam dort; ’s ist Alles in den Stuben,
Nicht mal den Schlitten ziehn des Nachbars Buben;
Warum dies nur, da es sie sonst so freut? –
Ei, weißt du nicht? Es ist ja Weihnacht heut!

15
Und horch! Da schweben tiefe Glockenklänge

Wohl übers Dörfchen in das Land hinein,
Und in der Brust wird es mir plötzlich enge
Und in die Augen tritt ein feuchter Schein.
O heilige Nacht, du süße fromme Nacht,

20
Welch selig Glück hast du der Welt gebracht;

In jedes Haus weht dein geheiligt Schauern!
Und wär’ ein Herze noch so voller Trauern,
Es muß ihm doch die holde Kunde werden:
Verzage nicht, der Friede kam zur Erden!

25
Dort drüben hinterm Fenster flammt’s empor,

So strahlend hell, so festlich eigen;
Von frischen Kinderstimmen tönt ein Chor
Herüber in mein andachtsvolles Schweigen:
Das alte Lied – die frohe Mär –

30
„Vom Himmel hoch da komm’ Ich her!“


Wohin du siehst, der helle klare Schein,
Und so wie hier in unserm Dörfchen klein
Flammt jetzt im großen weiten Erdenraum
In jedem Haus der grüne Tannenbaum;

35
Und jedes Herz wird heute lind und weich

Und jeder Arme dünkt sich wonnereich,
Und jede Hand, sie schenkt und reicht und giebt.
000000000

 *  *  *

Was steht dort draußen an der Thür betrübt
Und schaut so bang zum hellen Fensterlein?

40
Es ist ein Kind! O komm, komm doch herein!

Hast keine Mutter mehr? Hast keinen Baum?
Daß heil’ger Abend ist, Du weißt es kaum?
Tritt ein, denn heute soll zu Himmelshöhen
Doch kein bekümmert Aug’ vergeblich flehen,

45
Und Kinder dürfen heute gar nicht weinen;

Es ist ja Euer Fest, das Fest der Kleinen. –

Da, nimm nur hin, viel ist es freilich nicht,
Und freue Dich daran, Du blonder Wicht.
O Kinderhand, wie bald bist du gefüllt!

50
O Kinderthräne, wie so bald gestillt!

Was jetzt aus blauen Aeuglein blinkt,
Ist süße Lust, die tief zum Herzen dringt.

Nun geh, mein Kind, und siehst Du noch so einen
Vergeß’nen kleinen Buben weinen –

55
Es könnte auch ein liebes Mädchen sein,

Das zur Bescherung Niemand ließ herein –
Sag’ ihnen rasch, ich wohnte an der Ecke
Und hätte eine große Zuckerwecke,
Und auch ein Bäumchen und ein warmes Kleid –

60
O Herzensfreude, sel’ge Weihnachtszeit!

 W. Heimburg.


Weihnachtsbüchertisch für die Jugend.

Erst kürzlich haben wir in dem Artikel „Was sollen unsere Kinder lesen?“ („Gartenlaube“, S. 763) Winke für die richtige Wahl des Lesestoffes unserer Jugend zu geben versucht. Heute wollen wir im Anschluß an jenen Artikel eine Relhe guter Jugendschriften namhaft machen. Des begrenzten Raumes wegen müssen wir uns freilich auf diejenigen Bücher beschränken, welche neu erschienen sind, doch ist auch gerade hier ein zuverlässiger Führer am nothwendigsten. Die guten älteren Schriften, welche wir zum Theil auch in früheren Jahrgängen unseres Blattes empfohlen haben, wird man über den neuen sicher nicht vergessen!

Die Kleinsten können sich freuen! Sie sind ungewöhnlich reich bedacht, und einige der für sie bestimmten Bilder- und Geschichtenbücher sind ganz vorzüglich. Eines der besten Bilderbücher trägt den einladenden Titel „Mach’ mich auf!“ (Eßlingen, J. F. Schreiber.) Die Bilder lassen nichts zu wünschen übrig; sie sind klar und schön bis in alle Details und bieten sorgsamen Müttern zugleich vortrefflichen Stoff für leicht zu ersinnende kleine Geschichten. Auch das lustige Ziehbilderbuch „Hansel und Gretel“ von Lothar Meggendorfer (ebenda) ist ein gutes Unterhaltungsmittel für die Kleinen. Die größte Freude aber wird desselben Verfassers „Internationaler Cirkus“ (ebenda) hervorrufen. Das Bilderwerk läßt sich kreisförmig auf dem Tische aufstellen und zeigt dann das bunte Innere eines Cirkus mit allem phantastischen Aufputz, mit Künstlern und Zuschauern. Herr Funkulo führt auf ungesatteltem Pferde den „Flammensprung“ aus, Miß Ella reitet „die hohe Schule“, der „Courier des Sultans“ führt dem Publikum vier prachtvolle Schimmel vor. „August der Dumme“ producirt sich in ergötzlicher Weise auf einem Esel etc. Der Humor, welcher den Schöpfer dieses Buches beseelt hat, ist echt: er steckt an. Ebenfalls humoristisch ist „Der Thierstruwwelpeter“ (Breslau, C. T. Wiskott) von Julius Lohmeyer und Fedor Flinzer, den bekannten Freunden unserer Kleinen, welche diesen erst im vorigen Jahre den „König Nobel“ schenkten, ein Bilderwerk, das zu den allerbesten gehört. Der Thierstruwwelpeter ist dem vielbefehdeten Hofmann’schen Struwwelpeter nicht ähnlich; die Bilder und Verse wirken komisch, sind aber von künstlerischem und poetischem Werthe.

Wilhelm Hey’s sinnige, altbekannte „Fabeln für Kinder“ werden von dem Verleger F. A. Perthes in Gotha in Prachtausgabe herausgegeben. Uns liegt das erste Heft vor, welches zwölf Fabeln mit eben so vielen großen Farbendruckbildern nach den Zeichnungen Otto Speckter’s enthält. Die Hey’schen Fabeln sind noch immer unübertroffen; die geschmackvolle künstlerische Ausstattung der Prachtausgabe ist ihrem Werthe angemessen. – Alte Reime mit neuen Bildern enthält Wilhelm Claudius’Kinderlust“ (Dresden, C. C. Meinhold und Söhne), ein solid ausgestattetes Buch mit 32 Farbendruckbildern, deren Zeichnung und Ausführung größtes Lob verdienen. Die Verse sind meist ernsten Inhalts. – Mit seinem Kindertagebuch „Mein Vaterhaus“ (Leipzig, Meißner und Buch) erinnert Julius Lohmeyer an den alten Erzähler Friedrich Jakobs, dessen gemüthvolle Erzählungen durch ihre vor wenigen Jahren erfolgte Aufnahme in die bekannte „Universalbibliothek für die Jugend“ neue Verbreitung gefunden haben. Das hübsche Buch führt Scenen aus dem Leben im Elternhause vor und ist von Julius Kleinmichel ansprechend illustrirt.

Von Büchern für die Kleinen, in welchen das Hauptgewicht auf die Erzählungen gelegt ist, nennen wir: „Hundert Erzählungen aus der Kinderwelt“ von Lina Morgenstern (Stuttgart, K. Thienemann’s Verlag), eine Sammlung sehr anziehend erzählter einfacher Geschichten; „Ist’s wahr?“ Märchen von Maria Rebe und „Die gute Schwester Anna“ von E. Wuttke-Biller (Gotha, F. A. Perthes). Alle drei Werke sind in erster Reihe dazu bestimmt, Müttern Anregung und Stoff zum Vorlesen und Nacherzählen zu geben.

Eine treffliche Gabe für jedes Jugendalter ist Emil Rumpf’sInstruktionsbuch für Infanteristen“ (Stuttgart, Karl Krabbe), eine faßliche Anleitung für Kinder zum Soldatenspiel. Der Herausgeber macht das Kind mit Allem bekannt, was zur Ausrüstung eines vollkommenen kleinen Soldaten gehört, nimmt dabei aber gleichzeitig auf die Geldtasche der Eltern Rücksicht und wählt nur Uniformstücke, welche auf allen Anzügen getragen werden können. Auch Hugo Elm’sKindertheater“ (Eßlingen, J. F. Schreiber) wendet sich an kein bestimmtes

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 837. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_837.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2023)