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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

gar nix mehr hab’ geben können, da hat er g’meint, ich könnt’ mir ja leicht vom Wirth sei’m Biergeld a Bißl ’was auf d’ Seiten räumen. Aber na – zum Stehlen hat er mich net ’bracht – da hab’ ich schon lieber mein’ guten Dienst, mein G’wand und Alles im Stich ’lassen – und in der Nacht amal bin ich auf und davon, so weit mich meine Füß’ haben tragen können.“

Götz athmete auf, als hätte er die willkommene Antwort auf eine Frage vernommen, die er auszusprechen nicht den Muth gefunden.

„So hab’ ich mich ’um’trieben a paar Monat’ lang, in die abg’legensten Dörfer, von ei’m Dienst in andern. An kei’m Platz net hab’ ich’s ausg’halten; all mein Denken is Sorg’ und Unruh’ g’wesen, und nie net hat mich d’ Angst verlassen, daß der Gori jetzt in der Wuth erst recht Alles ausg’redt hat, was er reden hat können. Und wissen hab’ ich’s müssen – und z’ruck’trieben hat’s mich nach Rosenheim. Völlig aufg’schnauft hab’ ich, wie ich gehört hab’, daß sich der Gori bald nach meiner fortg’macht hat, kein Mensch hat sagen können, wohin. Und gar nix muß er aus’plauscht haben – kein Wörtl net hab’ ich g’hört – freilich, über mich, da haben d’ Leut’ recht g’spaßig g’redt, aber ganz was Anders, als ich g’forchten hab’. Du mein, über so ’was hab’ ich g’lacht – ich hab’ mein’ alten Dienst wieder ang’nommen und hab’ jetzt d’ Leut’ erst recht zum Narren g’halten, und gar kein’ größere Freud’ net hab’ ich g’habt, als wann ich so an Verruckten recht ins Herz ’nein plagen und ärgern hab’ können. Aber allweil hab’ ich dabei die Sorg’ in mir um einander ’tragen, daß über Nacht amal der Gori wieder da sein könnt’. So hab’ ich z’letzt in der Angst vor ihm mein’ Dienst aufg’sagt – und bin davon! Ins Reichenhall hab’ ich ’nüberwollen –“

„Und im Holz da droben hast Dich verirrt,“ fiel Götz mit schmerzlich bewegter Stimme ein, „und im ersten Haus, wo man Dich aufg’nommen hat in Güt’, bist ’blieben und hast den Unfried’ ’neing’setzt zwischen Leut’, von denen nix Anders net erfahren hast als gute Wort’!“

„Ja – ja – ich muß mir’s g’fallen lassen! Ich hab’ mir’s ja selber schon hundertmal g’sagt in die letzten Tag’, die mir der Herrgott mit’m Gori wieder g’schickt hat als a Straf’! Aber g’wiß – von Anfang an hab’ ich kein’ unguten Gedanken net g’habt dabei. Halb bin ich ’blieben in der Müdigkeit über mein Leben und ’leicht a Bißl aus Uebermuth – halb bin ich ’blieben und hab’ selber net g’wußt warum. Und wie’s mir nach und nach so heimlich ’worden is, wie’s mir so gut ’gangen is, und wie mir mein Schaffen und mein Umeinanderkramen im Haus da so g’fallen hat, und wie mir nach und nach a narrischer Gedanken, mit dem ich an Ein’ im Haus da denkt hab’, zum halben Ernst ausg’schlagen is – da hab’ ich g’meint, an den müßt’ ich mich anhalten, und ich könnt’ mir a Heimstatt für a richtig’s und a ruhiges Leben schaffen, bei dem ich auch amal ’was sein und gelten möcht’! Und das hat sich so ’neing’setzt in mich – und nimmer aus’lassen hat’s mich, so daß ich g’meint hab’, ich müßt’s im Schlechten verzwingen, weil’s im Guten net gehn hat wollen. Und wie’s mir fehlg’schlagen is – g’rad so, wie’s mir zug’hört hat – da hab’ ich mich in der Wuth und im gachen Zorn zu ’was überreden lassen –“

„Sei stad, Kuni – sei stad! Brauchst mir nimmer sagen, was ich lang schon weiß!“ fuhr Götz mit bebenden Worten auf.

„Was – was weißt?“ stotterte sie erschrocken.

„Was mir der Karli verzählt hat – und was ich drüber ’naus leicht hab’ errathen müssen. Kuni – Kuni! Nur g’rad das Eine wann net ’than hättst – das Eine net! Was für a Freud’ könnt’ ich haben in der jetzigen Stund’, wann g’rad das Einzige net g’schehen wär’!“

Mit einem schluchzenden Athemzug in sich versinkend, schlug Kuni die Hände vor die Stirn.

Stumm und regungslos saß Götz an ihrer Seite und starrte mit nassen Augen in die Nacht hinaus.

Vor ihnen, von dem Rande des weit vorspringenden Daches, ging ein leises Triefen und Rieseln nieder. Es hatte längst zu regnen begonnen. Und gleich unter die ersten fallenden Tropfen hatten sich weiße Flocken gemischt.

Leiser und leiser wurde das Rieseln und Triefen; mehr und mehr versiegte der Regen; immer größer und reichlicher fielen die im kalten Wind durch einander wirbelnden Flocken auf die Erde und überall begann schon der Schnee zu haften, und das Dunkel der Nacht verwandelte sich in graue Dämmerung.

Ein Schauer rüttelte Kuni’s Schultern. Schwer athmend richtete sie sich auf und stieß mit tonloser Stimme vor sich hin: „Schier kann ich’s net denken, daß Alles weißt – Alles! Aber a härtere Straf’ hätt’ mir unser Herrgott dafür net schicken können, als daß ich vor Dir so sitzen und fürchten muß: Du weißt es – kein’ härtere Straf’ net, als Dein’ letzte Red’. Aber wie’s auch sein mag jetzt, ein Trost is dengerst dabei, und an den halt’ ich mich an.“ Ihre Stimme hob sich zu festem, fast zornigem Ton. „Mir hab’ ich a Heimath schaffen wollen – und Dir soll’s bleiben. Was mir zum Uebel g’rathen is, soll wenigstens Dir zum Guten sein!“

„Na, Kuni – na! Wie kannst an Augenblick g’rad denken, daß ich mein’ Heimath finden möcht’ unter ei’m Dach, unter das mein eigens Kind den sündhaften Unfried’ ’neing’sät hat mit offene Händ’.“

„Jesus Maria! Du willst net bleiben?“

„Na, Kuni, jetzt schon gar nimmer! Und net an einzigen Tag mehr! Jetzt muß ich Deinetwegen schon gehn!“

„Vater!“ stammelte sie mit versagender Stimme.

„Mußt mich net falsch verstehn!“ erwiederte Götz mit hastigen Worten, in deren zitterndem Klang sich seine Thränen verriethen. „Für mich war so wie so kein Bleiben nimmer. Und wenn ich’s auch schon verwinden könnt’, das Anschaun mit die g’wissen Blick’ und das g’wisse Wispeln hinter Ei’m – und sonst noch alles Andere – ich könnt’ net bleiben mit der ewigen Lug’, daß wir zwei fremd sind zu einander, und daß ich’s net zeigen dürfet, was ich Dir gelten möcht’.“

„Warum denn net – warum sollst es net zeigen dürfen? Jeder soll’s wissen – a Jeder! Und morgen gleich in aller Fruh’ –“

„Laß gut sein, Kuni,“ unterbrach er ihre sprudelnden Worte; „ich denk’ ja net an Dich, und daß Dich ’leicht meinetwegen schamen könntst! Denn wann schon Dei’m Vater z’lieb den Gori vertragen hast – aber ja – was ich sagen will – schau, ich hab’ Dir noch net amal a Vergelt’s Gott g’sagt dafür! So sag’ ich Dir’s halt jetzt – und sag’ Dir’s von ganzem Herzen. Aber daß wir weiterreden – schau – ich muß an die Andern denken – und denk’ an die Bäuerin auf der Point, wo vor die Leut’ kein’ Vater net haben darf, der im Zuchthaus g’sessen is – gleichviel, warum!“

„Jetzt – ja – jetzt wird mein’ Straf’ erst ganz!“ stammelte Kuni unter heftigem Schluchzen. „Aber g’schieht mir schon recht! Hätt’ ich nur mei’m ersten Gedanken g’folgt – g’reut hat’s mich ja so wie so von der ersten Stund’ an! Jeden Tag is mir’s g’wesen, als müßt’ ich auf und davon laufen. Aber da hab’ ich an Brief abg’fangt – ’s schlechte G’wissen hat mich ’trieben dazu – vom Karli war er – und wie ich drin g’lesen hab’, daß er mir d’ Schand’ ins G’sicht ’neinschimpft von wegen mei’m Vater, den ich nie net ’kennt hab’ – da is der Zorn über mich ’kommen und ich hab’ mir g’sagt: jetzt g’rad mit Fleiß! Und jetzt – jetzt muß ich’s büßen an mei’m Vater g’rad! Aber na – na –“

Schluchzend warf sie sich über Götz und schlug in heißer Leidenschaft die Arme um seinen Hals.

„Kuni – Kuni –“

„Na, na, und ich laß’ Dich net fort, und wann ich Dich halten müßt’ mit mei’m Leben! Soll ich Dich g’funden haben in der heutigen Nacht, daß uns der morgige Tag wieder von einander reißt? Na – und ich laß’ Dich net fort und Du därfst net gehn – Du, der Einzig’, an den ich a Recht hätt’ zum halten und lieben! Oder – oder wenn’s net anders sein kann, so nimm’ mich fort mit Dir! Ueberall – überall geh ich hin! Wir zwei, wir brauchen uns, wie’s Feuer a Holz! D’ Händ’ will ich Dir unter d’ Füß’ legen, an die Augen will ich Dir Alles abschauen, und blutig schinden will ich mich für Dich – bloß daß ich mir Dein’ Lieb’ verdien’ – und ’s Bleiben bei Dir. Hundertmal lieber is mir ’s Leben mit Dir, und wenn’s in Noth und Elend wär’, als wie a wohligs Leben in dem Haus da, in das ich net ’neing’hör’, in das ich mich ’neindrängt hab’ mit Schlechtigkeit, in dem ich Alles in Unfried’ ’bracht hab’, was zu einander g’hört! Laß mich mit Dir gehn, Vater – laß mich – laß mich!“

„Um Gotteswillen, Kuni, was redst denn jetzt da daher!“ stammelte Götz und drückte Kuni’s Gesicht, als möchte er ihr krampfhaftes Schluchzen ersticken, mit zitternden Händen an seine Brust. „So sei doch g’scheit – so gieb Dich doch z’frieden!

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