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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

So ’was laßt sich doch net ausreden in einer Stund’ – und in der gachen Hitz’! Schau – laß Dir sagen –“

„Na – na – und ich laß’ Dich net fort – und ich thu’ mir ’was an – oder – oder ich lauf’ Dir nach auf Schritt und Tritt!“

„Aber, Kuni! Um Gotteswillen, so nimm doch g’rad Verstand an!“

„Ja! Hast Recht. Ich will Verstand annehmen! Und ich thu’s auch gern! Ich muß mir’s selber schon sagen, daß net bleiben kannst. Der Gori wird net schweigen – jetzt redt er schon aus Wuth über mich und Dich!“

„Sorg’ Dich net, Kuni! Dem will ich ’s Reden schon verlegen, dem!“

„Du kennst ihn net! Und ’leicht is morgen auch schon für Alles z’spät, ’leicht hat er jetzt im Wirthshaus drüben schon Alles ausposaunt! Und wie d’ Leut’ über manches denken – soll ich Dir a Beispiel sagen? Denk’ an den Spinner-Veit! Und ich, Vater, ich soll das ertragen können, daß Dir a Jeder aus’m Weg geht auf der Straßen und daß Dir die Buben nachlaufen mit G’spött und G’lachter! Na, na, da springet ich schon ins Wasser, eh’ daß ich so ’was tragen möcht’! Es is für Dich kein Bleiben nimmer! Ich sieh’s ja selber ein, daß D’ fort mußt, fort, und heut’ noch in der Nacht! Aber ich laß Dich net gehn allein – ich geh mit Dir – und anhängen thu’ ich mich an Dich – und kein’ Schritt nimmer laß’ ich Dich von meiner Seit’ –“

„Aber, Deandl[1], Du lieber Himmel,“ stammelte Götz, durch die wilde Leidenschaft dieser schluchzenden Worte in hilflose Bestürzung versetzt. „So nimm’ doch g’rad an Rath an – sei doch g’scheit! Es wird sich ja Alles noch rechten und schlichten lassen! Geh weiter, schau, jetzt schlafen wir z’erst amal drüber! Da heraußen is ja doch kein Bleiben nimmer! Schau nur g’rad ’naus in d’ Nacht, wie’s thut! Zitterst ja schon als a ganzer – und es muß Dich ja frieren – hast ja schier nix an – und d’ Nässen muß Dir ja schaden! Komm’ – sei g’scheit – und geh jetzt ’nein ins Haus – und –“

In tonlosem Stottern erloschen seine Worte. Es war ihm eine Erinnerung gekommen, bei der ihm vor jähem Schreck die Sprache verging. Fester noch schlangen sich seine Arme um den Hals des schluchzenden Weibes, und wortlos starrte er eine Weile hinaus in das dichte, weiße Gestöber.

„Ja, Kuni – wer weiß – ob Du net ’s einzig’ Rechte g’funden hast!“ murmelte er mit heiserer Stimme. „Für mich is kein Bleiben nimmer – und im Guten auch net für Dich! Ins Haus kannst nimmer ’nein in Ruh’ – drin warten s’ ja schon auf Dich – ich selber hab’ Dir den Weg verlegt. Zwar hab’ ich Dir Unrecht ’than damit – drin aber werden s’ Dich fragen, wo g’wesen bist. Und da mußt entweder an Verdacht auf Dir liegen lassen, den Keiner weniger auf Dir wissen möcht’ als ich, oder Du mußt die ganze Wahrheit sagen. Und Eins wie’s Andere geht net an. Denn wann der Pointner nach Allem, was er heut’ am Abend g’hört hat, schon wegen ei’m Knecht auf die Leut’ ihr Reden passen und auf ihr Achselzucken schauen muß – hast es ja hören können von ihm – was möcht’ er erst sagen zu so ei’m Schwiegervater! Ja, Kuni, ja, wir zwei, wir haben bloß noch an einzigen Weg! Wir zwei, wir g’hören z’samm’! Ich hab’ mein Leben verloren – Du hast das Deinige verspielt – wir zwei, wir thäten schon zu einander taugen, und wenn ich auch net Dein Vater wär’ und Du mein Deandl net. Und daß ich Dir’s sag’ – ich fang’s zum spüren an – wir brauchen einander wie a Feuer ’s Holz! Und wenn’s Dir ernst war, Kuni – mit’m Fortgehn – ich nimm’ Dich mit!“

„Da hast mich, Vater – da hast mich!“

„Aber sagen muß ich Dir’s – ich kann Dir net viel Gutes zum hoffen geben. Der silberne Ring, den am Finger tragst, der schließt Dein Leben ab – und das einzige Glück, das Dir noch zusteht, is d’ Ruh in Dir und ’s Zufriedensein bei der Arbeit.“

„Na, Vater – net wahr is! Mir steht a Glück noch zu, wo mir lieber is als jedes andere – ’s Bleiben bei Dir – und Dein Lieb’ – Dein Lieb’!“

„Kuni – Deandl!“ stammelte Götz, und heiße Thränen schossen ihm über die Wangen. „In mir – da sollst Dich g’wiß net täuschen! Was ich Dir schaffen und bieten kann, das soll Dir sicher sein!“ Eine zitternde Erregung überkam ihn, und seine Worte begannen sich zu überstürzen: „Und jetzt, Kuni – schau – jetzt kann ich mir’s schon gar nimmer denken, daß ich fort hätt’ sollen – ohne Dich.“

„Ich hätt’ Dich net ’lassen – nie net – nie!“ schluchzte sie und preßte ihr nasses, heißes Gesicht an seine Wange.

„Und mag’s a Unrecht sein, daß ich Dich fortnimm – a Unrecht gegen dem Pfarrer sein heiligs Wort – ich mach’ ja a größers Unrecht gut damit – und da is mit einer Stund’ alles g’löscht und g’hoben, was unter dem Dach da drüben durch lange Jahr’ a unguts Dauern hätt’ haben müssen. Und mir – mir schaff’ ich an Trost für meine letzten Jahr’ – und mag mir’s unser Herrgott verzeihen, daß ich a Bißl an mich selber denk’. Und gar so harb, Kuni – gar so harb sollst es auch net haben bei mir. Ich hab’ schon a Bißl ’was, wo ich mir in elf Jahr’ lang z’samm’g’spart hab – das hilft uns übern Winter fort – und bis zum Frühjahr, da will ich uns schon an Arbeit g’funden haben, und a Platzl zum Bleiben. Aber weit fort müssen wir, weit fort – daß uns keiner mehr erfragt!“

„Ja, Vater, ja!“

„Und heut’ noch müssen wir fort, jetzt in der Nacht!“

„Ja, Vater, ja!“

„In der jetzigen Stund’ noch – aber – aber na – es geht ja net – so kannst ja net fort – hast ja schier nix an! Aber wart’ – mir fallt ’was ein! Ich schaff’ Dir a G’wand!“

In zitternder Erregung löste er sich aus ihren Armen, stieß die schweren Schuhe von den Füßen und eilte davon.

Als er sein Stübchen im Gesindehaus erreichte, verrieth ihm ein lautes Schnarchen, daß er von Stoffel’s Ohren Nichts zu fürchten hatte. Lautlos sperrte er seinen Koffer auf, grub zu unterst einen strotzenden Beutel hervor, den er mit scheuer Sorge an seiner Brust verwahrte. In zitternder Eile schnürte er verschiedene Kleidungsstücke zu einem Pack zusammen, drückte sich eine wollene Mütze aufs Haar und nahm einen faltigen Mantel über die Schulter. So verließ er das Stübchen, eilte quer über den beschneiten Hof nach der Hinterseite des Wohnhauses und warf, was er trug, zu Füßen der Mauer auf die Erde. Wieder kletterte er über das aufgeschichtete Scheitholz empor. „Karli – Karli!“ rief er mit halblauter Stimme, und als er keine Antwort erhielt, schwang er sich durch das offene Fenster. Drinnen in der leeren Kammer machte er Licht, trat in den Flur hinaus und lauschte mit verhaltenem Athem über die Treppe hinunter. Aus der Stube herauf meinte er den murmelnden Klang einer hastig redenden Stimme zu vernehmen. Geräuschlos öffnete er die Thür des nebenanliegenden Stübchens und riß einen Kasten auf, der mit Frauenkleidern angefüllt war. Er nahm, was ihm zuerst in die Hände fiel – ein schwarzes Leibchen, einen gestreiften Rock, und unten aus einem Winkel ein Paar Tuchschuhe mit baumelnden Quästchen.

Auf dem gleichen Wege, auf dem er gekommen, verließ er wieder das Haus. Als er die Rückseite des Gesindetraktes erreichte, kam ihm Kuni schon mit ausgestreckten Armen entgegen. Betroffen starrte sie ihn an, als sie beim falben Schneelicht das Gewand erkannte, das er brachte – das Gewand, in welchem sie an jenem Sonntag den Pointnerhof betreten hatte. Während sie sich bekleidete, stand er wortlos abgewandt. Dann riß er das wollene Tuch von seinem Halse und band es ihr über Stirn und Haare. Auch mußte sie dulden, daß er seinen Mantel um ihre Schultern legte.

„Komm! So komm halt jetzt! Und der liebe Herrgott mag uns gut sein auf unserm heimlichen Weg!“

Laut weinend warf sich Kuni an seinen Hals. Er aber wehrte sie sanft von sich ab, faßte sie bei der Hand und zog sie mit sich hinaus auf die beschneite Wiese und in das dichte Gestöber.

Sie gingen den gleichen Weg, den Kuni einst gekommen.

Als sie den steilen Hang hinter dem Garten überwunden hatten, hielt Götz schwer athmend inne und wandte die Augen nach dem Gehöft zurück.

„So b’hüt Euch Gott halt,“ schluchzte er, „und b’hüt Dich Gott, Du Haus, Du liebs – vom Unfried’ bist erlöst – mag jetzt der Frieden wieder Einkehr halten unter Dei’m Dach!“

Nun schritten sie wortlos bergwärts durch den weißen Schnee und hinter ihnen löschten die fallenden Flocken die Spur ihres Weges.


(Fortsetzung folgt.)


  1. Deandl, vom Vater zur Tochter gebraucht, hat nur die Bedeutung von „Kind!“.


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 854. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_854.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)