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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)


und wird an der äußeren Ledersohle befestigt, genau wie an dem Stiefel der gesunden Seite. Das Oberleder wird auf diese Weise um die Dicke der Korksohle höher, ein Umstand, den Fremde gewöhnlich gar nicht bemerken. Freilich läßt sich diese Maßregel nur beim Anfertigen der Schuhe ausführen. An gebrauchten Schuhen läßt sich die Sohle nur durch Aufnähen weiterer Ledersohlen erhöhen, wodurch die Schuhe aber schwer werden und dem Auge sofort auffallen. Den Absatz allein zu erhöhen, widerrathe ich entschieden.

Beim anhaltenden Sitzen lasse man auf der niedrigen Seite ein Buch von entsprechendem Durchmesser unter die Gesäßhälfte legen. Beim Stehen lasse man vor allem das einseitige Stützen auf das längere Bein nicht zu, weil bei der schlaffen Nebenstellung des andern Beines allemal die Schuhe an sich tiefere Hüfte sich senkt und so die Verkrümmung stärker wird.

Um aber die Verkrümmung in nicht zu langer Zeit dauernd zu beseitigen, muß vorübergehend die niedrige Seite übermäßig erhöht werden. Das läßt sich bei allen Uebungen im Stand und bei vielen Geräthübungen leicht ausführen Wenn es die linke Seite ist, nach welcher sich die Wirbelsäule ausgebogen zeigt, sodaß der linke Tailleneinschnitt verringert oder verschwunden ist, während die rechte Hüfte stark vorspringt, so gebe ich auf den Uebungstafeln bei den Standübungen an: „Linken Fuß erhöht“; bei den Leiterübungen mit aufgestemmten Füßen: „ Rechten Fuß tiefer“, das heißt, ich lasse den rechten Fuß von unten an die Sprosse sich anlegen, auf welcher der linke sich anstemmt; und bei manchen Hang- oder Stützhangübungen lasse ich die linke Hüfte heben oder beide gestreckte Beine nach links bewegen.

Solche Uebungen lasse ich in beiden Fällen machen, sowohl wenn eine einfache untere Ausbiegung vorhanden ist, als auch, wenn ich es mit einer statischen Verkrümmung zu thun habe, wenn also das eine Bein kürzer ist als das andere.

Eine derartige Erhöhung des einen Beines läßt sich leicht mit der ersten Uebung verbinden, was geschehen muß, wenn eine doppelte Verkrümmung da ist, wenn z. B. der obere Theil der Wirbelsäule nach rechts, der untere nach links ausgebogen ist. Dann lautet meine Vorschrift. „Armheben seitwärts, rechts mit Belastung bis Klafterhalte, linken Fuß erhöht.“

Die häufigste Verkrümmung, welche aber von den Angehörigen oft gar nicht bemerkt wird , ist die flache Ausbiegung nach links über die ganze Länge der Wirbelsäule. Häufig bemerkt man dabei auch eine höhere Stellung des linken Schulterblatts. Solche geringe Verkrümmungen zeigen sich meist in den ersten Schuljahren, gewöhnlich in der Zeit vom 8. bis 10. Lebensjahre. In manchen Fällen gleicht sich diese Verkrümmung allmählich wieder aus; in vielen Fällen aber entsteht, wohl durch die Schreibhaltung, allmählich in der Höhe der Schulterblätter eine zweite Verkrümmung nach rechts, während die vorher lang gewesene Ausbiegung nach links sich auf den untersten Theil der Wirbelsäule beschränkt. Zuweilen bleiben auch die obersten Wirbel, in der Höhe des Nackens, nach links abgewichen. In dieser Weise entstehen die meisten zwei- und dreifachen Skoliosen.

Bei dieser langen linksseitigen Verkrümmung empfehle ich für die häusliche Behandlung das „Einseitig Tiefathmen“ (vergl. Abbildung S. 217). Der Patient hebt den gestreckten rechten Arm bis zur Hochstreckhalte, stemmt die linke Hand, alle Finger nach vorn gerichtet, nahe der Achselhöhle in die linke Seite und holt dann möglichst tief Athem, wobei er während des Einathmens den Druck der linken Hand allmählich nach Kräften verstärkt und bei der Ausathmung mit dem Druck nachläßt.

Mit diesen einfachen und überall ausführbaren Uebungen würden sich die meisten stärkeren Skoliosen verhüten lassen; nur müssen die Uebungen ganz sorgsam und gewissenhaft ausgeführt und überwacht werden. Ich wende mich mit diesen Zeilen hauptsächlich an die Mütter, welche mit sorgsamem, liebendem Auge ihre Lieblinge überwachen.

Noch besser ist es freilich jedenfalls, wenn durch Verhütung schlechter Gewohnheitshaltung, Vermeidung schiefen Sitzens beim Schreiben, Einführung guter Schulbänke die Entstehung auch der unbedeutendsten Verkrümmung der Wirbelsäule verhütet wird. Dahin aber wird es wohl niemals kommen, und so habe ich mich durch vorstehende Lehren wenigstens bemüht, die Zahl der ausgebildeten Skoliosen zu verringern.

Ich habe aber damit durchaus nicht Wasser auf die Mühle der Kurpfuscher leiten wollen, welche grade in der Orthopädie so häufig sind und ohne wissenschaftliche Vorbildung alle möglichen orthopädischen Formfehler in Behandlung nehmen. Auch bei orthopädischen Fällen, von deren Heilung so oft das Lebensglück abhängt, muß, wie in allen Krankheiten, allemal ein Arzt zugezogen werden.




Blätter und Blüthen.

Liszt in Berlin. Niemals hat ein musikalischer Virtuose, ein junger Meister solche Lorbeern geerntet, solche Begeisterung erweckt wie Franz Liszt in seiner glänzenden Konzertperiode von den Jahren 1840 bis 1847. Und in dieser Periode bildet wiederum sein Aufenthalt in Berlin 1842 den glänzendsten Abschnitt. In der eingebenden Biographie „Franz Liszt“ von L. Ramann, von deren zweitem Band die erste Abtheilung vorliegt (Leipzig, Breitkopf und Härtel), findet sich eine Darstellung aller Huldigungen, welche Franz Liszt damals in der preußischen Hauptstadt zu Theil wurden – und diese Darstellung ist um so interessanter, als sie zugleich eine Charakteristik jener Zeit ist. Nach der Thronbesteigung des kunstsinnigen Königs Friedrich Wilhelm IV. regte sich nicht nur neues politisches Leben, auch eine Begeisterung für die Kunst, die nicht recht wußte, wohin sie sich wenden sollte, ob sie mit dem König für Ludwig Tieck und die Romantiker und Bauten des Mittelalters schwärmen, ob sie sich für die Sänger der politischen Freiheit wie Georg Herwegh, der ja auch von dem König empfangen worden war, enthusiasmiren sollte. Und in diese Epoche allgemeiner geistiger Erregung fiel die Kunstreise von Liszt und sein Aufenthalt in Berlin; und da das Klavier ein neutraler Boden war, so wandte sich ihm die ganze in Fluß gekommene Bewegung zu, alle Parteien vereinigten sich in der Bewunderung des Virtuosen und die ganze nervöse Erregtheit jener Epoche kam dabei mit ins Spiel.

Wenn wir heute von jenen Huldigungen lesen, so erregen sie bei uns ein Gefühl der Verwunderung. Vom 27. Dezember 1841 bis 2. März 1842 gab Liszt mehr als 20 Konzerte, eine Weltlitteratur in Noten. Die Kritik war überschwenglich. Rellstab rühmte seine scharf ausgeprägte Rhythmik, seine flammenden Accente,. sein Zusammenfassen der Ton- und Satzgruppen zu Gedankengängen, seine märchenhafte Technik, die jede Nüance der Empfindung vom seelischen Hauch bis zur höchsten Gluth und Gewalt der Leidenschaft wiedergab. Oktaven, Doppelgriffe, Passagensprünge aller Art habe er mit einer Hand ausgeführt, wie mit zwei Händen, mit einer Sicherheit und Leichtigkeit, die man bisher nicht für menschenmöglich gehalten. Der vierte Akt von Meyerbeers „Hugenotten“ wurde am Klavier im weißen Saale des Königsschlosses vorgespielt. Liszt vertrat hierbei den instrumentalen Theil und spielte ihn aus der Partitur, jede Hand ein Orchester! Nur zwölf Konzerte gab er für sich, die übrigen zu wohlthätigen Zwecken. Drei derselben hatte er der studirenden Jugend gewidmet. Bei ihr hatte er eine Begeisterung erweckt, die zu solchem Sturm anschwoll, daß, als er nach einem Konzert, um nach Hause zu fahren, seinen Wagen bestieg, die Studentenschaft die Pferde ausspannte und ihn unter lautem Hochruf der umstehenden und bis zum Hôtel ihn begleitenden Volksmassen nach Hause fuhr. Er verkehrte mit den ersten wissenschaftlichen und künstlerischen Größen der Hauptstadt; besonders aber zeichneten ihn der Hof und König Friedrich Wilhelm IV. aus.

Darüber erfahren wir einige wenig bekannte Anekdoten. Der König hatte ihm nach einem Konzert im Opernhaus einen kostbaren Brillantring durch seinen Adjutanten überreichen lasten. Brillanten waren das bei jedem Virtuosen gebräuchliche Geschenk des Hofes. Liszt aber hielt sich für etwas Höheres als die gewöhnlichen Virtuosen: er sah in diesem Geschenk eine Beleidigung und warf das kleine Etui in die Koulissen mit den Worten. „Ich brauche ja so etwas nicht!“ Noch ehe der Kavalier, der das Geschenk überreicht hatte, den Vorgang begriff, sprang eine Dame aus den Koulissen hervor und reichte ihm das Etui mit dem Ausruf: „Herr Liszt – aus lauter Freude lassen Sie ja das Geschenk aus den Händen fallen!“ Diese Geistesgegenwart Charlotte von Hagens rief seine Besonnenheit zurück und sich gegen den Kavalier wendend, sprach er:

„Majestät sind sehr gütig gegen mich.“

Vor der gefeierten Schauspielerin aber verbeugte er sich ehrerbietig und zog ihre Hand an seine Lippen mit den Worten.

„So eine wohlthätige Hand muß man segnend küssen.“

Das Etui aber nahm er nicht. Später verlieh ihm der König den Orden Pour le mérite, der weder vorher noch nachher einem Virtuosen zu Theil geworden.

Es hatte sich das Gerücht verbreitet, Liszt habe mit einem sehr glücklichen Spieler, dem Baron von Rosenberg, gespielt und sei von diesem ruinirt worden. Eines Abends wurde er in das Palais der Prinzeß Wilhelm, der jetzigen Kaiserin-Wittwe, befohlen, die ihn in ihrem Wohnzimmer empfing, ihn fragte, ob ihm nichts fehle, ob er nicht der Freunde bedürfe, er habe Verluste gehabt. Liszt war sehr erstaunt, und sein Erstaunen wuchs, als ihm die Prinzessin ein Portefeuille einhändigte, das ihn aus seiner Verlegenheit und von Rosenberg befreien würde. Das Portefeuille enthielt 20 000 Thaler. Nun klärte sich die Sache auf, und Liszt erklärte, daß er ein Gelübde gethan, nie um Geld zu spielen.

In Berlin reihte sich Fest an Fest. Konzerte, Aufführungen im Opern- und Schauspielhaus, Privatgesellschaften hatten nur Werth, wenn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_218.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)