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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Wer in München Lust nach einem guten Punsch hatte, verschaffte sich einen der zahllos ausgegebenen Scheine zur freien Benutzung der königlichen Hofapotheke und holte sich dort ruhig seine Flasche Rum, Zucker und Citronen. Die von seinen Beamten bei Max Joseph allerunterthänigst erflehte Unterstützung zu einer kleinen Badereise des abgearbeiteten Familienoberhauptes fiel leicht so reichlich aus, daß dieses mit Frau und Kindern den Sommer in Tegernsee zubringen konnte, und der gute König sah darin nichts Unangemessenes, sondern freute sich, wenn er den Leuten dort begegnete, wo er in dem schöngelegenen Schlosse die herrlichsten Zeiten zubrachte, aber auch riesenhafte Summen verbrauchte.

Und nun auf einmal dieser sparsame, nüchterne Monarch, der die Augen überall hatte und sich in einer unerhörten Weise um Dinge kümmerte, welche die Majestät nichts angehen! Nächst der freien Apotheke war die freie Wäsche in der königlichen Hofwaschküche ein sehr angenehmes Privilegium für alle die, welche auch nur die entfernteste Beziehung zu einer Hofcharge hatten, sei es der Oberhofmarschall oder der Ofenheizer. Nun stand, wie mir ein Zeuge jener Tage einst erzählte, in der ersten Karwoche seiner Regierung König Ludwig am Fenster nach den inneren Residenzhöfen zu und sah, in Gedanken verloren, auf die Wagen, die, mit Bündeln schmutziger Wäsche beladen, durch das Thor der Residenzstraße herein rollten, den Hof passirten und in der Region der Waschküche verschwanden. Endlich fiel ihm doch die überaus große Anzahl dieser Wagen auf, die eine förmliche Kette bildeten; er ließ den Schloßverwalter rufen und hörte von diesem die demüthige Auskunft, daß der höchstselige König einigen bedürftigen und würdigen Personen erlaubt habe, ihre Wäsche in der Hofwaschküche waschen zu lassen.

„Einigen Personen?!“ fuhr ihn Ludwig an. „Ich stehe nun bald eine Stunde am Fenster, und noch ist kein Ende. Das ist ein Unfug, ein heilloser Unfug, das muß aufhören!“

Und es erging strenger Befehl, die Bündel ungewaschen zu lassen, die Waschküche zu sperren bis Osterdienstag und vorher kein Stück, dann aber alles schmutzig zurückzuliefern, mit einem strengen Abschreckungswort, jemals wiederzukommen.

„Und sehen Sie,“ schloß mein alter Gewährsmann diese ergötzliche Geschichte, „an jenem Ostersonntag hatte halb München kein sauberes Hemd anzuziehen!“

Bei den Ersparungen an der Hoftafel aber sollte Ludwig die Grenzen der königlichen Allmacht innewerden. Er theilte wohl seinem Hofmarschall als neue Entdeckung mit, daß man in bürgerlichen Häusern aus altem Brot Knödel mache, und befahl auch, solche auf die Tafel zu bringen, begegnete aber einer so entrüsteten, stummen Renitenz seiner Hofherren, als das harmlose Nationalgericht wirklich erschien, daß er es aufgab, sie dazu zu bekehren.

Aber wenn auch die Knödel von der Speisekarte verschwanden, so konnten die Herren doch nicht hindern, daß der unter Vater Max so reichliche Küchenzettel bedeutend vereinfacht wurde. Der König betrachtete das Essen als Nebensache; seine Tagesordnung war viel mehr auf Arbeit, als auf Genuß gerichtet. Sein Licht glänzte allmorgendlich um halb fünf Uhr als das erste am Residenzplatz auf, und bis der späte Wintermorgen hell wurde, hatte der König schon Stöße von Berichten und Akten erledigt. Dann begab er sich zum Frühstück. Daß ein Herrscher, der es mit seinem Beruf so ernst nahm und bedeutende Geisteskräfte in sich spürte, sich zu starker Selbstherrlichkeit entwickelte, ist natürlich, und in Ludwigs genauer Biographie dürfen die Schattenseiten einer so absoluten Herrschaftsführung nicht fehlen, die recht oft sein Bild zu einem abstoßenden machen. Aber die großen Wirkungen seiner energischen Persönlichkeit in anderer Richtung stehen ebenso fest, der geniale Blick, mit dem er oft viel weiter sah als seine Zeitgenossen. Wie prophetisch war sein Wort. „Ich will aus München eine Stadt machen, die Deutschland so zur Ehre gereicht, daß keiner Teutschland kennt, wenn er nicht auch München gesehen hat.“

Die Kritik schlug damals ein Hohngelächter auf über eine solche Anmaßung: die Pinakothek wurde Dachauer Gemäldegalerie, der Obelisk auf dem Karolinenplatz der Nymphenburger Grenzpfahl genannt; Saphir witzelte über die paar Häuser, die in München zusammengekommen seien, um „Stadt zu spielen“.

Andere bewiesen dann ernsthaft, daß München niemals so wachsen könne, um die überall in die Steinwüsten hinaus verstreuten Denkmale einzuschließen, abgesehen davon, daß diese Denkmale buntscheckig in allen Stilen, also ein ästhetisches Unding seien. Und heute liegt ein dichter Kranz von Häusern und Villen rings um diese Bauten und über ihre Stilberechtigung denkt niemand mehr nach, weil sie bereits historisch geworden sind und die Erinnerungen von zwei Generationen daran haften. Aber ihre weise Vertheilung nach allen Richtungen hin hat die gleichmäßige Ausbreitung von München bedingt.

Auch das Geschrei über Ludwigs Geiz beginnt zu verstummen. Sein oft ausgesprochener Grundsatz: im Kleinen zu sparen, um es dann im Großen für ideale Zwecke verwenden zu können, hat zu sichtliche Wirkungen geübt. Lächeln macht es uns heute freilich, die Einzelheiten seines Sparsystems zu betrachten. Heigel erzählt z. B., daß der König einen alten Rock vierzig Jahre lang unverdrossen immer wieder flicken ließ und stets zum Rasiren anzog, auch daß er, wenn beim Ausgehen Regen drohte, schnell einen Lakaien schickte, seinen alten Regenschirm zu holen, um den neuen zu schonen: „’s ist schade darum, er hat sieben Gulden gekostet.“

Sehr charakteristisch in dieser Hinsicht ist eine mir von Augenzeugen berichtete Geschichte, welche ins Jahr 1856 fällt, um welche Zeit der junge Kaiser Franz Joseph nach München zur Brautwerbung kam. König Ludwig, als Inhaber eines österreichischen Regimentes, fühlte die Verpflichtung, dessen Uniform zum Empfang des jungen Monarchen zu tragen; als man aber das ehrwürdige Kleidungsstück hervorholte, erwies es sich, daß das kurze Schwalbenschwanzfräckchen sehr bedeutend von dem nunmehrigen österreichischen Waffenrock abstach; auch wollte der alte Tschako die Stirn mit dem Auswuchs durchaus nicht mehr decken. Einerlei – der Gedanke, für den einen Tag eine neue Uniform machen zu lassen, konnte vernünftigerweise nicht gedacht werden, und so legte denn der alte Herr trotz verzweifelter Gegenwehr seines Kammerdieners harmlos und fröhlich die Reliquie aus den Befreiungskriegen an, hielt die Linke mit dem Tschako auf den Rücken und stieg an der Seite des jungen Kaisers die Ludwigsstraße hinunter, lebhaft mit der Rechten gestikulirend und die Honneurs seiner Straße machend. Er hatte es durchgesetzt und zog am Abend hochvergnügt das alte Fräcklein aus: hundert Gulden zum mindesten waren erspart!

Bekannt ist auch, daß er es durchaus nicht liebte, als König mehr zahlen zu sollen, als andere. Kleine Bouquets und dergleichen ließ er sich gern durch Farbenreiber aus den Ateliers bei der nächsten Blumenfrau holen, weil er meinte: „Mir verlangt man zu viel dafür ab!“ und der Botenlohn dafür entsprach jedenfalls viel mehr den Verhältnissen des Farbenreibers als denen des Königs.

In den Ateliers war er ständiger Gast, nicht immer zum Entzücken der Inhaber, die sein lebhaftes Dreinreden beim Beginnen der Arbeit gern entbehrt hätten. Allein er ließ nicht nach und wanderte so unermüdlich auf den Gerüsten von Cornelius, Heß und anderen umher, daß ihn seine Künstler scherzweise den Oberpolier nannten.

Wie sie aber innerlich doch zu ihm standen, das zeigte das große historische Künstlerfest des Jahres 1840, das erste seiner Art und, wie heute die Siebziger stolz versichern, das schönste, welches jemals dagewesen. Einzig war es jedenfalls durch die intime Theilnahme des Königs an der Feier, welche im Hoftheater stattfand und die Begegnung Kaiser Maximilians in Augsburg mit Albrecht Dürer zum Gegenstand hatte. Die Kostüme waren mit solcher Treue hergestellt, daß z. B. im ganzen langen Zug kein einziger Knopf zu sehen war, alles mit Nesteln geschlossen, wie es vor Erfindung der Knöpfe üblich. Ueber die Person des Kaisers war das Komitee lange Zeit rathlos – in der ganzen Münchener Künstlerschaft wollte sich Maximilians bartloses Gesicht mit der großen Nase nicht finden, bis plötzlich in der elften Stunde ein eben mit dem Eilwagen angekommener Hamburger Maler Namens Lichtenheld in die Künstlerkneipe trat, ahnungslos über alles, was darin berathschlagt wurde, und sich plötzlich von allen Seiten angeschrieen hörte. „Da ist ja der Kaiser, da haben wir ihn!“ Als der junge Mann begriffen hatte, daß er nicht unter Wahnsinnige gerathen sei, nahm er die oberste Würde der Christenheit mit Vergnügen entgegen; die Aehnlichkeit soll denn auch in der That eine frappante gewesen sein. Als eine Woche später der große Festzug sich unter Musik und Jubel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_403.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)