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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Das hielt uns aber nicht ab, liebes Aennchen,“ fiel ihr der Gatte ins Wort, „recht gute Freunde zu werden. – Ich war der einzige von ihren näheren Bekannten , der aus eigener Anschauung das Meer kannte und ihre Freude am Rudern und jeder Art Wassersport theilte, was ich bei gelegentlichen Tagespartien an die nahen Seen von Starnberg und Tegernsee auch bewährte. Wenn wir trotzdem auch damals noch nicht unser Herz entdeckten, so war eben der kordial gemüthliche Ton unseres Verkehrs daran schuld, an den wir uns gewöhnt hatten, und ferner – die große Aehnlichkeit unserer Anschauungen und Neigungen; das Gesetz der Goetheschen ‚Wahlverwandtschaften‘ konnte sich zwischen uns gar zu wenig geltend machen. Ein alter griechischer Philosoph hat gesagt, der Streit sei der Vater der Dinge. Und die antike Mythologie macht den Kriegsgott zum Geliebten von Aphroditen und giebt beiden zum Kind Eros, den Gott der Liebe. Heutzutage unterschätzt man meist die segenbringende Bedeutung des Streits für die Liebe. Tatsächlich bringt er noch immer die Herzen schneller zusammen als Nachgiebigkeit und Friedfertigkeit. Wir aber stritten uns nie oder wenigstens fast nie. Wir hatten so ziemlich denselben Umgangskreis und trafen uns daher oft in Gesellschaft. Wenn ich durch irgend eine Behauptung zum Widerspruch gereizt ward, konnte ich sicher sein, sie auf meiner Seite zu haben, und trat wiederum sie für irgend eine Ansicht mit Begeisterung ein, so mußte ich nolens volens sie unterstützen. Nur wenn der Frühling kam und die verschiedenen Reisepläne der einzelnen zum Hauptthema wurden, dann standen wir uns oft als streitbare Kämpen gegenüber. Ich schalt es unfruchtbare Einseitigkeit und Philistrosität, bei so jungen Jahren immer demselben Landschaftsgebiet seine Motive zu entlehnen und sie nannte unsere herrliche Alpenwelt, im besondern die Oberbayerns, monoton und die Genrebilder mit den ewig lachenden Sennerinnen und den sakrisch schneidigen Bu’en langweilig im Verhältniß zu der Fülle höchster Poesie, welche das Meer und seine Uferlandschaft in all ihren Wandlungen dem kundigen Auge böten. Dann konnten wir scharf aneinander gerathen, und wenn ich in solchen Momenten ihre Augen drohend und mit flammendem Blick auf mich gerichtet sah, wenn ihre Stimme zum Dolmetsch leidenschaftlichen Empfindens wurde, dann überkam mich unversehens ein sonst nicht gekanntes Verlangen, diese trotzigen Lippen zu küssen, diese stürmisch bewegte Brust an die meine zu drücken.“

„Aber Fritz, nun werde ich ernstlich böse. Du sprichst ja wirklich von mir, wie von der Heldin einer Novelle, aber nicht, wie es sich schickt, wenn Du von Deiner Frau erzählst. Wie ich dazu gekommen, trotz allem mein Leben an das eines so ungezogenen Wildfangs zu ketten, dies zu erklären, scheint mir jetzt die dringendste Aufgabe zu sein. Damit Sie aber überhaupt dies begreiflich finden, müssen Sie sich schon die Mühe geben, ihn sich etwas rücksichtsvoller und zartfühlender vorzustellen, als er eben erschien. – Nur ruhig, Männchen! – Die Ferien standen wieder einmal vor der Thür und ein Streit von jener Art, wie mein Mann eben angedeutet, hatte hohen Wellenschlag verursacht. Er hatte mir vorgeworfen, daß ich mich in eine Antipathie gegen unser schönes Hochgebirg hineingeredet habe, die um so bedauerlicher und haltloser sei, als ich dasselbe ja gar nicht richtig kenne. Und ich hatte ihm – mit mindestens ebenso viel Berechtigung – das Gleiche vorgehalten in Bezug auf meine nordische Heimath. Als ich an jenem Abend, von dem Hausmädchen der freundlichen Professorswitwe, bei welcher ich wohnte, begleitet, die Villa des Gastgebers verließ und über die Schwanthaler Höhe meiner Wohnung zuschritt, beschäftigte mich der mir gemachte Vorwurf bald um so mehr, als ich an einer nach Süden sich frei öffnenden Stelle durch einen wunderbaren Blick auf die im Mondlicht klar vom blauen Sternenhimmel sich abhebende Alpenkette aufs angenehmste überrascht und mächtig ergriffen wurde. Ein älterer Maler, Landschafter wie ich, der mir schon immer wohlwollte, hatte so begeistert von dem größten der bayerischen Seen, dem Chiemsee, gesprochen, er hatte mir versichert, daß dessen weite Fläche mit dem erhaben schönen Kranz der Alpenberge um ihn her, obgleich ihm die Bewegung von Ebbe und Fluth fehle, dem Marinemaler die reichste Ausbeute lieblicher und bedeutender Motive erschlösse, und seine Einladung, ihn und seine Familie zum Ferienaufenthalt auf die idyllisch schöne Fraueninsel mitten in diesem See zu begleiten, erschien mir immer mehr in verlockendem Lichte. Daß mein Antagonist gesagt hatte, er würde dann auch dort sein, dieser Thatsache legte ich bei dem Vorgange wenig Bedeutung bei.

Der Wunsch, endlich einmal den leidigen Streit im Wege der Erfahrung zu schlichten, ging mir auch weiterhin nach. Briefe von daheim brachten mir die Mittheilung, daß diesmal mein Besuch mit mehreren unvermeidlichen Störungen verknüpft sein würde. Ein Bild, das ich auf Bestellung zu malen hatte und noch vor der Abreise fertigstellen wollte, hielt mich wider Erwarten lange in München zurück. Alles dies bestärkte mich in der Absicht, diesen Sommer endlich einmal die vielbegehrte Ausnahme zu machen und, statt nach Holland ans Meer, in das bayerische Hochland nach dem Chiemsee zu gehen. Aber Mittheilung davon machte ich niemand. Auch den Gastfreunden nicht, die ich auf Frauenwörth überraschen wollte, am allerwenigsten dem geehrten Herrn Ateliernachbar, der sich dann womöglich eingebildet hätte, er wäre es, der diesen Entschluß bewirkt. Er, wie seine Freunde, waren bereits ausgeflogen, als ich endlich mit nicht geringer Spannung nach dem Chiemsee aufbrach. O, wie entzückte mich der Anblick des weiten breiten Binnenmeers, dessen Spiegel so groß ist, daß seine Ufer sich nicht überblicken lassen, und das doch einen umfriedeten Eindruck macht, weil ringsherum stolze Alpenketten oder kleinere Höhenzüge sein Weichbild umrahmen. Und wie erfrischend wehte mich die kräftige Alpenluft an, die von der nahen Kampenwand herniederblies und das klargrüne Wasser des Sees lustig aufkräuselte, so daß der Einbaum, in dem ich mich aus Liebhaberei, das Dampfboot verachtend, von zwei Schiffern zu der fernen Insel hinüberfahren ließ, ganz wie bei einer Meerfahrt im Falle günstigen Windes fröhlich auf und nieder sich bäumte!

Welche Fülle malerischer Motive zeigte sich je nach der Nähe und Ferne der Ufer schon bei dieser Fahrt meinen entzückten Augen! Wie prächtig hoben sich die dunklen Laubwälder der größeren Insel Herrenwörth in die sonnige Luft und wie reizend – schön wie ein Poetentraum! – bot sich schließlich das kleine Eiland dar, auf dem neben uralten Lindenbäumen das Kirchlein des alten Frauenklosters mir entgegengrüßte! Und dann auf der Insel die Begrüßung, die festliche Bewillkommnung! Ich kam wirklich überraschend; um so unmittelbarer war der Ausdruck herzlicher Freude über mein Kommen von seiten meiner Freunde sowohl als der übrigen mir meist wohlbekannten Mitglieder der kleinen Malerkolonie, die sich in den gemüthlichen Räumen des alten Wirtshauses neben der Kirche häuslich niedergelassen hatte.

Alles übertraf meine Erwartungen. Nur in einer Beziehung fühlte ich mich enttäuscht, mehr als ich es für möglich gehalten hatte: Herr Breitinger befand sich nicht bei der Gesellschaft. Nachdem er jahraus jahrein mir von dem fidelen Künstlerleben in den Bergen vorgeschwärmt, nachdem er indirekt die besondere Veranlassung meines Entschlusses geworden war und er mir doch bei jenem Gespräch versichert hatte, daß auch er diesen Sommer hierher gehen wolle, war er nicht da! Das war doch mehr als Gleichgültigkeit. Ich beachtete nicht, daß er ja nur die Zusage für den Fall meiner Herkunft gegeben und er von dieser durch mich absichtlich nichts erfahren hatte. Wer weist, wo er nun hingegangen, sagte ich mir, und als auf ihn einmal das Gespräch kam, suchte ich möglichst unbefangen die Antwort darauf in Erfahrung zu bringen, doch ohne besonderen Erfolg; er werde wohl wieder nach Mittenwald gegangen sein, wo er schon in früheren Jahren immer am längsten ausgehalten habe, angezogen von der herrlichen Lage und dem lebhaften Volksleben des alterthümlichen Geigenmacherdorfs am Fuße des alten Karwändel. Es machte sich dann – ohne mein Zuthun natürlich, denn ich wollte nach dieser Rücksichtslosigkeit gar nichts mehr von ihm wissen – daß wir einige Wochen später einen Ausflug mehr ins Innere des bayerischen Hochgebirgs und über den Kochel- und Walchensee in das Isarthal machten, wobei wir auch in den genannten Lieblingsaufenthalt des Treulosen geriethen; aber auch hier war er nicht anzutreffen.“

„Und das war sehr natürlich,“ nahm jetzt der Maler wiederum das Wort. „Denn der Treulose verdiente diese Bezeichnung damals wahrlich am wenigsten in Bezug auf meine geehrte Vorrednerin, sondern ganz allein in Rücksicht auf sein geliebtes Hochgebirg. Mir war es seit jenem Streit eigenthümlich gegangen. In jener Mondnacht, welche so zaubermächtig auf die Entschlüsse meiner Gegnerin eingewirkt hatte, war ich noch lange in einer mir ganz neuen Verfassung in den Straßen Münchens umhergeschweift. Ich hatte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_574.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)