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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Die Fahrradausstellung in Leipzig.

Die Kette von Ausstellungen, welche unser Jahrhundert durchzieht, hat besonders in letzter Zeit manchmal recht schwache Glieder angesetzt, die sich trotz lauten Gerassels nicht eben der Gediegenheit rühmen konnten (so die Kinderausstellungen in Amerika, die Schönheitskonkurrenzen von Budapest, Spaa, Turin etc.). Da ist ihr denn gleichsam wieder einmal ein neuer vollwerthiger massiver Ring angereiht worden. Wir meinen die „Erste große allgemeine Ausstellung von Fahrrädern und Fahrradutensilien in Deutschland“, welche vom 23. Februar bis 3. März dieses Jahres in Leipzig abgehalten wurde. Aus nah und fern waren die Ausstellungsgegenstände herbeigeschafft worden, etwa 150 Firmen hatten sich betheiligt, und vornehmlich waren es Deutschland und England, deren Erzeugnisse sich in friedlichem Wettstreite mit einander maßen. Wie in Schlachtordnung zogen sich die langen Reihen der Fahrmaschinen durch die weiten Ausstellungsräume des Leipziger Krystallpalastes, schlossen sich zu Vierecken zusammen oder liefen in einzelne Vorposten aus. Ein Glitzern und Funkeln ging von den blank geputzten Rädern aus wie eitel Waffenglanz. Fürwahr, ein seltenes Bild! und wir verstanden den Bauern recht gut, welcher, solchen Anblicks ungewohnt, seinen Sohn fester an die Hand nahm, um ihn nicht unter das Gewirr der Räder kommen zu lassen.

Kröners Fahrmaschine aus dem Jahre 1846. Nach einer alten Lithographie.

Wir flüchten aus dem Klangbereich einer Signalglocke, deren schriller Ton in unserer Nähe erprobt wird, und stehen in einer Nebenhalle vor der historischen Ausstellung. In der Mitte derselben erhebt sich vor uns die 1817 von einem Deutschen, dem Freiherrn von Drais, erfundene Schnelllaufmaschine, deren Bild und Beschreibung wir unseren Lesern schon im Jahrgang 1886, S. 129 gebracht haben: ganz aus Holz, gleich einem ungelenken Pfluge lehnt sie da, ein Bild unglaublichster Plumpheit und dennoch die Ahnfrau des heutigen Stahlrades. Ein Stück Kulturgeschichte wird uns durch eine ganze Reihe solch ungefüger Holzgestelle vergegenwärtigt, von denen jedes folgende fortschreitend an Form gewinnt, bis es uns, beim letzten angelangt, nicht schwer wird, den Uebergang zu der heutigen Vollkommenheit des Stahlrades zu finden. Aber die Geschichte des Fahrrades wird durch das in dieser Gruppe zusammengestellte nicht erschöpft; wir vermissen z. B. ein Modell, das seinerzeit großes Aufsehen erregte.

Im Frühjahre 1846 baute sich nämlich der Lehrer Kröner in Markersdorf bei Chemnitz einen Kunstwagen, mit dem er allein fahren konnte, da der Arzt ihm nach einer überstandenen schweren Krankheit den Rath gegeben hatte, möglichst viel zu fahren. Die Fahrmaschine wurde von Kröner im Laufe der Zeit mehrmals verbessert, und als der Erfinder in das Voigtland übergesiedelt war, wurde damit im Jahre 1859 selbst eine Fahrt nach Karlsbad in Böhmen unternommen. Die Zeitungen brachten Berichte über diese Fahrt, und das Interesse für den Kunstwagen wurde so rege, daß der Erfinder sich veranlaßt sah, sich seine Erfindung vom Staate Sachsen patentiren zu lassen und einen Vertrag mit einer Maschinenfabrik über die Verwerthung derselben abzuschließen. – Die vierrädrige Fahrmaschine, von welcher unsere Abbildung eine Anschauung giebt, hatte kein übles Aussehen. Die Trittbewegungen des Fahrenden waren durch einen Wagenkasten dem Blick des Zuschauers entzogen; die rechte Hand war frei, so lange die Bremse nicht benutzt wurde, und das Lenken mit der Linken nicht auffällig. Auf nicht zu steilem, wohlgebahntem Wege saß der Reisende gemächlich im bequemen Sessel ohne eine Spur von Anstrengung. War auch die Schnelligkeit nicht so bedeutend, wie sie jetzt mit dem Zweirad erzielt wird, so war doch infolge des bequemen Sitzens selbst in bergigen Gegenden die Ermüdung sehr gering.

A. v. Wedells „Kaiserrad“ (1889). Nach einer Photographie von R. Herrmann, Hofphotograph, in Leipzig.

Dieselben Erfahrungen machte auch der Sohn des Erfinders bei einem dreiwöchigen Aufenthalt in Paris Ende August 1860. Eine vortreffliche Bremsvorrichtung ermöglichte das plötzliche Anhalten selbst beim schnellsten Fahren, was bei dem regen Verkehr auf den Boulevards unbedingt nöthig war. Im größten Gedränge am Kreuzungspunkte der Boulevards von Sebastopol und St. Denis, wenn kein Fußgänger sich durchwagte, gelang es dem Maschinchen, sich zwischen den stockenden Fahrzeugen durchzuwinden. Auch ein Velociped nahm damals schon im Boulogner Wäldchen den Wettkampf mit der Krönerschen Fahrmaschine auf, mußte aber, obgleich mit letzterer ein Ungeübter fuhr, in seinem unvollkommenen Zustande noch hinter ihr zurückbleiben.

Freilich kam dem kunstverwöhnten Auge der Pariser das in Reichenbach im Voigtland gebaute Maschinchen etwas plump und, mit Recht, auch zu schwer vor. Heute sind diese Mängel in der Herstellung von Fahrmaschinen zum größten Theil überwunden; das zeigte uns ein Besuch des an die Ausstellungsräume anstoßenden Cirkusbaus, in welchem die Probefahrten vorgenommen wurden.

Wir wenden uns nach der kleinen Abschweifung in das Reich der Vergangenheit wieder der Gegenwart zu und treten in die bereits einmal durchstreiften Säle zurück. Es ist nicht möglich, alle die Räder mit Namen aufzuführen, die hier Aufstellung gefunden haben, wir nennen nur „Blitz“, „Pfeil“, „Giraffe“, „Schwalbe“, „Antilope“, „Falke“ und „Gazelle“, die ihren Taufpathen, denen sie ihre Namen verdanken, alle Ehre machen. Mehrfache Kugellager, in welchen die Achsen der Räder gehen, drücken die Reibung auf das kleinste Maß herab, doppelte Bremsen stehen dem Fahrer zur Verfügung, und ein federnder Sattel hebt die Erschütterung auf. An den Sätteln sind Lenkvorrichtungen angebracht, so daß die Maschine selbst noch nach einem Bruch der Lenkstange brauchbar bleibt. Die letztere und alle sonstigen Maschinentheile werden, soweit das möglich ist, hohl hergestellt, wodurch größere Haltbarkeit und leichteres Gewicht erzielt wird. Gleich vor uns steht ein hohes Zweirad, das nur 9,2 kg wiegt. Jagd- und Militär-, Zwei- und Dreiräder zeigen Vorrichtungen zur Anbringung des Gewehres, Tornisters und der Patrontaschen. Auch den Vertreterinnen des schönen Geschlechtes, deren Fußfertigkeit sich ehedem am Spinnrade, in neuerer Zeit an der Nähmaschine glänzend bewährt hat,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 285. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_285.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2020)