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Vom Radfahren

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Balduin Groller
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Titel: Vom Radfahren
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 129
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Vom Radfahren.

Das anfänglich viel bespöttelte Reitrad ist auf dem besten Wege, sich eine Art Weltherrschaft zu erobern. In allen Ländern wendet sich die Jugend dem Radfahrsport mit ganz besonderer Vorliebe zu, und wenn die Ausbreitung, welche diese Liebhaberei in den letzten zehn Jahren gewonnen, noch eine Weile in demselben Maße Fortschritte macht, so wird es bald kaum eine Stadt mehr geben, in der sich nicht mindestens ein Radfahrer-Klub aufgethan hätte. Die Erfahrungen, welche die bisherige Pflege der Radfahrkunst geboten hat, kommen dieser selbst auch wesentlich zu statten.

Das erste Velociped nach Freiherrn von Drais 1817.

Das Velociped von 1868.

Es hat sich gezeigt, daß dieser Sport ganz vortrefflich geeignet ist, die körperliche Gewandtheit bei Jenen, die sich ihm widmen, zu entwickeln, und daß er dabei verhältnißmäßig wenig gefährlich ist. So eine Fahrt auf dem windigen, schmalen, schlanken und graziösen Vehikel sieht sich viel halsbrecherischer an, als sie in Wirklichkeit ist. Jeder rechte Junge, der kein Hasenfuß ist und der auch bei anderen körperlichen Uebungen nur halbwegs seinen Mann stellt, kann schon nach wenigen Stunden, sehr oft sogar nach einer einzigen Uebungsstunde schon ein leidlich sattelfester Radfahrer werden. Und dann steht ihm die Welt offen! Er kann auf seinem Rad auch bis nach Asien hineinreiten, ein kleines Vergnügen, das sich schon mehrere Radfahrer beim besten Wohlsein geleistet. Man kann zwar heutzutage seine Reisen, wie männiglich bekannt, auch mit der Eisenbahn und, wo es Noth thun sollte, auch in einer ehrwürdigen Postkutsche und mit Hilfe noch so mancher anderer Gelegenheiten, absolviren, aber man frage einmal so ein junges Blut, ob es etwas Schöneres giebt, als so sich durch eigene Kraft rasch vorwärts zu bringen und auf dem beschwingten Rade lustig in die Welt hineinzureiten!

Das Reitrad ist das allermodernste Verkehrsmittel, und wo es zum ersten Male in Bewegung gesehen wird, wird es kaum weniger angestaunt, als vor Zeiten die ersten Eisenbahnzüge. Es nimmt sich ganz kurios aus, wie ein Mensch sich in voller Sicherheit des Gleichgewichtes mit der Geschwindigkeit eines guten Pferdes auf einem so unglaublich spindeldürren Rade fortbewegt. Und doch ist keine Hexerei dabei. Die ganze Maschine ist so einfach, daß man sich billig darob verwundern kann, daß sie nicht seit Jahrhunderten schon im Gebrauch ist. Thatsächlich reicht die Geschichte des Velocipedes gar nicht weit zurück.

Die Erfindung ist eine deutsche, wenn auch hier, wie in so vielen anderen Fällen, der deutsche Gedanke erst im Auslande der eigentlichen praktischen Verwerthung zugeführt worden ist. Der großherzoglich badische Forstmeister Karl Freiherr von Drais (nach ihm auch die Bezeichnung Draisine) hat im Jahre 1817 eine Maschine erfunden, welche als die Ahnfrau des heutigen Reitrades zu betrachten ist. Seine Fahrmaschine bestand im Wesentlichen aus zwei hinter einander stehenden Rädern mit einem einfachen Sattelsitz auf der die beiden Räder zusammenhaltenden Stange. Die Fahrt mit dieser Maschine muß sich einigermaßen komisch ausgenommen haben, denn die Fortbewegung erfolgte dadurch, daß der Reiter abwechselnd einmal mit dem rechten, einmal mit dem linken Fuße von der Erde abstieß, um sein Fahrzeug in Bewegung zu bringen und zu erhalten. Freiherr von Drais war im Stande, mit dieser seiner Maschine sieben bis acht Kilometer in der Stunde zurückzulegen. Das Ergebniß ist, wie man sieht, ein geringes, dieselbe Strecke kann heute in einer Viertelstunde zurückgelegt werden. Und dann konnte selbst jenes Resultat nur mit einer so großen Anstrengung erreicht werden, daß diese gar nicht zu jenem im rechten Verhältniß stand, da man dafür gleich ganz [130] unverblümt zu Fuße hätte gehen können, und noch dazu mit besserem Erfolge; denn es giebt Fußgänger, die 13 Kilometer in der Stunde gehen; gehen, nicht laufen.

Trotz alledem machte die Erfindung damals großes Aufsehen und nahm ihren Weg nach Frankreich und England. In England namentlich wurde sie durch einen Wagenfabrikanten Mr. Johnson, der ein Patent auf die Erfindung genommen hatte, in Schwung gebracht, und das Publikum taufte das neue Gefährt „dandy-horse“, das heißt Stutzer-Pferd. Die Herrlichkeit war nicht von Dauer; die Liebhaberei verschwand wieder von der Bildfläche, und wenn auch in der Zwischenzeit mancherlei Experimente gemacht worden sein mögen, so gelang es der Velociped-Idee doch erst in den sechziger Jahren das allgemeine Interesse wieder für sich zu gewinnen, und dieses Mal mit entscheidendem, durchschlagendem Erfolge.

Ein französischer Fabrikant, Namens Michaux, erregte 1868 auf der Pariser Weltausstellung mit einem Velociped, das im Wesentlichen schon den Charakter des heutigen Bicycles hatte, solches Aufsehen, daß nun sofort an die Produktion im Großen gedacht werden konnte. Jedes Jahr brachte neue Erfindungen für die Verbesserung der Einzelheiten. Das Velociped auf der Ausstellung war noch ganz aus Holz hergestellt, heute besteht es ausschließlich aus Eisen und Stahl und ist dabei doch leichter geworden. Die kraftaufsaugende Reibung ist auf ein Minimum zurückgeführt und durch zweckentsprechende Konstruktion des Gefährtes die Leistungsfähigkeit auf die möglichste Höhe gebracht. An der Vervollkommnung der Maschine haben die Engländer und Amerikaner einen großen Antheil; sie haben es auch verstanden, die Fabrikation an sich zu reißen und bis heute in derselben die führende Rolle zu behalten. Welcher Popularität sich das Reitrad in England zu erfreuen hat, mag aus der Thatsache geschlossen werden, daß der „Cyclists’ Touring Club“ gegen Ende des Jahres 1885 in seiner Liste 20015 aktive Mitglieder auswies. Dabei verfolgt dieser Klub keineswegs sportliche Zwecke, diese finden ihre genügende Berücksichtigung in zahllosen andern Klubs; sein Hauptziel ist vielmehr, seinen Mitgliedern die Reisen auf dem Reitrad möglichst leicht und angenehm zu machen.

Das Bicycle von 1883.

Zu diesem Behufe sorgt der Klub für die Vereinigung von Kameraden zu größeren Touren; durch möglichst ausgiebigen Schutz der Mitglieder gegen Angriffe und Insulten auf den Straßen; durch ein Uebereinkommen mit vielen Hôtels, bisher mehr als 2000! in England und auf dem ganzen europäischen Kontinente, durch welches den Mitgliedern ermäßigte Preise und aufmerksame Bedienung zu Gute kommen; durch Herausgabe guter Karten; durch Veröffentlichung von Vorschlägen zu angenehmen und zweckmäßigen Touren etc. Der Klub hat in verschiedenen Staaten besondere Konsuln, deren Pflicht es ist, den reisenden Mitgliedern mit Rath und That an die Hand zu gehen. Chef-Konsul für das deutsche Reich ist Herr T. H. S. Walker (Berlin W. Krausenstraße 18), zugleich Herausgeber des in 6000 Exemplaren erscheinenden amtlichen Organs des deutschen Radfahrer-Bundes „Der Radfahrer“, Chef-Konsul für Oesterreich Herr Th. Hildebrand jun. (Wien I, Operngasse 2).

Die deutschen Klubs pflegen gleichzeitig die Touren und den Sport mit gleichem Eifer. Der bereits erwähnte deutsche Radfahrer-Bund hat seine Hauptverwaltungsstelle in Magdeburg und setzt sich zusammen aus folgenden Gauverbänden: Hamburg, Bremen, Dortmund, Rheinland, Mannheim, Straßburg, Freiburg im Breisgau, Stuttgart, Frankfurt am Main, Würzburg, Augsburg, München, Straubing, Regensburg, Nürnberg, Bamberg, Erfurt, Hannover, Magdeburg, Stettin, Berlin, Leipzig, Dresden, Görlitz, Breslau, Posen, Frankfurt an der Oder, Stargard in Preußen, Danzig, Elbing, Königsberg, Nieder-Oesterreich, Tirol.

Damendraisine von 1885.

Die Träger der Meisterschaft sind: Herr Joh. Pundt (Berliner Bicycle-Klub „Germania“), der sich auf dem Bundestag der deutschen Radfahrer in Nürnberg am 17. August 1885 die „Meisterschaft von Deutschland im Schnellfahren auf dem Zweirade“ erkämpfte, indem er 10 Kilometer in 20 Minuten 49 Sekunden hinter sich brachte; Herr Eduard Engelmann (Wiener Cyclisten-Klub), der sich den stolzen Titel „Meisterfahrer von Deutschland im Kunstfahren“ erwarb. Man gestatte hier zur Vermeidung von Mißverständnissen eine Bemerkung einzuschalten. Die Leistung eines Champions, Trägers der Meisterschaft, bezeichnet nicht auch zugleich den besten Record, die beste Leistung überhaupt. So hat beispielsweise Herr Hillier am 6. September 1885 in Leipzig 10 Kilometer in nur 19 Minuten 142/5 Sekunden, also in kürzerer Zeit als der Champion zurückgelegt, allein deßhalb trägt Herr Pundt seinen Ehrentitel dennoch mit vollster Berechtigung. Die Meisterschaft kann nämlich nur auf einem direkt für den Kampf um sie ausgeschriebenen Rennen erworben werden; der Sieger bei diesem Rennen ist Meister, ohne Rücksicht auf irgend welche von Andern bei anderen Gelegenheiten erzielte Records. Die Meisterschaft für Oesterreich haben dermalen zwei Herren zu vertheidigen: Blovsky aus Prag und Egger aus München.

Wenn wir nun daran gehen, die besten bisher auf dem Zweirad erzielten Records ins Auge zu fassen, so werden wir nicht umhin können, auch hier die außerordentlichen Leistungen zu bewundern, deren die menschliche Kraft bei ausdauernder und rationeller Schulung fähig ist. Der beste „Flieger“, Läufer über kurze Distanzen, ist in Deutschland gegenwärtig der erwähnte Herr Pundt mit seinem Record von 2 Minuten 452/5 Sekunden über eine Meile (englisch). Das bleibt noch immer eine sehr respektable Leistung, auch wenn sie durch die kolossale Arbeit des englischen Professionals Richard Howell überboten worden ist, der, voraussichtlich für längere Zeit, seinen Record von 2 Minuten 312/5 Sekunden als den besten hingestellt hat. Um diese Zeiten zu würdigen, braucht man sich nur die Leistungen der besten Traber vor Augen zu halten: Die berühmte Maud S., das phänomenalste Pferd, das je über eine Traberbahn gelaufen, hat allerdings die Meile in 2 Minuten 83/4 Sekunde gelaufen, aber an diese amerikanische Celebrität reicht kein zweites Pferd hinan. Jedenfalls werden sich nicht leicht viele deutsche Traber finden, welche die von den Cyclisten erreichte Schnelligkeit überbieten könnten, und mit voller Gemüthsruhe kann man daraufhin beliebige Wetten eingehen.

Daß Herr Pundt übrigens nicht nur ein guter „Flieger“ sondern auch ein brillanter „Steher“ ist (Stehvermögen bedeutet in der Sprache des Sportes ausdauerndes Laufvermögen), das beweist der Umstand, daß er auch für 35000 Meter den besten Record aufzuweisen hat, und zwar 1. Stunde 16 Minuten 47 Sekunden. Der beste deutsche Steher ist aber unstreitig Herr Jahl in München. Seine am 29. Juni 1885 erreichten Records über die Strecken von 50 bis 100 Kilometer stehen noch unangefochten da. Er lief 50 Kilometer in 1 Stunde 51 Minuten und 51 Sekunden, und 100 Kilometer in 3 Stunden 50 Minuten 55 Sekunden.

Den besten Record innerhalb 24 Stunden hat bisher Herr Jos. Kohout, Ex-Champion von Oesterreich, zu Tage gefördert. Er hat am 29. August 1885 unter scharfer Kontrolle zwischen Dresden und Leipzig hin- und herfahrend die Riesenarbeit zu Wege gebracht, innerhalb 24 Stunden 400 Kilometer zurückzulegen. Damit ist Alles geschlagen, was je in diesem Zeitraum geleistet worden. Der beste Record in Amerika, erreicht von Mc. Curdy am 25. September 1885, ist: 2331/4 englische Meilen in 24 Stunden, das sind erst 3753/10 Kilometer!

Hiermit schließen wir die Aufzählung der Meisterleistungen im Radfahren, soweit sie geeignet sind, das Interesse eines größeren Leserkreises in Anspruch zu nehmen.

Jetzt sollten wir auch noch etwas über das Dreirad sprechen, allein es ist nicht viel davon zu sagen. Man setzt sich darauf und fährt fröhlich davon. Es ist noch ungefährlicher als das Zweirad und empfiehlt sich namentlich für sportlustige Damen, wie dies bereits der Name seiner neuen Abart „Damen-Draisine“ andeutet. Die Schnelligkeit, die mit demselben erreicht werden kann, ist naturgemäß eine geringere. In jüngster Zeit ist als Neuheit auch der „Dreiräder für Zwei“ aufgetaucht, welcher namentlich in London von jungen Damen in Begleitung des schützenden Herrn nicht selten benutzt wird.

Ein Dreiräder für Zwei.

So blüht nun die Radfahrkunst überall, diesseit und jenseit des Oceans, und hat auch in allen deutschen Gauen begeisterte Jünger gefunden. Selbst im fernen Indien kennt man sie, und der englische Postbote verwerthet sie dort mit Erfolg auf seinen weiten Touren, soweit es ihm die Straßen und Wege gestatten. Wer weiß, was ihr noch für praktische Erfolge in der Zukunft bevorstehen? Allen Jenen, die sich über alle einschlägigen Fragen genauere Information holen wollen, als sie in diesem kurzen Artikel geboten werden konnte, empfehlen wir die bereits erwähnte Zeitschrift „Der Radfahrer“ und das mit großer Sachkenntniß und Tüchtigkeit gearbeitete „Handbuch des Bicycle-Sport“ von Silberer und Ernst, bei welchem 156 Illustrationen dem instruktiven Texte zu Hilfe kommen. – Zum Schlusse allen deutschen Radfahrern ein kräftiges: „All Heil!“ B. Groller.