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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Kostüm sagen können, nur daß hier die Aehnlichkeit doch etwas entfernt war. Die Götter trugen Allongeperücken, die Römerhelden blanke Feuerwehrhelme mit großen Federbüschen, die Hebräer des alten Testamentes spielten mehr ins Unbestimmte hinüber, man charakterisirte sie durch kleine Glöckchen, welche den unteren Rand ihrer Tuniken umgaben, und durch turbanartige Gebilde auf den Köpfen.

„Warum lachen wir eigentlich nicht über diese Helden und Heldinnen?“ fragte der geistvolle Fontenelle. „Weil wir nicht gelehrt genug sind, weil wir nichts von den Sitten der Römer und Griechen wissen. Um darüber lachen zu dürfen, müßte man sehr viel wissen. Die Sache ist lächerlich genug, aber die Lacher gehen uns ab.“

Welcher ungeheuere Gegensatz zu unseren Tagen! Heute sind wir gelehrt genug, wir kennen die Sitten der Griechen und Römer bis ins Kleinste, ihre Ebenbilder in Chiton und Toga wandeln auf einer Bühne, deren Säulenhallen und Prachttempel das alte Athen und Rom vor unseren entzückten Augen erstehen lassen, wir sehen ganze Gewerbemuseen entfaltet, wo es gilt, ein mittelalterliches Stück zu insceniren; Agnes Sorel und ihre Frauen erscheinen in echtesten Zuckerhut-Kopfthürmen vor uns, Burgund und Dunois tragen Wunder von heraldischer Genauigkeit auf Brust und Schild, Porzias Kästchen sind Juwelen venetianischer Schmiedekunst. Und nun gar die Beleuchtungseffekte! Der magisch durchglühte Zauberwald im Sommernachtstraum, das blaue Mondlicht über Cypressen und Marmorwänden im Garten des Brutus, wo die weißen Gestalten wie ein Bild von Alma-Tadema anmuthen! Ist das alles nicht der höchste Triumph der Kunst?!

– Die Antwort hierauf hat R. Genée im Jahre 1887 und zwar in Gestalt eines Warnungsrufes in der „Allg. Ztg.“ gegeben.[WS 1] Er führt darin aus, wie das übermäßige Steigern bloßer Hilfsmittel und Nebensachen mit Nothwendigkeit dem eigentlichen Wesen der Kunst schaden müsse, weil an die Stelle der reinen Hingabe an die Dichtung, also der eigentlichen großen Illusion die andere, niedere Art der Täuschung durch möglichste Natürlichkeit gesetzt wird. Da nun aber diese Täuschung trotz der gewaltigen Bühnenmittel ihre sehr engen Grenzen hat, so wird der Zuschauer gerade ins Gegentheil von dem gedrängt, was wünschenswerth ist: statt des Vergessens aller Nebensachen über dem großen Eindruck des Ganzen entsteht ein nüchternes, gespanntes Auflauern, ob auch alles richtig klappt – was dann daneben noch gesprochen wird, ist eigentlich gleichgültig. Genée trat dringend für eine Rückkehr zu größerer Einfachheit ein, besonders aber verlangte er sie für Shakespeare, dem mit der modernen Dekorationskunst geradezu Gewalt angethan werde. Auf der altenglischen Bühne ohne Dekorationswechsel rollte das Drama mit seiner schnellen Scenenfolge als Einheit dahin, während es in unserer herkömmlichen Inscenirung durch den schwerfälligen Dekorationsapparat überall gehemmt und zerstückelt wird und seine beste Wirkung verloren giebt.

Freiherr v. Perfall, der verdienstvolle Leiter der Münchener Hofbühne, nahm sich diese Worte zu Herzen und wagte einen Versuch mit der so dringend befürworteten Reform. Der Erfolg gab ihm glänzend Recht und zeigte, wie dankenswerth seine That war.

Am 1. Juni dieses Jahres fanden sich die Besucher von „König Lear“ einem in alterthümlichen Feldern gemalten Vorhang gegenüber, der sich auf den Glockenschlag in der Mitte theilte und eine kurze Vorbühne zeigte, die auf beiden Seiten statt der Coulissen Vorhänge als Ein- und Ausgänge hatte. Die Rückwand war eine romanische Architektur mit einer zweiten verhängten Bühnenöffnung in der Mitte, Thüren auf beiden Seiten. Die der alten Bühne eigenthümliche Galerie erhob sich mit Bogenfenstern über diesen; sie sowohl, als alle Thüren waren durch schwere Vorhänge geschlossen. Und mit dieser einfachen Scenerie wurde das große Drama so einheitlich, so vorzüglich gegeben, daß es uns in einer ganz neuen Beleuchtung erschien.

Bei geschlossenem Mittelvorhang fand auf der Vorbühne die erste Scene zwischen Kent, Gloucester und Edmund statt, unter Trompetenschall öffnete der Vorhang sich darauf und die Mittelbühne mit gemaltem Hintergrund, die königliche Halle wurde sichtbar, in welcher sich die nun folgende Scene, die Verstoßung Cordelias und Kents abspielte, welche der Zeichner unseres Bildes wiedergiebt.

„Nun gut; nimm deine Wahrheit denn zur Mitgift!“

ruft Lear Cordelien zu,

„Hier geb’ ich auf all meine Vatersorgen,
Verwandtschaft und Gemeinschaft des Geblüts;
Ein Fremdling meinem Herzen so wie mir
Seist du von jetzt für immer! Der barbarische Skythe,
Selbst, der zur Speise macht sein eignes Kind,
Zu sättigen seine Gier, sei meinem Herzen
So nah gestellt, bedauert und getröstet,
Als du, einst meine Tochter.“

Das letzte Gespräch von Regan und Goneril nach dem Weggang der anderen fand wieder auf der Vorbühne statt, während hinter ihnen der Mittelvorhang sich schloß, um unmittelbar nach ihrem Abgang das Schloß des Grafen Gloucester für die folgende Scene zu zeigen. Und so ging es in raschem Wechsel weiter; die Hintergründe gehören sämmtlich einer großen Wandeldekoration an und bewegen sich rasch und geräuschlos seitwärts ab und zu. In welchem Grade diese Inscenirung dem Inhalt des Stückes, der Aufmerksamkeit auf das Spiel günstig ist, das erfuhren Darsteller und Publikum in ungeahnter Weise: die ersteren fühlten sich augenscheinlich durch den ununterbrochenen Fluß der Handlung getragen, und letzterem erwachte sofort ein Gefühl der Selbstverständlichkeit, welches sogar eine gefährliche Klippe des Ganzen siegreich überwand, die Scenen auf der Heide nämlich, wo es in dem landschaftlichen Hintergrund blitzt und donnert, der obdachlose und frierende Lear aber mit Kent und dem Narren nach einer Hütte ausspäht, um sich zu bergen, während sie doch in dem sicheren Porticus eines Palastes stehen. Aber auch hier verlor man doch keinen Augenblick das Gefühl des Symbolischen und folgte mit gespannter Theilnahme der gewaltigen Steigerung dieser wunderbaren Scenen. Durch eine sekundenlange Verdunkelung der Mittelbühne war mitten darin Gloucesters Schloß zu dem kurzen, wichtigen Gespräch zwischen diesem und Edmund hergestellt, unmittelbar darauf schob sich eine zweite Dekoration der Heide vor und Lear erschien wieder. So ging es weiter; das ganze lange Stück konnte unverkürzt, völlig in der ursprünglichen Gestalt gegeben werden.

Alle wahren Freunde der Kunst müssen dringend wünschen, daß die Neuerung, die Freiherr v. Perfall mit dieser Einrichtung anbahnte, in ganz Deutschland Zustimmung und Nachahmung finde. Ob das mit Effekten verwöhnte Theaterpublikum ihr dauernd seine Gunst zuwenden wird, nachdem der erste Reiz der Neuheit verflogen ist?! Dies muß die Zukunft lehren, aber hoffen und wünschen wollen wir es. R. Artaria.




Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit.

Eine neue Vorrichtung zum Stimmen der Klaviere.

Wer unter unsern Lesern wüßte nicht den oder jenen Bekannten zu nennen, der einmal den Fürwitz besaß, sein verstimmtes Klavier selbst stimmen zu wollen, und dabei die verhängnißvollsten Erfahrungen machen mußte, trotzdem er zu seinem Versuche eine leidliche Kenntniß der nothwendigen Handgriffe und ein gutgeschultes, sicheres musikalisches Gehör mitbrachte. Die Erklärung seines Mißerfolgs ist zu einem Theile in der bisherigen Gestaltung der Stimmvorrichtung zu suchen. Wie sich jeder Klavierbesitzer überzeugen kann, sind bei dem üblichen System die Saiten des Instruments an dem einen Ende festgemacht, mit dem andern um einen drehbaren Wirbel oder Stimmstift gewunden, dessen Drehung je nach dem Nachlassen der Spannung oder Erhöhung derselben und damit Tiefer- oder Höherstimmung des Tons bewirkt. Diese Einrichtung bringt mancherlei Schwierigkeiten mit sich. Einmal ist es selbst durch die solideste Herstellungsart nicht zu umgehen, daß mit der Zeit an vielbenützten und daher häufiger der Stimmung bedürftigen Klavieren die Wirbel in ihren Holzlagern sich ganz leise zu lockern und dem bedeutenden Druck der gespannten Saite immer weniger Widerstand zu leisten beginnen; sodann – und an diesem Umstande scheitern wohl meistens die dilettantischen Stimmversuche – bewirkt bei der unmittelbaren Uebersetzung der Spannung vom Wirbel auf die Saite besonders bei den hohen Lagen schon eine ganz leichte Drehung an dem Stimmgriff eine verhältnißmäßig starke Veränderung des Tones, und es bedarf demnach einer recht geübten, sicheren Hand, um hier zwischen dem Zuviel und Zuwenig die richtige Mitte zu finden.

Das hätte nun an und für sich nicht so viel zu sagen, denn solcher geübter sicherer Hände giebt es viele, die sich mit ihrer Kunst ein sauer genug verdientes Brot erwerben. In den Städten, am Sitze von Pianofortefabriken mögen die verstimmten Instrumente daher auch nach wie vor der Sorge des zünftigen Klavierstimmers anvertraut werden. Anders liegen die Dinge, wenn wir in Betracht ziehen, in welche entlegenen Winkel der Erde das Klavier vorgedrungen ist. Wir brauchen noch gar nicht an unsere zahlreichen Pfarrer und Schullehrer auf entlegenen Dörfern zu erinnern, für welche die Gewinnung eines Klavierstimmers schon mit

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Die Natürlichkeit und die historische Treue in den theatralischen Vorstellungen. In: Beilage zur Allgemeinen Zeitung (München), Jg. 1887, Nr. 161, S. 2361 f. und Nr. 164, S. 2401 f. digiPress
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 444. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_444.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)