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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Gertrud nannte ihren Namen, sie konnte aber ein bängliches Gefühl nicht unterdrücken, wie sie die schönen, glänzenden Augen der Fremden mit träumerisch leerem Ausdruck auf sich ruhen sah.

Nun schüttelte Magdalene den Kopf. „Niemals sah ich Sie oder hörte Ihren Namen. Sonderbar, vielleicht sollen Sie mir sagen, wie man von gar zu langem Schlaf aufwacht.“ – Gertrud sah ihr verwundert in das schöne Gesicht.

„Nun, wie machen Sie es denn?“ fragte Magdalene ungeduldig.

„Ich schlafe nicht zu lange,“ antwortete Gertrud befangen.

„Und träumen Sie nicht viel?“

„Nein, sehr selten,“ sagte Gertrud immer befremdeter.

„Und ich träume, träume, träume,“ sagte Magdalene klagend, „und immer bin ich allein, ohne ihn, und ich habe solche Sehnsucht nach ihm, nach seinen Küssen. Und die Nacht ist so endlos lang. Ich träume von Tagen und Nächten, ich sehe die Sonne scheinen und den Mond, der Frühling kommt und der Schnee – aber ich kann nicht aufwachen, ich muß schlafen und von Personen träumen, die mir gleichgültig sind, gegen ihn, den ich liebe. – Warum kam er nicht statt Ihrer?“

Gertrud war aufgestanden. Wie gebannt starrte sie auf die schöne Frau, die nun plötzlich scharf nach ihr blickte.

„Sehen Sie mich an!“ sagte sie laut, „bin ich ein Wesen mit Fleisch und Blut, oder bin ich ein Bild? Ich stand als Ophelia an einer Weide und sah in die Wellen. – Hier am Hause, in dem ich jetzt träume, ist ein kleiner Garten und ein Wasser dahinter, die Weiden lassen ihre grünen Zweige hineinhängen. Wenn ich heimlich da hinunter gehe, den Weidenstamm umklammere und in das murmelnde Wasser blicke . . . ich weiß es nicht mehr, bin ich Magdalene . . . Ophelia . . . Magdalene . . . Ophelia –“

Sie ließ den Kopf sinken und starrte melancholisch ins Leere.

Gertrud faßte eine ungeheure Angst.

„Ich will mich nach Miß Sikes umsehen,“ stieß sie hervor.

Die Fremde nickte gleichgültig und schien keine Notiz mehr von Gertrud zu nehmen, die, immer den Blick auf sie gerichtet, dem Nebenzimmer zuschritt.

„Werner – Werner,“ krächzte da der Papagei von seiner Stange, und mit dem jauchzenden Ruf „Werner“ sprang die schöne Frau auf und liebkoste das Thier. Dazu schien die Sonne hell in die Blätter der fremdländischen Gewächse, die das Zimmer schmückten, ein starker Duft, von kleinen gelben Blüthen ausströmend, durchzog das Zimmer.

Als Gertrud angstvoll und doch gespannt die Thür geschlossen hatte, glaubte sie einen seltsamen Traum geträumt zu haben. Nüchtern wie das Alltagsleben sahen die wohlbekannten Geräthe des düsteren Unterrichtszimmers sie an.

Sie warf noch einen flüchtigen Blick umher, dann eilte sie mit klopfendem Herzen hinaus zu der noch geöffneten Thür, die Treppe hinunter.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Robert Hamerling †. Mit tiefer Trauer wird man in ganz Deutschland die Kunde von dem Tode des hervorragenden österreichischen Dichters aufnehmen, der in Graz nach langem Leiden am 13. Juli in seinem sechzigsten Lebensjahre dahingeschieden ist.

Wie groß ist die Todtenliste der deutschen Dichter des österreichischen Kaiserreichs! Fast droht der Parnaß desselben zu veröden. Die großen und besten Namen gehören nicht mehr den Lebenden an.

Da sind von den dramatischen Dichtern der hochgefeierte Altmeister Grillparzer, der einst die Bühnen beherrschende Friedrich Halm geschieden, und ihre Jünger Mosenthal und Joseph von Weilen sind ihnen, der letztere erst vor wenig Wochen, nachgefolgt. Moritz Hartmann, Alfred Meißner, Karl Beck sind längst gestorben. Und nun auch Robert Hamerling!

Wir haben ein Bild und eine Charakteristik Robert Hamerlings bereits früher gebracht (Jahrgang 1885, Nr. 9), zugleich mit einer Darstellung seines im ganzen wenig ereignißreichen Lebens, das er kurz vor seinem Tode noch selbst in der Schrift „Stationen meiner Lebenspilgerschaft“ skizzirt hat. Auf der Hochwarte der Dichtung, wo die Opferfeuer echter Begeisterung lodern, hat er dauernd seinen Platz behauptet, unbeirrt durch eine Zeitrichtung, welche dem Schwung und den höheren Formen der Poesie sich allmählich immer mehr entfremdet hat; ja es gehört zu seinen Hauptverdiensten, trotzdem die allgemeine Theilnahme für sein Schaffen wachgerufen und festgehalten zu haben und damit auch den Sinn für die weihevollen Schöpfungen der ernsten Muse. Schon seine ersten Dichtungen, „Venus im Exil“ mit ihrer schönheitstrunkenen Begeisterung, „Ein Schwanenlied der Romantik“ und „Ein Germanenzug“, waren voll dahinfluthende Symphonien eines jungen Dichters, der formgewaltig und geistesmächtig über die Grenzen hinausgriff, welche der Dämmerungsflug der österreichische Lyrik gestreift hatte.

Auch die einzelnen Gedichte in „Sinnen und Minnen“ haben diesen höheren Flug zugleich mit kühnen Gedankenverbindungen, Weichheit und Ueppigkeit der Farbengebung.

Den Höhepunkt seines dichterischen Schaffens bezeichnen indeß die Epen „Ahasver in Rom“ und „Der König von Sion“. Hier herrscht Makartsche Farbenpracht und Farbengluth, neben der glühenden Schilderung hinreißender Schwung des Gedankens. Das Rom der Kaiserzeit ist selten mit einer so ausnehmend reichen und glänzenden Phantasie geschildert worden; der Gegensatz zwischen der Todessehnsucht und dem wildesten Lebensgenuß bildet den bedeutsamen geistigen Angelpunkt des Ganzen. Ebenso spricht sich der Reformdrang der deutschen Reformationszeit mit allen wüsten Ausschreitungen im „König von Sion“ heißblütig aus und die Schauspielerei des Kaisers Nero findet in derjenigen des Schneiders Johann Bockold, des Theaterkönigs im „neuen Sion“, ihr Gegenbild.

Was die Kritik auch an der Form dieser beiden Dichtungen aussetzen mag, sie sind reich an genialen Zügen, an Gedanken von großer Tragweite, und durch sie hat sich Hamerling in unserer Litteratur einen dauernden Platz gesichert. Die Revolutionstragödie „Danton und Robespierre“, der griechische Roman „Aspasia“, das aristophanische Lustspiel „Teut“ zeugen für die Vielseitigteit seines Talentes, das nirgends ins Oede und Seelenlose verfiel; seine „Aspasia“ hat sogar zahlreiche Nachahmer gefunden. Seine „Sieben Todsünden“, sein „Amor und Psyche“ sind reich an Schönheiten, die über das Alltägliche durch ihren geistigen Adel hinausreichen; „Homunculus“ mit seinen heinisirenden Anklängen hat bei allem Seltsamen auch viel Tiefes, aber seinen Nachruhm sichern ihm vorzugsweise jene beiden großen Dichtungen.

Mit schmerzlichem Antheil hörte das deutsche Publikum oft genug von Erkrankungen des Dichters; jetzt ist er dahingeschieden und unser Volk klagt am Grabe eines echt deutschen Poeten, der, am Fuß der steiermärkischen Alpen lebend, uns stets die Bruderhand reichte, wie immer die Würfel der hohen Politik rollen mochten.

Es wird regnen! (Zu dem Bilde S. 529.) Die Wissenschaft der Vorherverkündigung des Wetters hat in den letzten Jahren einen hervorragenden Aufschwung genommen. Die Staaten haben sachkundige Männer angestellt, die auf Grund einer bestimmten Methode die muthmaßlichen Aussichten berechnen, und der Telegraph trägt die Ergebnisse ihrer Feststellungen über das Land hin, um sie überall nutzbar zu machen.

Leider aber ist diese Methode doch keine so sichere, daß sie jede Täuschung ausschließen würde, und gerade ihre gründlichsten Kenner sind die letzten, die dies leugnen. In den Beobachtungen bleiben unvermeidbare Lücken, plötzliche, jeglicher Voraussicht spottende Zufälle und Störungen treten auf, und so konnte es nicht ausbleiben, daß das amtlich angekündigte Wetter in vielen Fällen eben nicht kam, sondern ein ganz anderes. Da wurde so mancher „Gebildete“ der Wissenschaft untreu und studierte das Wetter auf eigene Hand, erinnerte sich, daß er in seiner Jugend aus dem Munde der wetterkundigen Alten von allerlei Anzeichen in der Natur gehört hatte, und sah jetzt zu, ob Schwalbe und Grille, Hund und Katze, Fliege und Spinne das Voraussagen nicht besser verständen als die Herren von den Wetterwarten. Eine solche Naturbeobachtung hat doch ihren eigenartigen Reiz, denn man braucht weder Barometer noch Thermometer, weder den Telegraphen noch das Zusammenwirken von so und so viel „Stationen“, um sagen zu können: Es wird regnen! In diesen volksthümlichen Regenanzeichen ist die Weisheit von Jahrtausenden gesammelt, und ihre Zahl ist darum wohl auch so groß, daß wir niemals in die Verlegenheit gerathen, keine bestimmte Voraussage machen zu können.

Emil Schmidt hat in dem Bilde, das wir den Lesern vorführen, einige der hervorragendsten „untrüglichen“ Anzeichen zusammengestellt. Daß sie auf neuzeitliche Fortgeschrittenheit keinen Anspruch erheben, beweist das laubfroschgezierte Barometer, das nicht eine Millimeter-, sondern die gute alte Zollskala trägt. Die Großmutter, die darunter sitzt, braucht auch dieses nicht, sie trägt ihr Barometer leider in ihren Gliedern, der rheumatische Schmerz kündigt ihr den Regen an, wie auch der alte Veteran Regen prophezeit, wenn seine Narben ihn schmerzen. Das sind menschliche Regenanzeichen.

Und wie die Menschen, so sind auch die Hausthiere:

„Kätzchen am Herde rastet nicht,
Putzt immer wieder Kopf und Gesicht.
Mein Jagdhund – darf ich den Augen trau’n,
Verläßt den Knochen, um Gras zu kau’n –“

heißt es in einem diese Frage behandelnden Gedichte, das der berühmte Impf-Jenner gedichtet haben soll.[WS 1] Uebrigens kann sich beim Hofhunde auch in Trägheit und Schlafbedürfniß die Ahnung kommenden Regens äußern.

Auch durch die Vogelwelt geht vor dem Regen eine geheime Bewegung und sie läßt bedeutungsvolle Stimmen erschallen: der Pfau schreit und der Rabe krächzt schrill, während die Schwalbe sich tief niederschwingt und die Krähe „nachahmt des Geiers schweren Flug“. Ja, auch das, was da kreucht und schwimmt und fleucht, wird zum Wetterpropheten: der Laubfrosch schreit, der Teichfrosch wird braun, die Glühwürmer sind „reich an Glanz und Zahl“, die Grillen singen „scharf“, die Fliegen sind lästig und die Fische, die springen aus der Fluth und schnappen nach den Mücken, die wie immer stechen.

Die berühmteste Wetterprophetin ist aber die Spinne. Ihr Ruhm stammt schon vom Alterthum her und ihre Wetterprognosen wurden gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts von einem Franzosen Quatremère

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Das Gedicht stammt von Edward Jenner, im Original betitelt Signs of Rain (in: The Life of Edward Jenner, M.D. Band 1, London 1838, S. 22–24 Internet Archive) – eine deutsche Übersetzung erschien in: Göttingische Gelehrte Anzeigen, Jg. 1839, Band 1, S. 96 Fußnote „[…] Kätzchen am Herde mit sammtner Pfote […]“ Google und eine andere Übersetzung in: Der Bazar, Jg. 1865, Nr. 42, S. 367 „[…] Kätzchen am Herde rastet nicht […]“ MDZ München.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_531.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)