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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Das Arbeitszimmer des Konsuls war das einfachste und schmuckloseste Gemach in der ganzen Villa. Das Bild einer stattlichen Frau mit unschönen, aber milden Zügen und gütig blickenden Augen, ferner eine Gruppe seltener Waffen und Muschelgeräthe und endlich ein geschnitzter Schrank mit reichem Bücherinhalt – darin bestand nebst dem Schreibtisch und einigen Stühlen die ganze Ausstattung des kleinen Raumes.

Wesdonk stierte eine Weile fassungslos vor sich hin, dann murmelte er: „Hier hab’ ich wenigstens Ruhe vor dem Getöse da unten – dem Himmel sei Dank! Hier kann ich endlich meine Gedanken sammeln!“

Er glättete die zerknitterte Depesche, welche er noch immer in der Hand hielt, auf dem Knie und brachte die Zeilen in den Lichtkreis der auf dem Schreibtisch stehenden Lampe. Halblaut las er noch einmal den Inhalt: „Infolge des unglücklichen Verlaufs der letzten Reichstagsverhandlung hat das Handelsministerium auf den Ankauf unserer Besitzungen in der Südsee verzichtet, und wir bedürfen jetzt der Unterstützung unserer Freunde. Können wir 300 000 Mark auf Sie ziehen?

Ludolf Fabbri und Söhne.“ 

Der Konsul ließ das Blatt auf den Schreibtisch sinken und sagte mit trübem Lächeln: „Dreimalhunderttausend Mark! Vor sechs Jahren wäre mir diese Summe als eine Bagatelle erschienen, heute kann ihre Beschaffung meinen Untergang herbeiführen. – Wo zum Henker bleibt denn Rosita?“

Ungestüm sprang der Konsul auf und lief in dem kleinen Zimmer auf und nieder. Sein Gesicht war heiß und geröthet, sein graues Auge blickte zornig; tiefe Falten zeigten sich zwischen den starken Brauen. Plötzlich fielen seine Blicke auf das Frauenbildniß über dem Schreibtisch. Er hielt vor demselben an. Während der Betrachtung des Bildes glättete sich das Gesicht des erregten Mannes, seine Augen wurden groß und feucht, und in Tönen, die von Wehmuth und Trauer umflort waren, sprach er: „O stündest Du in diesem Augenblick an ihrer Stelle, theure Tote, um wieviel leichter wäre dann die Entscheidung!“

Das Knarren der Thür scheuchte ihn von dem Bilde weg. Er trat in die Mitte des Raumes und stand Frau Rosita gegenüber, von deren Antlitz das sonnige Lächeln verschwunden war.

„Verzeihung!“ sagte sie in zerstreutem ungeduldigen Tone, „aber ich hatte noch Anordnungen zu treffen. Ich habe alle Hände voll zu thun. Könnte diese Unterredung nicht auf morgen verschoben werden? Die Gesellschaft – – Du begreifst – die ganze Last liegt auf mir.“

Frau Rosita handhabte das Deutsche vollkommen fließend, aber mit einer fremdartigen Betonung, die ihrer Sprache etwas Drolliges verlieh. Jetzt, da eine Wolke des Unmuths über den dunklen Augen lag, da ihre von lockigem Haar umgebene niedrige Stirne Falten zog und das Roth auf den Wangen verblaßte, ließ sich leicht erkennen, daß die Zeit der Jugend bereits hinter ihr lag; doch ließ sich schwer bestimmen, ob sie dem Anfang der Dreißig oder der Vierzig näher stehe. Der Konsul war ein hoher Fünfziger, von ansehnlicher Leibesfülle, mit starkgelichtetem Haupthaar und grauem Vollbart. Ernst blickte er auf seine zweite Gattin nieder. Nach einem tiefen Athemzug antwortete er auf deren Frage mit einem rauhen: „Nein, keinen Aufschub, ich bedarf Deiner Entschließung in einer ernsten Lebensfrage, Rosita! Mögen die da drunten sich zehn Minuten ohne Dich behelfen!“

„Dieser Ton – was ist geschehen?“

„Rosita,“ fuhr der Konsul weicher fort, „die Fabbris sind ins Wanken gekommen. Du weißt, daß sie auf die Unterstützung der Regierung gerechnet haben, allein ihre Pläne sind durchkreuzt worden. Versagt nun auch die Hilfe ihrer Freunde, so gehen ihre Plantagen, ihre Schiffe, kurz all ihre Besitzthümer verloren, und ein altes Handelshaus bricht zusammen, dem ich viel, fast alles zu verdanken habe. Es ist meine Pflicht – hörst Du? – meine heilige Pflicht, jedes Opfer zu bringen, welches diese Firma von mir verlangt. Vorhin ist eine Depesche eingelaufen mit der Anfrage, ob die Fabbris auf 300 000 Mark von mir rechnen können. – Rosita, während der letzten Jahre bin ich vom Mißgeschick verfolgt worden, mehrere wohlgeplante Unternehmungen schlugen fehl und meine ansehnlichen Mittel sind derart zusammengeschmolzen, daß ich einen Wechsel auf 300 000 Mark heute nicht einzulöseu vermag. Noch ist mein Kredit unerschüttert, allein da man in der Handelswelt weiß, wie eng mein Geschick mit dem der Fabbris verknüpft ist, so würde es Besorgniß erregen, wenn ich, um für den Wechsel Deckung zu schaffen, Darlehen bei den Banken suchen wollte.“

„Gut – aber was kann ich dabei thun?“ unterbrach ihn Frau Rosita und warf einen unruhigen Blick nach der Thür.

„Nun denn! Ich bedarf in dieser Bedrängniß Deiner Hilfe, vertraue mir 300000 Mark von Deinem Vermögen an!“

„Das ist stark – das wäre der Anfang vom Ende! Niemals!“

„Du sprichst stets in rücksichtslosester Weise zu mir, wenn Du ein schlechtes Gewissen hast,“ unterbrach sie der Konsul mit gereizter Miene.

„Und Du,“ entgegnete seine Frau mit einer hochmüthigen Bewegung des Kopfes, „Du wirst stets unhöflich, wenn Du von anderen eine Gefälligkeit oder ein Opfer verlangst. Der Bittende kommt in der Regel rascher zum Ziel als der Scheltende.“

„Verzeih’ mein Ungestüm, aber Du wirst Dich erinnern, daß ich zum ersten Male ein Opfer von Dir fordere. Ich bitte Dich, auf meine Erregung Rücksicht zu nehmen und – auf meine peinliche Empfindung. Also sprich: willst Du mir helfen?“

Rosita hatte das Gefühl eines Menschen, dem plötzlich eine Schlinge um den Hals geworfen wird. Sie liebte das Geld und war entschlossen, es festzuhalten, gleichwohl besaß sie nicht den Muth, glattweg nein zu sagen. Ihr Kopf suchte einen Ausweg, während sie vor den forschenden Blicken des Gatten die Augen niederschlug. Endlich zuckte ein rettender Gedanke durch ihr Hirn, mit einem leisen Lächeln um den Mund wiederholte sie die Frage ihres Mannes: „Dir helfen? Ei, mein Lieber, mit tausend Freuden! Aber es handelt sich ja nicht um Dich, sondern um die Fabbris, und wir müssen uns die Frage stellen: ist es verständig oder närrisch gehandelt, wenn wir all unser Vermögen in einen Abgrund werfen? Du hast heiligere Verpflichtungen gegen Deine Frau und Deine Kinder als gegen jene Firma, der Du während Deiner besten Lebensjahre treu und hingebend gedient hast und die Dich nach Verdienst belohnte. Wo liegt Deine Verpflichtung, Dich für die Fabbris zu ruinieren? Ihr habt beide Euren Vertrag erfüllt – – das ist alles!“

„Du irrst, Rosita! Wohl ist es wahr, daß ich dieser Firma in meiner Jugend treu gedient und daß ich ihr Vertrauen gerechtfertigt habe; allein die Art, wie man mich belohnte, ging weit über die Erfüllung des Vertrags hinaus. Du weißt, daß die Fabbris mir die Mittel gewährten, um in Montevideo ein Geschäft zu gründen, Du weißt, daß sie mir, als ich nach Berlin übersiederlte und hier in ganz neue Unternehmungen eintrat, durch ihren guten Rath und durch Gewährung eines fast unbeschränkten Kredits allen erdenklichen Vorschub leisteten. Damals versprach ich mündlich und schriftlich, diese Wohlthaten nach Kräften vergelten zu wollen – –“

„Verzeih! Dein Wohlthäter war der alte Fabbri, der seit sechs Jahren im Grabe ruht. Den Söhnen bist Du keinen Dank schuldig, ihre Hilfe hast Du niemals in Anspruch genommen.“

„Da ich ein ehrlicher Mann sein will, habe ich eine andere Auffassung von der Sachlage als Du. Meine Versprechungen galten dem Hause, und selbst wenn ich mein Wort nicht verpfändet hätte – ich würde mich doch für verpflichtet halten, Hilfe zu bringen. Es sind ideale Interessen, die mich binden. Die Plantagen, deren Existenz jetzt auf dem Spiele steht, habe ich ins Leben gerufen, ich habe sie mit den Waffen in der Hand gegen die Ueberfälle der Wilden vertheidigt; ich habe die Ausfuhr der gewonnenen Erzeugnisse geleitet, das Netz der Handelsverbindungen für die Fabbris erweitert. So fühlte ich mich von Anfang an als ein Glied des mächtigen Hauses, und als ich mit seiner Hilfe selbständig wurde, blieb ich ihm ein treuer Bundesgenosse und verdanke dem ein großes Vermögen. Darf ich dies alles vergessen? Ich müßte mich selbst verachten, wenn ich ihre Bitte unerfüllt ließe. Ich stehe und falle mit den Fabbris.“

„So wirst Du fallen, denn wie mir vor einer Stunde der Kommerzienrath Leo versicherte, ist die Lage der Firma eine verzeifelte geworden.“

„Wenn niemand sie rettet – ja!“

„Du allein aber bist zu schwach, um die Wankenden zu stützen. Sei kein Thor! Du wirst sehen, daß sich die übrigen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_006.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)