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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Segel, daß sie in runden anmuthigen Linien hervorsprangen und sich wie hundert Schwanenflügel über das stolze Fahrzeug bauschten.

„O, wie viel schöner ist doch ein reich aufgetakeltes Segelschiff als diese flachen, nüchternen und schwarzen Kanonenboote,“ rief Bettina aus. „Wäre ich ein Seemann, ich würde niemals auf einem Dampfer fahren, die Schiffsmaschine zerstört die Poesie des Meeres.“ Ihr Blick fiel auf Monk und sie fragte ihn, welche Art von Fahrzeug er vorziehe.

„Das Segelschiff natürlich. Der Dampfer setzt den Matrosen herunter, da ist der Kaschinist die wichtige Person.“

„Und des Katrosen Beruf ist edler, menschenwürdiger," fuhr Bettina mit Wärme fort. „Der Seemann ringt noch mit Wind und Fluth, der Maschinist gebietet lässig einer zum Sklaven herabgewürdigten Naturkraft. Wie muß es doch den Muth stählen, den Stolz aufrichten, wenn ein Mensch mit den Stürmen kämpft und Sieger bleibt! Wär’ ich ein Mann, dann wüßte ich meinen Beruf: ich ginge zur See.“

„Ei,“ sagte Ludmiller scherzend, „Ihr Schicksat läßt sich korrigieren. Heirathen Sie einen Seemann und begleiten Sie diesen auf seinen Fahrten!“

Lisa, welche auf die Uhr gesehen hatte, mahnte ihre Begleiter daran, daß es Zeit sei, ans Frühstück zu denken. So brach man auf, und Ludmiller verabredete mit den beiden Lotsen für den Nachmittag eine Fahrt zu den Schiffen.

Der Tag war heiß und schwül geworden, als Lisa, Bettina und die Ludmillers zwischen vier und fünf Uhr mit Ewald Monk und Pischel auf die Reede hinausfuhren; kein Lüftchen regte sich und es mußte anstrengend gerudert werden. Nach halbstündiger Fahrt erreichte das Boot die vor Anker liegenden Kriegsschiffe. Vom Deck eines der nächstliegenden kamen laute Zurufe. Der Lotsenkommandant befand sich mit seiner Frau und Lieutenant Ellernbruck an Bord und lud die Anfahrenden im Namen der Marineoffiziere zur Besichtigung des Schiffes ein.

Man folgte der freundlichen Aufforderung, stieg an Bord und musterte nun die Einrichtungen von der Kommandobrücke an bis zu delt tiefliegenden Vorrathskammern hinab. Auf dem Wege durch die Schiffsräume hatte Ludmiller durch seine heiteren Randglossen zu den Erklärungen der führenden Offiziere die Unterhaltung rasch in Fluß gebracht, und als die Gesellschaft aus dem dunklen Kielraum wieder zum Verdeck hinaufstieg und die Damen sich verabschieden wollten, baten die Offiziere ihre Gäste dringend, noch ein Stündchen zu verweilen. Die Gesellschaft stieg zum hübschen Speisezimmer hinab, wo ein frischer Trunk gereicht wurde. Bald zeigte es sich, daß die Fäden, welche gewisse Schichten der Gesellschaft verknüpfen, überall neue Verbindungen aufweisen. Bettinas Vater war dem Kapitän zur See, dem Befehlshaber des Schiffs, bekannt gewesen, und dieser erzählte, daß er dem Konsul einst im Hause Ludolf Fabbris begegnet sei. Damals habe Wesdonk ein auffallend hübsches Töchterchen mit dunklem Haar zur Seite gehabt.

„Meine Schwester Mathilde,“ bemerkte Bettina.

„Befindet sich dieselbe gleichfalls in Massow?“

„Nein, sie hat sich mit Herrn von Voßleben, einem jungen Diplomaten, verheirathet und ist gegenwärtig in Mexiko.“

„Georg von Voßleben?“ rief ein Lieutenant überrascht aus, und als Bettina nickte, setzte er erfrent hinzu: „Wir sind Schulkameraden.“

Die Unterhaltung gewann nunmehr einen so vertraulichen und heiteren Ton, daß niemand von der Gesellschaft das Hinschwinden der Zeit bemerkte. Mitten in das fröhliche Lachen hinein fiel die Meldung eines der aufwartenden Schiffsjungen, daß der Oberlotse Pischel den Lotsenkommandanten zu sprechen wünsche. Der Alte wurde hereingerufen und berichtete, daß ein schweres Gewitter im Anzuge sei und daß es ihm bei der anbrechenden Dämmerung räthlich erscheine, vor Ausbruch des Unwetters die Rückfahrt anzutreten.

Der Lotsenkommandant sprang auf und erwiderte: „Sie haben recht, Pischel. Wir waren in so angenehmer Gesellschaft und haben uns verplaudert. Also morgen wird mir das Vergnügen zu theil, die Herren bei mir zu sehen!“

Während die Gäste sich in Bewegung setzten, lud er auch die Ludmillers zu einem Glas Bowle für den nächsten Abend in sein Haus und sagte den beiden Mädchen, daß er den Sanitätsrath personlich bitten werde, mit seinen Damen an dem bescheidenen Feste theilzunehmen.

Auf Deck sah Bettina den Lotsen Monk gegen die Galerie gelehnt zu den bleigrauen Wolken aufschauen. Sie machte sich heimlich Vorwürfe darüber, daß sie ihn stundenlang hatte warten lassen. Warum war er überhaupt von ihrer Gesellschaft ausgeschlossen? Warum stand er, der wohl mehr erlebt hatte als all diese elegant gekleideten Herren, gleich einem Diener bei Seite? War er ein schlechterer Seemann als die Offiziere? Gewiß nicht! Was ihn unter sie stellte, war nur ein Mangel an jener Geistesbildung, die sie gering schätzte, und die Zufälligkeit der Geburt.

Die Offiziere wetteiferten in ritterlicher Höflichkeit gegen Bettina, und als ein heftiger Windstoß deren Hut in die Wogen hinaustrug, wollten sie ein Boot niederlassen, um ihn aufzufischen. Ewald Monk aber, der bis dahin bei Seite gestanden war, trat jetzt rasch zur Schiffstreppe und sagte in bestimmtem Tone: „Wir halten Kurs auf den Hut, er soll nicht verloren gehen!“

Die Gesellschaft stieg in die Boote; das des Lotsenkommandanten stieß zuerst ab, dann folgte das von Pischel gesteuerte. Bettina war in stolzer Haltung an den Offizieren vorübergeschritten; als sie auf der letzten Stufe der Schiffstreppe stand, streckte der im schwankenden Fahrzeug stehende Monk die Arme nach ihr aus und trug sie zur vordersten Bank. Ein seltsamer Schauer ging dabei durch ihren Körper, und nur wie im Traume hörte sie die Abschiedsworte der Offiziere.

Als das Boot, dessen Segel Monk hißte und überwachte, an dem riesigen Schiffskörper keine Deckung mehr fand, fielen Wind und Wogen mit betäubender Gewalt über dasselbe her; am südlichen Horizont zerriß von Zeit zu Zeit ein zackiger Blitz die tiefhängenden Dunst- und Wolkenmassen. Lisa wurde unruhig, als das schwache Fahrzeug unter ihr immer heftiger schwankte, sie hielt den Arm Bettinas krampfhaft mit beiden Händen umschlossen, in der Befürchtung, das Boot werde kentern.

Bettina saß ruhig an ihrer Seite, hielt die heißen Wangen dem Sturm entgegen und schaute mit leuchtenden Augen zum drohenden Himmel empor. Auch in ihr rührten die tosenden Wasser, die wild daherbrausenden Winde starke Empfindungen auf, aber es war nicht Furcht, was sie beherrschte. Sie freute sich, den entfesselten Elementen die Stirn bieten zu können, sie trotzte der Gefahr.

„Halt’ luvwärts, Pischel, dort seh’ ich den Hut!“ Bettina schaute sich nach Monk um, der, hinter ihr stehend, seinem Kameraden am Steuer die Worte zugerufen hatte, er deutete dabei auf eine Stelle, wo aus dem Halbdunkel etwas Weißes hervorschimmerte.

Doch Pischel antwortete unmuthig: „Lat den Hut man swimmen, Ewald! Fischen bei dem Flackerwind lohnt nich.“

Ewald aber schrie in rücksichtslosem Ton „Halt’ das Steuer auf den Hut, sonst spring’ ich in See!“

Pischel fluchte, riß aber doch das Steuer scharf herum. Monk legte sich am Bug nieder, und als die Stelle erreicht war, wo das Strohhütchen schwamm, griff er mit der Rechten weit hinaus und erhaschte es. Blitzschnell sprang er dann auf, warf Bettina ihr Eigenthum in den Schoß und griff mit raschem Ruck wieder in das Segel. Es war die höchste Zeit, denn in der nächsten Sekunde traf der Wind das Boot mit stürmischer Gewalt.

Auf Bettina machte die kühne Mannhaftigkeit des Lotsen einen großen Eindruck. Wenn sie diesen einfachen Kann mit dem Grafen Trachberg verglich, erschien er ihr wie ein Held. Fest wie ein der Brandung trotzender Fels stand er neben ihr und hielt das knarrende Seil des Segels in seinen Händen. Ihn ließ die Gefahr unbewegt. Und Bettina fühlte sich so wohl und sicher an seiner Seite, daß der Ausbruch des Gewitters sie völlig berauschte.

Das Boot flog vor dem Winde mit rasender Eile dem Ufer zu. Zwar klatschte von Zeit zu Zeit eine Sturzwelle über die Insassen und durchnäßte sie bis auf die Haut, aber das wurde mit Humor ertragen. Durch die schäumende Brandung hindurch lief das Fahrzeug auf den Strand, wo sich bereits mehrere Lotsen eingefunden hatten, um beim Bergen zu helfen. Diese sprangen den Wogen entgegen und wollten die Frauen ans Land tragen. Monk aber kam allen zuvor. Mit einem Sprung war er im Gischt der Strandwellen, hob Bettina aus dem Boot und trug sie zur Düne.

Ludmiller zahlte in aller Hast das Fahrgeld und sagte dabei zu Monk: „Sie haben um einer verwegenen Galanterie willen unser Leben aufs Spiel gesetzt, Lotse! Wäre ich Ihr Kommandant, ich strafte Sie.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_074.jpg&oldid=- (Version vom 6.9.2019)