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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Monk erwiderte mit einem Blick auf Bettina: „Ich bin gewohnt, mein Wort zu halten.“

Jetzt rissen die Wolken, und heftige Regenschauer zwangen die kleine Gesellschaft zu eiliger Flucht.

„Im Sturmschritt, marsch, marsch!“ kommandierte Ludmiller, und alle liefen der schützenden Behausung zu.


7.

Der Sanitätsrath erhielt am nächsten Morgen die Einladung des Lotsenkommandanten. Bettina hatte die Absicht, daheim zu bleiben, allein da Lisa sich entschieden weigerte, ohne die Freundin zu gehen, und man von allen Seiten auf sie einredete, so wollte sie nicht als Spielverderberin gelten und schloß sich am Abend den Horsts an. Auf dem Wege zum Landhause begegnete ihnen Pischel. Bettina blieb bei dem Alten stehen, und während ihre Begleiter weitergingen, sagte sie: „Ich konnte Ihnen gestern nicht einmal für die Rettung meines Hutes danken. Bitte, nehmen Sie das und trinken Sie mit Ihrem Kameraden Monk ein Glas Wein auf mein Wohl.“ Freundlich lächelnd drückte sie dem Alten ein Geldstück in die schwielige Hand und schritt weiter.

Pischel, der ganz verdutzt dastand, öffnete nach einer Weile die Hand und sah ein Goldstück funkeln. „Zehn Mark!“ rief er überrascht aus. „Ei, das Mamselken is höll’sch nobel!“

Vor dem Schulhaus knüpfte er mit dem Lehrer, der seine Kuh dem Stalle zutrieb, ein Gespräch an und erzählte, daß ihm das „rothhaarige Frölen“ eine Krone als Trinkgeld gegeben habe.

Der Lehrer nickte lächelnd und meinte, Fräulein Wesdonk müsse wohl Geld haben wie Heu, ihr Vater sei Konsul gewesen und auf ihrer Kommode stehe die Photographie einer Villa; als er sie neulich gefragt habe, was das für ein Schloß sei, habe sie ihm geantwortet. „Mein Vaterhaus.“ Nun, dies Vaterhaus sei ein schönerer Besitz als das Schloß der Gräfin von Lindström drüben an der Küste.

Pischel schüttelte verwundert den Kopf und konnte es nicht fassen, daß Menschen einen solchen Besitz verlassen, um in einem Nest wie Massow den Sommer zu verbringen.

„Ja, siehst Du, Pischel,“ belehrte ihn der Schulmeister, „auch der Reiche will einmal eine Abwechslung haben. Wer immer Austern genießt, kriegt plötzlich Heißhunger nach Pellkartoffeln und Hering.“

Um diese Aufklärung und zehn Mark bereichert, trottete der Lotse nach dem Gasthaus, wo er Ewald Monk mit dem Wirthe bei einem Glase Dünnbier vor der Thür sitzen sah. Breitspurig stellte er sich vor die beiden hin und sagte pfiffig lächelnd: „Nu man rut mit dat grugliche Zeug, wat Ihr drinkt! Jahn, bring’ uns mal ’ne Bottel Rotspohn ut den Keller, äwer feinste Marke, wi möten ’nen deipen Trunk dahn.“

Jahn, der Wirth, ließ sich das nicht zweimal sagen. Als Pischel mit dem ihn fragend anstarrenden Ewald allein war, erzählte er seine Begegnung mit Bettina, wies lachend das Goldstück vor und fügte hinzu, was ihm der Lehrer über die Verhältnisse des Mädchens anvertraut hatte. Die Flasche Wein, welche der Wirth feierlich entkorkte, wurde mit Andacht geleert. Während Jahn nun einen längeren Vortrag über das jammerwürdige langsame Verschwinden unverfälschter Rothweine hielt, schaute Ewald stumm auf den rubinrothen, ein feines Aroma ausströmenden Wein, und Wünsche und Gedanken, die sich bei der ersten Begegnung mit Bettina nur schüchtern hervorgewagt hatten, brachten jetzt mit einem Male sein Inneres in Gährung.

Als jungem Menschen war ihm draußen in fernen Welttheilen das Glück bei den Frauen günstig gewesen; in dem einsamen Massow hatten der Dienst und die Sorge um das tägliche Brot seine Abenteuerlust gedämpft, seine hochfliegenden Wünsche und Hoffnungen herabgedrückt. Allmählich machte er sich mit dem Gedanken vertraut, Kathrein, die Tochter seines Nachbars Bräuning, zu heirathen und mit den zwölfhundert Mark und dem kleinen Stück Land, welches diese ihrem Manne als Heirathsgut zubrachte, sich eine eigene Häuslichkeit zu gründen. Bettinas Erscheinen aber wirkte auf ihn wie ein verjüngender Trank. Weitgehende Hoffnungen, heiße Wünsche stiegen wieder in ihm auf, ein Schimmer kühner Jugendträume fiel in seine Seele. Wenn er solch ein Weib gewinnen könnte! Er dachte an den Blick, mit dem sie ihn angesehen hatte, als er im Sturm um ihres Hutes willen ins Wasser zu springen drohte, und ein Gefühl des Sieges überkam ihn. Warum sollte die Tochter des Konsuls nicht den einfachen Lotsen lieben können? Hatte er nicht vordem manches Frauenherz gewonnen? Bettina Wesdonk war Waise, also unabhängig, und konnte frei wählen. Er leerte sein Glas auf einen Zug und sagte sich heimlich: ich wag’s! Dann sprang er auf und griff uach seinem Hut. Er gehörte zu den Strandwächtern der kommenden Nacht und wollte sich nach dem Wachthäuschen begeben.

„Holt an!“ sagte Pischel. „Du kriegst noch Geld rut.“ Jahn gab von den zehn Mark sieben wieder heraus. Ewald schob drei Mark zurück und meinte, sie hätten es versäumt, auf das Wohl der Spenderin zu trinken, das müsse noch geschehen. „Hast recht, Ewald, die möten wi leben laten.“ Bald darauf klangen die frisch gefüllten Gläser wieder zusammen auf das Wohl des „schenerösen Frölen.“

Monk verließ das Gasthaus mit heißem Blut und klopfenden Schläfen. Er fühlte den Muth kühnen Wagens in der Brust, und als er beim Gatter des nächsten Gehöfts die plumpe Gestalt von Kathrein Bräuning bemerkte, die seiner zu warten schien, bog er nach dem Fichtengehölz der Düne aus. „Du magst lange leben und gesund bleiben, aber für einen andern als Ewald Monk,“ murmelte er. „Deine zwölfhundert Mark und Dein Kartoffelacker locken mich nicht mehr, alberne Dirn’!“

Sein Weg führte am Landhaus des Kommandanten vorüber. Musik und Rosenduft drangen über die Schlehdornhecke. Der Lotse hielt an und schaute in den Garten hinein. Das Haus war hell erleuchtet, und die Gesellschaft befand sich im Salon, dessen Fenster weit geöffnet waren. Fast wie ein Erschrecken ging es ihm durch die Nerven, als er Bettina mit weicher Stimme ein Lied singen hörte; traumhaft klangen die Töne zu ihm herüber und umspannen ihn mit einem eigenthümlichen Zauber. Er merkte nicht, daß er noch immer in Gedanken verloren an der Hecke stand, als der Gesang längst verklungen war. Ein Geräusch ließ ihn aufblicken, in der ersten Ueberraschung zuckte er merklich zusammen, denn Bettina, welche frische Luft schöpfen und die Gesellschaft auf ein paar Minuten los sein wollte, war in den Garten hinausgetreten und kam gerade auf ihn zu; offenbar hatte sie ihn bemerkt. Sein erster Gedanke war, rasch weiter zu gehen und eine Begegnung zu vermeiden, im nächsten Augenblick wurde er sich bewußt, wie günstig dieses Zusammentreffen für seine Pläne sei. So blieb er und grüßte Bettina mit achtungsvoller Höflichkeit.

„Sie hier?“ rief diese, „und regungslos wie ein Träumender? Hat denn für Ihren rauhen Beruf der Zauber einer solchen Sommernacht auch noch seine Gewalt?“

„Warum nicht, gnädiges Fräulein? Unser Beruf führt uns auch unter milderen Himmel, als unser heimathlicher ist, in den lachenden Gefilden des Südens geht uns eine lieblichere Welt auf. Und da hab’ ich im Vorbeigehen Ihren Gesang gehört, der hat mich wieder hinausgetragen in jene schöne Ferne.“

Bettiua schaute ihn überrascht an. Welch’ reiches Innenleben mußte dieser kühne Mann besitzen, wenn er einen so sicheren, tiefen Ausdruck dafür fand. „Und zieht es Sie nicht wieder hinaus – zu fremden Ländern?“ fragte sie leise.

Er sann eine Weile nach, dann schüttelte er den Kopf und meinte, in jedem Küstenbewohuer stecke etwas vom Wandertrieb der Zugvögel; früher habe es ihn im Frühjahr stets gepackt. Aber wer weit in der Welt herumgekommen sei, verliere allmählich die Lust, herumzuschweifen, und denke daran, sich ein Nest zu bauen. Alles im Leben habe seine Zeit ...

„Und Sie möchten sich in Massow Ihr Nest bauen?“ Bettinas Stimme bebte.

Ewald schwieg verlegen und riß einige Sprossen von der Hecke ab, dann sagte er mit plötzlicher Entschlossenheit. „Das möcht’ ich wohl – wenn ein Singvogel, wie ich ihn eben gehört, das Nest mit mir theilte.“

Keck und forschend blickte er dabei Bettina an; diese erröthete und schwieg. Plötzlich wurde ihr Name gerufen und durch die Dämmerung bewegten sich mehrere Gestalten.

„Ich muß gehen, aber ich sage – auf Wiedersehen!“

Sie reichte ihm die Hand über die Hecke, und er drückte sie so rauh und kräftig, daß Bettina Schmerz empfand.

„Auf morgen, lüttge Nachtigall!“ sagte er und schritt seines Weges.

Im nächsten Augenblick flog Lisa an den Hals der Freundin und flüsterte ihr glückselig ins Ohr: „Er ist gekommen – Garcia Diaz.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_075.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2024)