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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Nun, so wird mir Ewald wohl gestatten, daß ich seinen Eltern diese Summe anweise,“ sagte sie gütig lächelnd. „Wir wollen dann zu gleicher Zeit bauen.“

Die Alten erschöpften ihren ganzen Wortvorrath in Dankesbezeigungen und priesen Ewald glücklich, daß er solch einen Engel zur Frau bekomme. Diesem Engel aber wurde es bei den Alten allmählich bange. Dem Brodem des Häuschens entschlüpfend, gestand sich Bettina, daß allzuviel Honig von den Lippen ihrer künftigen Schwiegereltern geflossen sei. Indessen, wie Ewald so stolz und stattlich an ihrer Seite einherschritt, fühlte sie sich wieder ermuthigt. Ich werde mit ihm leben, nicht mit den Eltern, sagte sie sich beruhigt.

Ewald begleitete sie zum Schulhaus zurück und verkündete jedem, der ihnen begegnete, sein neues Glück. Der Lehrer war bei der Nachricht von Bettinas Verlobung ebenso sehr überrascht wie der Kommandant, und als Ewald sich entfernt hatte, sagte er kopfschüttelnd: „Sie wagen einen kühnen Schritt, Fräulein Wesdonk.“

„Ist Ewald nicht brav?“

„Gewiß, ich achte ihn als einen ehrlichen Mann und tüchtigen Lotsen; allein er steht an Bildung und Lebensart weit unter Ihnen, und hier zu Lande gilt das Sprichwort. ‚Gliek tau Gliek‘ – Sie beide aber sind weit von einander geschieden durch Erziehung, Familie und Bildung.“

„Und ich glaube an ein ausgleichendes Gefühl,“ versetzte Bettina, „und das heißt die Liebe.“

„Möge Ihnen der Ausgleich gelingen!“ entgegnete besorgt der wohlmeinende Mann.

Bettina reichte ihm mit einem sonnigen Lächeln die Hand. „Helfen Sie mir dazu und bleiben Sie mein Freund!“

Der nächste Tag brachte den Verkauf des Bräuningschen Grundstückes zum Abschluß. Für die Summe von dreitausendzweihundert Mark erwarb Bettina den schön gelegenen Bauplatz, dessen Grenzen der Geometer dann genau bestimmte. Sie entwickelte nun in der Verwirklichung ihres Planes eine ungewöhnliche Thatkraft. Sie segelte mit Ewald nach der Hafenstadt, wo Ziegel, Cement und Holz in Fülle zu haben waren, schloß mit einem tüchtigen Maurermeister Verträge ab behufs rascher Ausführung des Baues und einigte sich mit einem Landschaftsgärtner über die Gartenanlagen und Baumpflanzungen.

Als nun aber die Arbeit beginnen und eine Schleife über das abschüssige Vorland bis ans Wasser gelegt werden sollte, kam „oll’ Bräuning“, ein knorriger Bauer, dessen Augen listig unter den buschigen Brauen hervorblinzelten, und erhob Einspruch gegen die Anlage.

„Mit welchem Rechte?“ fragte Bettina, „das Land gehört mir.“

„Soweit es auf der Höhe liegt, ja,“ entgegnete der Bauer ruhig, „aber von der Kante des Ackers an bis zum Wasser liegt auch noch Erde und die gehört mir.“

Bettina war einen Augenblick sprachlos vor Ueberraschung. Sie hatte, gleich dem Geometer, diese schräge bis zum Wasser reichende Fläche für den Untergrund ihres Bodens angesehen, sie war auch überzeugt, daß die Gerichte zur gleichen Ansicht gelangen würden, da die Wassergrenze des Meeres keine fest bestimmbare war und die Brandung häufig bis an den Fuß des Berges reichte. Allein sie konnte die Arbeiten nicht bis zum Abschluß eines Prozesses verschieben.

Was nun thun? Ewald wußte keinen Rath, ihn brachte der Gedanke aus der Fassung, daß Bräuning sich für die eigenen und Kathreins zerstörte Hoffnungen schadlos halten wolle. Der Lehrer aber schlug Bettina einen Vergleich vor und versprach ihr dabei seine Unterstützung. Als diese zu persönlicher Unterhandlung den Hof Bräunings betrat, sprangen ihr zwei große Hunde mit wüthendem Gebell entgegen, und sie bemerkte, daß hinter der Hecke ein dralles Bauernmädchen stand, das sich an ihrem Erschrecken weidete. Bettina war jedoch nicht feig. Das plÖtzliche Anspringen der Hunde hatte sie erschreckt, nicht eingeschüchtert. Sie ging den Hunden furchtlos entgegen, worauf diese sie kläffend umkreisten, ohne aber einen Angriff zu wagen. Im Hause sah sie zwei Burschen, welche sie erst herausfordernd anstarrten und dann langsam hinausgingen, um Bräuning zu rufen.

„Oll’ Bräuning“ begrüßte Bettina mit höhnischer Unterwürfigkeit, und als sie sich zu einem friedlichen Vergleich erbot und nach der Höhe seines weiteren Anspruchs fragte, forderte er fünftausend Mark.

Diese Unverschämtheit wies sie entrüstet zurück durch die Bemerkung, daß eine solche Forderung für den Sandhaufen, auf dem kaum der Strandhafer gedeihe, einer Erpressung gleichkomme. Der Bauer antwortete mit pfiffigem Lachen, er habe so viel von der neumodischen Gartenkunst gehört, daß er glauben müsse, der Stadtmamsell werde es nicht schwer fallen, auf dem Sandhaufen einen Weinberg anzulegen. Weinberge von solcher Größe aber bezahle man in der Regel höher als mit fünftausend Mark.

Nun erklärte Bettina ernst und bestimmt, sie sei zu einer ernsthaften Auseinandersetzung gekommen, nicht um Proben seines Witzes zu hören. Sei er dazu nicht in der Laune, so möge das Gericht die Entscheidung treffen. Sie werde unterdessen Mittel finden, ihren Bau durchzusetzen. Damit verließ sie rasch den Hof.

Am Abend lungerte „oll’ Bräuning“ vor dem Schulhaus herum und nachdem er des Lehrers habhaft geworden war, sprach er vom Wetter, vom Kohlpflanzen und kam endlich auf seinen Handel mit „der Stadtmamsell“ zu sprechen. Ganz beiläufig erkundigte er sich, ob diese wohl dreitausend Mark für das Vorland zahlen werde.

Der Lehrer erwiderte lachend. „Ihr irrt Euch, Nachbar, die Stadtmamsell, wie Ihr das Fräulein nennt, ist wirklich nicht auf den Kopf gefallen. Sie steht schon mit Pischel in Unterhandlung und wird dessen Wiese an der Wolfsschlucht kaufen, falls Ihr Euch bis morgen Mittag zwölf Uhr nicht zu einem verständigen Ausgleich entschlossen habt.“

„Und das Kornfeld?“

„Nun, das verkauft sie an ihren Freund Schmidt, einen Berliner Advokaten, der sich ein Landhaus an der See erbauen will.“

Schon in der Frühe des anderen Tages stand „oll’ Bräuning“ im Schulhaus und gab seinen Rechtsanspruch auf das Vorland für achthundert Mark preis. Bettina zahlte die Summe, allein ihr Glaube an die Biederkeit der Landbewohner war etwas erschüttert. Doch tröstete sie sich damit, daß keine Regel ohne Ausnahme sei, und warf „oll’ Bräuning“ zu den Ausnahmen.

(Fortsetzung folgt.)


„Sub rosa.“
Von C. Falkenhorst.


Ich kenne zwei gute Freunde, die hatten sich einmal entzweit. Ein Vertrauensbruch bildete die Ursache des Zwistes – ein vermeintlicher Vertrauensbruch; denn bei näherer Untersuchung löste sich derselbe in ein Mißverständniß auf. Doch ich will die Geschichte kurz erzählen.

Freund A. hatte dem Freunde B. eine Mittheilung über eine dritte Person gemacht und, als er sich von ihm trennte, hinzugefügt: „Das habe ich Dir aber sub rosa gesagt.“ Freund B. übersetzte das lateinische Sprichwort mit „verblümt“, dachte sich das erzählte Ereigniß noch schlimmer, als es in Wirklichkeit war, und da ihm kein Stillschweigen auferlegt war, sprach er weiter davon. Es wurde eine Klatschgeschichte daraus, und A. warf dem Freunde vor, er habe das in ihn gesetzte Vertrauen mißbraucht.

„Du hast mir ja gar nicht zu verstehen gegeben, daß die Sache geheim gehalten werden soll!“ wehrte der andre ab.

„O, bitte, ich habe es Dir ausdrücklich ‚sub rosa‘ gesagt!“

„Nun ja! Das heißt doch ‚verblümt‘.“

„Verblümt?“ meinte Freund A. entrüstet. „Ich habe nicht geglaubt, daß Du so unwissend bist.“ Er ging an den Bücherschrank, holte einen Band von Brockhaus’ Konversationslexikon, schlug den Artikel „Sub rosa“ auf und hielt das Buch dem Freunde vor.

Dieser las zu seinem Erstannen. „Sub rosa (lat., eigentlich ‚unter der Rose‘) heißt bildlich und sprichwortlich soviel als ‚im Vertrauen‘ oder ‚insgeheim‘, z. B. jemand etwas mittheilen. Die alten Deutschen pflegten nämlich eine Rose als Symbol der Verschwiegenheit bei ihren Gastmählern von der Decke auf die Tafel herabhängen zu lassen, um damit anzudeuten, das man die bei demselben durch frohe und heitere Stimmung hervorgerufenen Aeußerungen wieder vergessen und wenigstens anderen nicht mittheilen solle.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_110.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2021)