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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Der große Schatz der Sultane von Marokko.[1]

Von Gerhard Rohlfs.

Es ist gewiß ein schweres Unternehmen, über etwas zu schreiben, worüber so wenige sichere und zuverlässige Angaben vorliegen, aber wo Rauch ist, muß auch Feuer sein, und da fast alle neueren Reisenden darüber berichten, so werde ich versuchen, zusammenzustellen, was sie und ich von dem sagenhaften, manchen Schilderungen nach an „Elf u lila“, an „Tausend und eine Nacht“ erinnernden Schatz der Sultane von Marokko uns erzählen.

Hervorzuheben wäre zuerst, daß keiner der älteren Schriftsteller über Marokko irgend etwas davon weiß. Weder Leo Africanus, noch Dapper, noch Marmol bieten irgend eine Angabe über diesen Schatz, ja auch manche der neueren und neuesten, z. B. Ali Bei el Abassi (der spanische General Badia), lassen die Sache ganz unerwähnt, während andere sehr präcis in ihren Angaben sind. Man kann übrigens ganz genau verfolgen, wie sich die Sage von dem Schatze nach und nach verdichtete, und wir ersehen dann, wie die Regierungszeit Muley Ismaëls, jenes Bluthundes, die erste Veranlassung war zur Mythe von einem Schatze der Sultane von Marokko. Muley Ismaël regierte von 1672 bis 1727. Er war einer der blutgierigsten Herrscher, der je auf einem Throne gesessen hat.

Egmonts letzte Wohnstätte.
Das Schloß des Herzogs von Arenberg in Brüssel vor dem Brande.

In einem Gesandtschaftsbericht, den Herr Olon im Jahre 1685 an Ludwig XIV. von Frankreich schickte, heißt es nach verschiedenen Betrachtungen über des Sultans unsichtbaren und unnützen Schatz: „Man schätzt, daß er auf diese Weise bis auf 50 Millionen Piaster (ungefähr 150 Millionen Franken) angehäuft haben mag: das wäre ein reicher Schatz, um ihn zu nehmen und auf hübsche Art darin zu wühlen, wenn er so leicht zu entdecken und zu demselben Zugang zu erhalten wäre.“

Herr Olon verlegt die Stätte des Schatzes nach Marokko, obschon alle späteren Berichterstatter ihn in Mekineß wissen wollen. Jedenfalls finden wir aber hier die erste Angabe über einen marokkanischen Staatsschatz.

In einem „Die Einkünfte des Königs voll Marokko“ überschriebenen Kapitel seines Werkes „Geschichte und Staatsverfassung der Königreiche Marokko und Fes“ aus dem Jahre 1788 erzählt der französische Geschäftsträger am marokkanischen Hofe, Herr von Chenier, daß Muley Ismaël nach einer 54jährigen Regierung einen Schatz von 100 Millionen hinterlassen habe, daß aber die miserablen Regierungen nach ihm derart gewirthschaftet hätten, „daß der Schatz dieser Fürsten, der sonst so reich war, nun durch einen Zusammenfluß von Umständen erschöpft war und 1782 kaum 2 Millionen Dukaten oder 12 bis 13 Millionen Franken ausmachte.“

  1. Es scheint immer mehr, als ob das Sultanat Marokko ein neues Aegypten für die europäische Politik werden sollte. Die Unsicherheit der allgemeinen Zustände in dem Lande hat sich kürzlich wieder an den Unruhen zu Tanger gezeigt und verschiedenen europäischen Mächten Veranlassung zur Absendung von Kriegsschiffen gegeben, die im Nothfall die Rechte ihrer Nation zu vertreten hatten. Auch Deutschland hat in den letzten Jahren wiederholt und erst in letzter Zeit noch sein Interesse an dem Lande durch Gesandtschaften an den Sultan bewiesen. Für das Urtheil über die Bedeutung Marokkos als Freund oder Feind ist die Frage nach dem „großen Schatze der Sultane von Marokko“ nicht unwesentlich, und es dürfte daher von Werth sein, die Ansicht eines so erfahrenen und gewiegten Afrikakenners wie Gerhard Rohlfs über den vielbesprochenen Schatz zu vernehmen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_149.jpg&oldid=- (Version vom 13.5.2020)