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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


In zwei Häusern der Dresdner Nordstraße ist dem Schneidergewerbe ein Mittelpunkt geschaffen, der Paris gegenüber seinen Werth seit einem halben Jahrhundert behauptet.

Es ist das Verdienst Klemms, daß in Deutschland wenig französische Blätter gehalten werden. Die Zeichnungen für die deutschen Journale werden zumeist in Dresden und Berlin angefertigt. Sie gehen von Deutschland aus durch die ganze Welt, durch sie beeinflußt heute Deutschland das Ausland. Die großen Schneider halten wohl auch eine englische Zeitung und richten sich nach den von dort kommenden Anregungen. Die mächtige Tuchindustrie Großbritanniens hat hierauf einen entscheidenden Einfluß. Namentlich in allen Sportskreisen lauscht man bei uns mit allzu willigem Ohr den Anregungen, die von London kommen. Aber unsere Modeblätter sind die ersten der Welt. Die „Europäische Modenzeitung“ hat Ausgaben für Schweden, Holland, Ungarn, verschickt Bilder und Schnitte nach Belgien, Oesterreich, Rußland; ja selbst Frankreich spürt das Fortschreiten der deutschen Fachliteratur. Die heftigen Angriffe, welche von Paris gegen die deutschen Modeblätter gerichtet werden, sind ein Beweis dafür.

Ich bin Klemm in seinen späteren Jahren wiederholt begegnet. Er war damals schon über seine Fachkreise hinaus bekannt geworden als einer der emsigsten Sammler namentlich von seltenen Drucken. Mit seinem Spürsinne wußte er Altes, Sonderbares zu finden, seine reichen Mittel gestatteten ihm, zu kaufen, was ihm gefiel. Als er eines Tages seine Sammlungen öffentlich ausstellte, da bot er fast der gesammten Welt der Sammler ein überraschendes Schauspiel. Ihm blieb zwar der Inhalt seiner zahlreichen kostbaren Bücher meist völlig gleichgültig, er hatte auch eigentlich keinen geschichtlich gebildeten Sinn, sonst hätte er den alten Drucken nicht so abscheulich geschmacklose moderne Einbände geben lassen; er war auch an manchen Orten das Opfer von Täuschungen gewesen. Aber der Werth dessen, was der einstmals kümmerlich in der Lehre eines Dorfschneiders sich durchfristende Waisenknabe durch Fleiß und geschickte Ausnutzung der Schwäche dieser Welt erreicht hatte, wird am besten dadurch gekennzeichnet, daß das Bibliographische Museum zu Leipzig den Schatz von 2000 Bänden als Grundstock für seine Sammlungen erwarb und daß im Buchhändlerhause zu Leipzig wie im Germanischen Museum zu Nürnberg Klemms Büste aufgestellt wurde.

Klemm war ein Mann von gutem, zum Wohlthun geneigtem Herzen, im äußern Auftreten zurückhaltend und bescheiden. Es war nicht leicht, von ihm über seine Bestrebungen Auskunft zu erlangen. Und doch habe ich ihn einmal nach dem Geheimniß gefragt, durch welches er den Erfolg an seine Modeblätter fessele.

„Woher nehmen Sie die Anregung zu den Aenderungen in der Herrenmode? Gehen Sie nach Paris? Nach London? Beobachten Sie die dortige vornehme Welt?“

„Ach nein, man sieht ja hier und da, in Dresden oder auf Reisen, etwas Neues, aber …“

„Und das bilden Sie dann fort?“

„Manchmal! Nun, man macht eben einmal den Shawlkragen etwas breiter und sticht die Schöße vorn rund ab – oder man macht etwas anderes – was einem gerade einfällt!“

„Und die Schneider? Bäumen die sich gegen solche Willkür nicht auf?“

„Solange die alles nachmachen, was in den Modejournalen steht, hat’s damit gute Wege!“

„Und der Geschmack des Publikums?“

Klemm lächelte, die kleinen aber pfiffigen Augen blitzten vergnügt. Er antwortete nicht, sondern beugte sich mit dem Mundspitzen des Feinschmeckers auf einen alten Druck des 15. Jahrhunderts nieder, den er für schweres Geld eben erworben hatte. –

Mit der Herrschaft des Modejournals endet die Phantasie in der Gestaltung des Männerkleides. Die letztere vermag den Kulturhistoriker kaum noch anzuziehen. Was für einen Werth hat es, diese oder jene kleine Schwankung im Geschmack zu verfolgen, wenn sie aufgehört hat, Ausdruck einer Entwicklung des Schönheitsgefühles zu sein? Die Willkür der Zeichner hat die Lebenskraft der Mode zerstört. Niemand wagt, etwas an ihr zu modeln, außer jenen wenigen, welche im Zeichensaal sich durch die Haare fahren, jammernd, daß sie wieder einmal etwas Neues erfinden sollen. Und auf Befehl ist das so schwer!


Ein ungebetener Frühlingsgast.

Eine wohlbekannte und vielbesprochene Eigenthümlichkeit unsres Klimas bilden die Rückfälle der Kälte im Mai, die bösen Nachtfröste des Frühjahrs. Sie richten in Weinbergen und Gärten oft einen sehr empfindlichen Schaden an, der in vielen Fällen verhütet werden könnte, wenn der Weinbauer oder Gärtner am Abend wissen würde, daß in der Nacht ein Frost eintreten wird; denn man kann die zarteren Pflanzen durch Bedeckung mit Stroh, die Weinberge durch künstliche „Wolkenerzeugung“, durch Abbrennen raucherzeugender Stoffe schützen.

Die Wetterprophezeiung ist nun eine schwierige Kunst. Man verspottet die Wetterpropheten der alten Zeit, aber auch die modernen wissenschaftlichen sind kein Muster der Vollkommenheit. Die Zahl der fehlerhaften „Prognosen“ oder Wettervorhersagen ist auch bei ihnen eine nicht unbeträchtliche. Wenn man außerdem noch die Zeit in Rechnung bringt, bis die Depeschen der meteorologischen Stationen dem Publikum bekannt werden, so muß man so ziemlich zu der Ueberzeugung gelangen, daß man aus diesen Wetterberichten zumeist erfährt, wie das Wetter beschaffen ist oder beschaffen war, selten aber, wie es sein wird.

Das ist nun ein Uebelstand, der voraussichtlich durch die künftigen Fortschritte der Wissenschaft gehoben werden wird. Glücklicherweise betrifft er aber nicht die Vorhersage derjenigen Naturerscheinung, mit der wir es hier zu thun haben, denn wir sind imstande, das Eintreten der Nachtfröste mit fast unfehlbarer Sicherheit vorherzusagen, ohne über den Wetterstand auf so und so viel meteorologischen Stationen Europas durch den Telegraphen unterrichtet zu sein.

Um den Nachtfrost vorherzusagen, genügt eine Summe von Kenntnissen und ein geringfügiger Apparat, den sich schließlich jeder, auch derjenige, der auf dem Gebiete der Meteorologie Laie ist, beschaffen kann.

Die wissenschaftlichen Untersuchungen haben festgestellt, daß der Nachtfrost von dem sogenannten „Thaupunkt“ abhängt.

Die atmosphärische Luft hat die Eigenschaft, Wasserdampf in sich aufzunehmen, und zwar Wasserdampf, wie wir betonen wollen, in seiner gasigen, dem Auge unsichtbaren Form. Aber dieses Vermögen geht nicht ins Unbegrenzte, eine bestimmte Menge Luft kann nur eine bestimmte

Menge Wasserdampf aufnehmen und zwar wird diese Aufnahmefähigkeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_207.jpg&oldid=- (Version vom 5.4.2024)