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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Elsbeths Porträt, ins beste Licht zu rücken. „So einer ist doch immer doppelt so anspruchsvoll und undankbar als das übrige Mannsvolk. Haben Sie noch nicht genug an Glücksgütern, Unersättlicher? Eine glänzende Beförderung –“

„Nur seinen Verdiensten angemessen,“ versetzte die schlanke Elsbeth und hob sich auf den Zehenspitzen liebkosend an dem Papa empor.

„Eine Frau, für die Sie alle Tage Gott auf den Knien danken müßten, die ungerathenen Mädels, die ihren Papa nur verwöhnen, die beiden Jungen, an denen Sie Freude haben können –“

„Na ja,“ erwiderte er gedehnt. „Das ist alles gut und schön. Aber die Bedingung, unter der man das hat, das eigene Altern, ist eben doch eine scheußliche Sache.“

„Je nachdem man’s nimmt,“ erwiderte sie mit verstellter Unschuld. „Die wirklichen Altersbeschwerden fangen bei gesunden Meuschen erst hinter den Sechzigern an, und bis dahin ist’s doch eine hübsche Zeit gewesen!“

„Ach, davon spreche ich jetzt nicht –“

„Sie meinen mehr den kosmetischen Theil der Sache?“ lachte sie. „Ja, das ist freilich für schöne Leute sehr schmerzlich. Darin haben es die Nichthübschen besser; wer nie geblüht hat, dem thut auch das Verblühen nicht weh. So gleicht sich alles aus in dieser Welt. Aber es giebt doch ein ausgezeichnetes Mittel auch für die Schöngewesenen, alle unangenehmen Empfindungen darüber los zu werden –“

„Und das wäre?“ fragte er mißtrauisch.

„Sie errathen es nicht?“ Sie setzte sich zu ihm und sah ihn lächelnd an. „Nun, ganz einfach, am fünfzigsten Geburtstag seine Eitelkeit abthun, ermorden, austilgen! Denn sie allein ist es doch, die vor dem Altaussehen zittert. Graue Haare thun nicht weh, Falten ebensowenig, man kann trotzdem innerlich jung bleiben und von den Jungen geliebt werden, wenn man ein warmes Herz für sie behält und nicht vergißt, daß jetzt die Zeit gekommen ist, an sie abzuzahlen, was man einst von seinen Alten empfing. Das ganze Leben ist uns ja nur unter Bedingungen gegeben, und eine davon heißt: das Alter so selbstverständlich und natürlich hinnehmen, wie man einst die Jugend nahm. Es hat wie diese seine Merkmale, seine Leiden und Freuden –“

„Und Freuden?!“ wiederholte Walter ironisch.

„Rechnen Sie die ruhige Erkenntniß, den inneren Frieden, die Freiheit von leidenschaftlichen Irrthümern für nichts? Wer Gesundheit und verhältnißmäßige Körperkraft bewahrt, der kann auch in älteren Tagen im Natur- und Kunstgenuß ein unendlich erhöhtes Glück finden, er wird, im Hinblick darauf, daß die Nacht kommt, in der niemand wirken kann, doppelt für das Wohl seiner Mitmenschen sorgen und handeln, und er wird in solcher Thätigkeit genug Herzen finden, die ihm in lebhaftester Neigung anhängen. Das ist für meinen Geschmack ein wahreres Jungbleiben, als radfahrender Greis zu sein oder gletscherbesteigende Großmutter oder was für Blüthen die ‚Berechtigung der Persönlichkeit‘ heut zutage sonst noch treibt.“

„‚Man ist so alt, als man sich fühlt‘!“ citierte Walter.

„Ja, aber die Natur schreibt mit deutlichem Finger den Kommentar zu diesem Spruche in die Gesichter, und die anderen sehen’s, man mag sich fühlen, wie man will. Ich kannte eine Dame, welche sagte: ‚In der Gesellschaft wird man nicht älter als vierzig Jahre, was darüber ist, das muß gemacht werden!‘ Nun, und sie ‚machte‘ es denn auch so gut, daß sie aussah wie ein übertünchtes Grab.“

Emmy lachte. „Nein, Linchen, soweit kommen wir nicht. Wir altern einmal ganz hübsch natürlich, mit Würde und Heiterkeit. Ich weiß übrigens gar nicht, wie Ihr gerade auf dies Gespräch verfallt. Schau’ ihn Dir doch einmal an, sieht er denn für seine Siebenundvierzig nicht brillant aus?“

„Natürlich thut er das, er will ja bloß mit seinem Alter kokettieren. Wenn’s einmal Ernst wird, spricht er nicht mehr davon.“

„Und der junge Gatte Thormann ist nicht viel jünger als er.“

„Der Thormann, ja wahrhaftig! Aber ich weiß nicht, bei dem denkt man überhaupt nicht daran, ob er alt oder jung ist; ich glaube, weil er selbst nicht daran denkt und in aller Unbefangenheit so dahinlebt. Das sind doch die Glücklichsten, die das fertig bringen.“

„Kein Wunder,“ dachte Hugo und warf einen schnellen Blick in den Spiegel, aus dem ihm ein immer noch eines Odysseus würdiges Haupt, wenn auch mit etwas Silberglanz an den Schläfen, tröstlich entgegenleuchtete, „kein Wunder! Wer so aussieht wie der gute Thormann, der weiß nicht, was andere mit der Jugend verlieren. Und das naive Linchen spricht auch davon wie der Blinde von der Farbe. Na“ – zweiter Blick der Genugthuung „eine Weile thut sich’s noch!“

Und er strich vergnügt den weichen dunkeln Bart und durchmaß mit raschem Schritte den Salon bis zur Eingangsthür, wo eben die ersten Besucher erschienen – das Ehepaar Hoffmann. Hinter ihnen erschien Helenchen; sie sah noch ebenso blaß und verschwommen aus wie vor fünf Jahren, ein ungewisser Zug von Niedergeschlagenheit schwebte um ihre Lippen; sie schloß die jugendfrische Elsbeth mit gewaltsamer Zärtlichkeit in die Arme. Von Hoffmanns Söhnen war keiner erschienen, die jungen Herren verabscheuten den Zwang der Geselligkeit, und es konnte ihrem die Freiheit eines jeden achtenden Vater nicht in den Sinn kommen, sie dazu anzuhalten. Hätte er ihnen nur alles andre Störende ebenso ersparen können! Aber nicht einmal die wahrhaft traurige Examensordnung konnte er zu ihren Gunsten abändern: seine Reden in der ersten Viertelstunde waren ein einziger Strom von Entrüstung gegen die Gymnasialprofessoren, die seine beiden Aeltesten, die hochbegabten Jungen, auf eine wahrhaft empörende Weise schikaniert hätten. Natürlich waren beide durchgefallen.. „Und Fritz?“ schloß er, einen Blick nach dem hochgewachsenen Siebzehnjährigen hinüberwerfend, der soeben mit seinem Bruder Moritz nach beendigter Arbeit noch für eine Stunde in der Gesellschaft erschien.

„Er ist glücklich nach Prima gekommen,“ sagte Emmy einfach. Es widerstrebte ihr, von den wirklich guten Zeugnissen zu reden, die ihr Aeltester seit den letzten Jahren regelmäßig heimbrachte; sie war überglücklich im stillen. Wie hatte ihr häusliches Leben sich nach jener Schreckensnacht in Allersbach geändert! Welch ein Unterschied zwischen ihrem damaligen steten Zittern vor Hugos Unzufriedenheit und ihrem jetzigen offenen gegenseitigen Vertrauen! Freilich ohne Schwierigkeiten war es wohl nicht abgegangen, aber sie hatten sich beide redlich gemüht. Die Thatsache, daß Fritz damals unter des alten Professors Leitung in Bälde gern und ordentlich arbeitete, traf das Gewissen seines Vaters, und mit nicht geringerem Eifer als der Junge nach der Lösung seiner Aufgaben rang jener nach der richtigen Art, ihn zu behandeln. Er suchte sein Vertrauen und seine Liebe auf langen Spaziergängen wieder zu gewinnen, und bald hing Fritz mit Begeisterung an ihm. In Gedanken segnete Emmy den einfachen Landaufenthalt heute noch aus Herzensgrund! Denn im nächsten Winter verstand sich alles von selbst – Hugo ging abends nur noch selten aus, weil es ihm wohl war im Kreise seiner Familie, die Knaben arbeiteten eifrig, um abends fertig zu sein, wenn der Papa heimkam, er nahm theil an den Liebhabereien der Kinder und richtete allmählich das Interesse der Heranwachsenden auf die großen Fragen des Lebens. Dabei war er selbst stets am meisten überrascht von ihrem raschen Verständniß und wunderte sich, wie viel anziehender die Entwicklung dieser jungen Seelen war als die politischen Gespräche seiner Wirthshausherren, die er, genau besehen, alle auswendig kannte. Und merkwürdig – gerade als sein ganzes Wesen voll durch Beruf und Familie in Anspruch genommen war, so daß kein Raum mehr für unzufriedene Nebengedanken blieb, gerade da war der Ruf ins Ministerium erfolgt, der mit der Gehaltsvermehrung einen bedeutend erweiterten Wirkungskreis und große Befriedigung brachte. Kurz, es war reiches Glück emporgeblüht aus der einfachen Thatsache, daß der Vater seine Pflichl erfüllte, wie die Mutter sie von jeher gethan hatte!

„Will Fritz immer noch nach Kamerun?“ fragte Hoffmann ironisch lächelnd.

„Ja, sein Traum sind die Kolonien,“ erwiderte Emmy. „Aber er weiß, daß es dazu solider Grundlagen bedarf, und so soll er vorher erst ein recht tüchtiger Ingenieur werden; Begabung und große Lust dazu hat er.“

„Und Moritz? Den bringen Sie wohl nicht durchs Gymnasium?“ fuhr der gute Freund fort.

„Da er Kaufmann werden will, brauchen wir den Versuch nicht zu machen. Er ist in seiner Realschule sehr fleißig und schwärmt ebenfalls von künftigen überseeischen Unternehmungen. Vor der Hand sind wir glücklich, die beiden lieben Jungen noch um uns zu haben.“

„Ja, ja,“ sagte Linchen, die Emmys glänzendem Blicke folgte, „die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_218.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2020)