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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

sah, daß er das Boot auf den Sand gezogen hatte, und athmete auf. Gleich darauf aber bemerkte sie auch, daß er den Mast aufrichtete und das Segel hißte. Nun hielt sie sich nicht länger, wie ein gescheuchtes Reh flog sie den Abhang hinunter. Eben wollte Ewald das Boot in die Brandung schieben, da stellte sich ihm Bettina in den Weg.

„Was hast Du vor?“ fragte sie hochaufathmend.

„Geh’ ins Haus, vor dem Höwt kann’s Arbeit geben für beherzte Männer,“ antwortete er dumpf.

„Es ist kein Schiff in Sicht, sonst würde die Nothglocke läuten. Was also suchst Du jetzt auf dem Meer?“

„Wenn Du es denn wissen willst – den Tod. Ich bin Dir im Wege, und hier ist eine Gelegenheit, Dir ohne Aufsehen Platz zu machen. Man wird glauben, ich sei draußen vom Wetter überrascht worden, und Du hast als ehrbare Witwe keinerlei Nachrede zu befürchten. Leb’ wohl!“

Mit einer raschen Bewegung schob er die zitternde Frau zur Seite und gab dem Boote einen Stoß, daß es mit den gerade zurückfluthenden Wellen ins Wasser glitt. Mit einem Sprunge wollte er sich in das Fahrzeug schwingen – da umklammerten ihn Bettinas Arme; vergebens suchte er sich aus der Umschlingung frei zu machen, die Verzweiflung erhöhte ihre Kraft. Keuchend rief sie: „Du darfst nicht sterben, Ewald, komm zu Dir! Laß mit Dir reden, ich –“

Sie konnte nicht enden. Ein Schwall von Wasser rauschte über sie hin.

„Laß mich frei!“ rief Ewald in rauhem Tone. „Wann ich sterbe, kann Dir doch gleich sein, denn fort muß ich! Die Schmach, die Du mir anthun willst, überleb’ ich nicht.“

Er machte neue, aber vergebliche Anstrengungen, Bettina von sich abzuschütteln.

Krachend fuhren die Blitze nieder und beleuchteten mit fahlem Lichte das ringende Paar. Endlich ließ Bettina ermattet die Arme sinken; Ewald, freigeworden, schwang sich ins Boot und machte sich fertig, abzustoßen.

Und da, in diesem Augenblick, der über Leben und Tod ihres Gatten entscheiden mußte, schwiegen in Bettina mit einem Male alle Wünsche nach eigenem Glücke. War Ewald nicht der Hochherzigere? Sie wollte ihrer Liebe nicht entsagen und er gab sein Leben hin, um sie frei zu machen; um ihre leidenschaftlichen Wünsche zu befriedigen, ging er in den Tod! Daß er sterbend zugleich seine Rache an ihrer Zukunft nehmen wollte, machte sie sich nicht klar. Sie fühlte nur, daß er ihretwegen gehen wollte – das sollte, das durfte nicht sein – Opfer gegen Opfer!

Eine eisige Kälte ging ihr durchs Blut, ihre Zähne schlugen wie im Fieber aufeinander, aber mit verzweifelter Entschlossenheit bezwang sie sich und rief durch den brausenden Sturm: „Halt ein, Ewald – ich bleibe.“

„Wie?“ schrie er auf, und seine Augen starrten sie zweifelnd an. „Du – Du willst -“

„Ja – ja!“

„Betty!“ – er sprang aus dem Boote und eilte auf sie zu mit ausgestreckter Hand. „Du sollst sehen, Betty, daß ich von dieser Stunde an ein anderer bin, ein Besserer, und es wird noch alles ins rechte Geleise kommen.“ Er wollte sie an seine Brust ziehen, sie aber wich scheu zurück. „Laß uns das Boot bergen, die Brandung zerschlägt es sonst!“

„Hast recht, mein Herz, hast recht, aber das kann ich allein. Geh’ Du voraus ins Haus und wechsle die Kleider – Du wirst Dich sonst erkälten.“

Sie stieg langsam mit zitternden Knieen zum Hause hinauf. Oben angelangt, wandte sie sich mit gerungenen Händen Schloß Lindström zu. „Liebster,“ flüsterte sie, und heiße Thränen quollen unter ihren Wimpern hervor, „vergieb mir, ich konnte nicht anders. Mit dem Gefühl, den Gatten in den Tod getrieben zu haben, hätte ich nicht weiter leben können – mögest Du das Glück finden auch ohne mich! Leb’ wohl!“




18.

In der Nacht fand Bettina trotz ihrer Erschöpfung keinen Schlaf. Der Gedanke: was wirst du Rott sagen? ließ sie nicht zur Ruhe kommen, fiebernd erwartete sie den Morgen. Sobald der erste Schimmer dämmerte, erhob sie sich und verließ leise die Klause. Sie wandte sich zu jener Stelle am Rande des Höwts, wo sie einst in Todesgefahr geschwebt hatte. Unter der Buche, vor der ihr Rott seine Liebe gestanden, sollte sie in der Frühe mit ihm zusammentreffen; dort ließ sie sich nieder.

Bleich, mit starrem Blicke, saß sie da; über ihr rauschte der Wipfel im Morgenwind; das Meer, von leichtem Duft überzogen, dehnte sich endlos vor ihren Augen. Müde lehnte sie sich zurück an den Stamm des Baumes und versank in dumpfes Brüten; als sie sich endlich gewaltsam aufrüttelte, erstrahlte schon die Sonne im Osten, und unten in der Mulde erblickte sie die Gestalt Rotts, der rasch zur Höhe stieg. Er kam, um sie zur Freiheit zu führen, und sie durfte ihm nicht folgen!

Mit raschen Schritten näherte sich Rott und von weitem schon rief er ihr fröhlich entgegen: „Bettina, Liebste, bist Du bereit?“ Als er aber vor ihr stand, verflog der heitere Glanz seines Gesichts.

„Mein Gott, wie siehst Du aus? Bist Du krank geworden?“ Er erfaßte ihre Hände und sah ihr mit zärtlicher Besorgniß in das bleiche regungslose Gesicht.

„Mir ist so wirr,“ entgegnete sie matt, „ich habe in der Nacht nicht geschlafen. Meine Kraft ist wie gelähmt.“

„Aber was ist geschehen? Hat er Dich durch Drohungen eingeschüchtert, oder hat sich der Elende soweit vergessen – – ?“

„Nein, nein, Franz! Nicht gegen mich hat er die Hand erhoben, aber gegen sich. Ich könnte mein Glück nur mit Ewalds Leben erkaufen und das – vermag ich nicht. Um diesen Preis könnten wir beide nur elend werden; darum laß uns verzichten!“

„Verzichten? Da wolltest verzichten? Ich will nicht mein zerstörtes Glück, nicht mein künftiges Elend in die Wagschale werfen – aber denk’ an Dich selbst, an Deine Zukunft. Deine Lage hier muß entsetzlich werden. Wie kannst Du weiter leben an der Seite eines Mannes, der Deiner unwürdig ist, dessen Drohung, sich töten zu wollen doch nur eine feige List war.“

Er hatte die Worte in größter Erregung, mit leidenschaftlicher Ueberzeugung hervorgestoßen, nun hing sein Blick erwartend an Bettinas Angesicht. Diese aber schüttelte nur stumm den Kopf. „Es war sein Ernst,“ erwiderte sie dann dumpf und schilderte den Vorgang während des Gewitters. „Sieh, Franz,“ schloß sie bewegt, „in jener entsetzlichen Stunde gestern habe ich mir gelobt, meinem Mann, der sein Leben in meine Hand gelegt hat, eine feste Stütze, ein guter Kamerad zu sein. Mein Gewissen zwingt mich, das Gelöbniß zu halten, wie es mich zwang, dasselbe auszusprechen. Oder wolltest Du wirklich, daß ich anders gehandelt hätte, daß ich ihn hätte in den Tod gehen lassen? Könntest Du mir Dein ganzes Herz, Dein volles Vertrauen entgegenbringen, wenn ich mit diesem Verbrechen auf der Seele zu Dir gekommen wäre? – Du schweigst, Du antwortest nicht, aber in Deinen Augen lese ich einen stummen Vorwurf, einen Zweifel an meiner Liebe zu Dir. Muß ich Dir versichern, daß sie hoch über allem steht, was uns trennt, rein und unvergänglich, daß meine Gefühle für Dich so fest sind wie mein Glaube an Deinen Edelmuth? Eben darum aber kannst Du das Unwürdige nicht von mir verlangen, mußt Du meinen Entschluß billigen.“

„Ich meine, das Unwürdige sei für Dich, an diesen Mann gefesselt zu sein, den Du nicht liebst, der gestern in kindischem Trotze gedroht hat, sich das Leben zu nehmen, und heute wahrscheinlich ganz kühl denkt über einen Verlust, der für ihn im Grunde keiner ist.“

„Du sprichst gegen Dein besseres Wissen, Franz, vertheidigst die Selbstsucht, die doch Deinem innersten Wesen fremd ist. Wollte ich so egoistisch handeln, wie Du jetzt im ersten Schmerze verlangst, ich hätte vor Dir, vor mir selbst keinen Anspruch auf Achtung mehr. Und darum laß uns scheiden, nicht – vergessen!“

Sie erhob sich mit einer hastigen Bewegung, schlang die Arme um seinen Hals und preßte einen Kuß auf seinen Mund. „Leb’ wohl, Liebster,“ sagte sie mit bebender Stimme, und ihre Augen füllten sich mit Thränen. „Dir wird der Weg durchs Leben leichter werden als mir, denn eine wunderbare Trösterin begleitet Dich, Deine Kunst. Ich aber muß einsam ausharren auf dem Posten, auf den ich mich in freier Entschließung gestellt habe. Und nun, leb’ wohl für immer, leb’ wohl!“

Ehe Rott antworten konnte, hatte sie sich losgerissen und eilte, als fürchte sie, ihre Willenskraft könnte erliegen, den Weg uach der Klause hinab. Noch einmal stand sie still und sandte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_251.jpg&oldid=- (Version vom 27.4.2024)