Seite:Die Gartenlaube (1892) 270.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


7.

Der Nachmittag verging, und mit dem Feierabend kam Wolfrat nach Hause. Es war der Sudmann, den Haymo unter dem Thor des Salzhauses gesehen hatte; nun trug er zu der Leinenhose noch ein grobes Hemd und einen mürben Janker. Vor der Thür legte er die Holzschuhe ab und trat barfüßig in die Stube, in der es schon dunkel war.

„Bist Du’s, Polzer?“ klang die leise Stimme des Weibes.

„Ja , Seph’!“ erwiderte er, seine Stimme zum Flüstern dämpfend; dann trat er zu Sepha und strich ihr mit der schweren Hand über den Scheitel. „Was machst denn, Hascherl?“

„Wohl wohl, es muß halt gehen!“

„Bist in der Sonnzeit ein bißl draußen gesessen?“

„Wohl wohl, Polzer.“

Er beugte sich über das Bett. „Schlaft’s schon?“ Sie nickte nur. Sachte ließ er sich auf den Bettrand nieder und fühlte mit dem Rücken der Hand an die Wange des schlummernden Kindes. „Völlig brennen thut’s!“ Noch tiefer neigte er sich und trank den heißen Athem, der ihm entgegenströmte. Dann richtete er sich auf und fragte: „Wo schafft die Dirn’?“

„Sie feuert.“

Er erhob sich und verließ die Stube. Draußen in der Küche fand er Gittli beim flackernden Herdfeuer.

„Warst bei ihm?“ fragte er.

Gittli nickte, und die Thränen kamen ihr in die Augen.

„So red’ doch . . . will er mir Zeit lassen?“

Sie schüttelte den Kopf; sprechen konnte sie nicht. Und ihr Schweigen sagte ihm mehr, als er aus hundert Worten hätte hören können. Er wurde bleich bis in die Lippen, griff mit zitternder Hand nach einem dürren Ast und stocherte im Feuer umher. „Der Fitzmeier,“ sagte er nach einer Weile mit schwankender Stimme, „der hat an Michaeli das Lehent auch nicht zahlen können, und am andern Tag haben sie ihn ausgekehrt aus der Stub’.“

„Geh, wie magst Dich denn auf gleichstellen mit so einem!“ sagte Gittli fast zornig. „So ein schlechter Mensch!“

„Gut oder schlecht, nur scheppern muß es, scheppern!“ Er stieß mit heiserem Lachen die Fäuste in die Hosensäcke und beutelte die leeren Taschen. „Jetzt hat der Simmerauer dem Fitzmeier sein Lehen . . . und der Sutter-Franzi wartet auch schon, bis eins ledig wird.“ Er wandte sich ab und verließ die Küche. Auf der Schwelle fragte er über die Schnlter zurück. „Wo ist der Bub’?“

Im gleichen Augenblick kam Lippele zur Hausthür hereingestürmt. Mit beiden Armen griff Wolfrat zu und riß das Bürschlein an seine Brust empor. Lippele sträubte sich greinend gegen diese rauhe Zärtlichkeit; er hatte ja auch eine wichtige Botschaft zu bringen: der Eggebauer habe nach dem Vater gefragt und der Vater solle heut’ noch hinüberkommen.

„Der auch?“ murmelte Wolfrat. „Freilich, einschichtig ist noch nie eine Sorg’ gekommen. Schockweis’, schockweis’ . . . so wird’s wohl sein müssen!“ Er stellte den Knaben auf die Erde, schob ihn zur Stubenthür hinein und verließ das Haus.

Wolfrat brauchte sich nur uber den Gartenhag zu schwingen; denn der Eggebauer war sein Nachbar und ein schwerer dazu: der hatte volle Truhen und Kasten, vier Rosse im Stall und über die zwanzig Kühe; freilich, für den Klostervogt war das noch lang keine Ursach’ zum Respekt – das hatte Herr Schluttemann heut bewiesen.

Der Bauer schien den Sudmann schon erwartet zu haben, denn er stand unter der Hausthür, die Daumen in den breiten Ledergurt eingehängt.

„Grüß’ Gott, Eggebauer!“

„Grüß’ Gott auch, Polzer!“

„Mußt nicht harb sein, Bauer,“ sagte Wolfrat, jedes Wort hervorwürgend, „es ist unrecht von mir, daß ich mich erst hab’ rufen lassen ... ich hätt’ von selber kommen sollen, denn ich weiß ja, daß ich Dir in die Hand versprochen hab’, das Geld in der Palmwoch’ heimzuzahlen . . .“

„Was willst?“ brummte der Bauer. „Hab’ ich drum gefragt?“

Wolfrat schaute freudig betroffen auf.

„Behalt’ das Geld, solang Du willst. Ich brauch’s nicht. Bist ein armer Teufel, aber eine ehrliche Haut ... bei Dir ist’s gut aufgehoben. Und ich bin eine mitleidige Seel’ und hab’ mich gefreut, daß ich Dir hab’ helfen können.“

Eine Hoffnung schoß in Wolfrat heiß empor. „Bauer, wenn Du so zu mir redest,“ sagte er mit stammelnden Worten, „nachher möcht’ ich gleich statt einem ‚Vergelt^s Gott‘ ein ‚Bitt’ schön‘ sagen. Eggebauer! Ich kann das Lehent nicht zahlen! . . . Wenn Du mir helfen möchtest!“

Der Eggebauer spitzte die Ohren, was er hörte, schien er gar nicht ungern zu vernehmen. „Ich könnt’ schon . . . wann ich möcht’!“ sagte er schmunzelnd. „Und wer weiß, vielleicht mag ich!“

„Bauer!“ Und Wolfrat hatte schon mit zitterndem Druck des Bauern Hände gefaßt.

„Laß aus! Laß aus!“ wehrte der Bauer lachend. „Und . . . wir reden noch drüber. Damit Du aber siehst, was ich für einer bin und wie gut ich’s mit Dir mein’: ich weiß ein paar gute Heller zu verdienen, und da bist gleich Du mir eingefallen.“

„Verdienen! Mein Gott, Bauer, ich möcht’ ja schaffen wie ein Narr. Aber ich muß ja von früh bis auf den Abend im Sudhaus werken.“

„Was ich mein’, das kannst auch schaffen in der Nacht. Es ist ja sternscheinige Zeit. Nach Feierabend packst es an, neun Stund’ brauchst dazu und kannst fertig sein, vor das Glöckl im Sudhaus läutet. Und wenn Du’s machst in der Samstagnacht, da kannst auch länger brauchen . . . am Ostersonntag brennt kein Feuer im Sudhaus.“

„Und was wär’ das, was ich schaffen soll?“

„Zenza!“ rief der Bauer in den Flur zurück. „Bring’ die Latern’.“

Nach einer Weile erschien die Tochter des Bauern unter der Hausthür, in der Hand die Laterne mit brennendem Licht. Der Bauer nahm sie. „Komm’!“ sagte er und ging dem Sudmann voran einer Scheune zu.

In dem großen fensterlosen Raum herrschte schon tiefes Dunkel. Wolfrat staunte: so spät im Frühjahr, und die Scheune strotzte noch von Heu und Garben.

„Da schau!“ sagte der Bauer und hob die Laterne.

Wolfrat stand betroffen; scheu griff er nach dem Hut und entblößte das Haupt. Ueber einem Häufen Heu lag ein lebensgroßes Schnitzwerk: das Bild des Erlösers mit ausgebreiteten Armen. Es fehlte nur das Kreuz. Das Schnitzwerk war mit frischen Farben bemalt, die Locken braun, die Augen blau, die Glieder bleich wie Schnee, und aus allen Wunden, unter jedem Stachel der Dornenkrone rannen die rothen Tropfen. Der flackernde Schein der Kerze warf über das Bildniß ein Zittern und Zucken von Licht und Schatten, daß es fast zu leben und sich zu bewegen schien.

„Den sollst hinauftragen auf meine Alm in der Röth’ und sollst ihn aus Kreuz schlagen!“ sagte der Bauer. „Ich hab ihn bei mir überwintert, damit er nicht zu Grund’ geht im Schnee. Aber jetzt fangt das Gras zu wachsen an, jetzt muß er hinauf und auf mein Sach’ schauen. Schwer tragen hast freilich an ihm, aber schau, ich hah Dir da eine Kraxe hergestellt, die liegt Dir gut auf dem Buckel ... da spürst ihn nur halber! Und jetzt red’ . . . willst?“

Ja, Bauer, in der Samstagnacht,“ sagte Wolfrat. „Und aufpacken will ich ihn gleich!“

„Brav, brav!“ nickte der Eggebauer.

Wolfrat hob zur Probe die Kraxe auf den Rücken, um abzumessen, wie hoch er das Schnitzwerk hinaufschnüren müsse, damit es ihn mit den Füßen nicht im Gehen behindere. Dann legte er sich die Stricke zurecht und kleine Heubüschel, mit denen er das Schnitzwerk unterlegen mußte, damit die frische Farbe von den Kanten der Kraxe nicht abgeschürft würde.

„Gelt,“ sagte der Eggebauer, „hast ein rechtes Kreuz bei Dir daheim?“

Wolfrat nickte nur.

„Mein Gott, mein Gott, schaut bei mir auch nicht viel besser aus!“

„Wie geht’s denn der Bäuerin?“

Der Bauer seufzte. „Schlecht, schlecht! Wär’ mir schon lieb, wenn sie bald wieder gesunden thät! Das Weib ist soviel ungut und zuwider und jagt mir die Seel’ aus dem Leib’.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_270.jpg&oldid=- (Version vom 12.1.2021)