Seite:Die Gartenlaube (1892) 307.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


gesprengt. Die ungeheuren Explosionen brachten eine Erschütterung hervor gleich einem Erdbeben, aber das dadurch entstandene weite Trümmerfeld, welches durch die von dem nahen Alsterbassin gespeisten Spritzen mit Wasser förmlich überschwemmt wurde, setzte doch hier dem Feuer eine dauernde Grenze. Der Gänsemarkt, der Neue Jungfernstieg mit der Esplanade, wo man bereits angefangen hatte, die Häuser zu räumen, kurz, der ganze westliche Stadttheil war gerettet. Die dortige Bevölkerung athmete auf; es war eine Erlösung von entsetzlicher Angst.

Im Nordosten der Stadt dagegen wüthete die Feuersbrunst mit teuflischer Hast weiter und zog immer mehr Straßen und Gassen in ihren verheerenden Flammenkreis hinein. Vom östlichen Ende des Jungfernstiegs hatte sie die Alster- und Bergstraße ergriffen und bedrohte jetzt die Sankt Petrikirche.

Inzwischen war die auf großen Pontons im jenseitigen Harburg eingeschiffte hannoversche Artillerie, welche der Senat zur Unterstützung erbeten hatte, am Grasbrook gelandet; in fieberhafter Eile wurden die Kanonen und Pulverwagen bespannt und rasselten alsbald durch die verschont gebliebenen südöstlichen Straßen. Es war wie zu Kriegszeiten in einer belagerten Stadt. Am Speersort nahmen die Batterien Aufstellung, um die Häuser des „Bergs“ niederzuschießen und dadurch möglicherweise die Petrikirche vor dem Untergang zu bewahren. Das schwere Geschütz donnerte weithin, die gewaltigen Kugeln schossen Bresche auf Bresche, und die schönen Gebäude, vor wenig Tagen noch von friedlichen und ahnungslosen Menschen bewohnt, stürzten krachend zusammen.

Der Entwurf des neuen Rathhauses für Hamburg.
Nach einem Lichtdruck von Strumper u. Comp. in Hamburg.

Aber auch hier war jede menschliche Kraftanstrengung vergebens. Der dichte Feuerregen vom „Breiten Giebel“ ergoß sich auf die Trümmerhaufeu und setzte sie trotz aller Löschversuche in Brand; aus einzelnen Dächern der am Petrikirchplatz gelegenen Häuser wirbelte bereits am Abend des 7. Mai blutrother Qualm auf. Gegen Mitternacht stand die 460 Fuß hohe herrliche Thurmpyramide, der Stolz aller Hamburger und in ganz Deutschland wegen ihrer meisterhaften Konstruktion berühmt, in feuriger Lohe, und ein ungeheurer, vom Sturme gepeitschter Flammenmantel umhüllte den stolzen Bau. Ein grauenerregender und doch prächtiger Anblick, und dem, der es mit angesehen, für sein ganzes Leben unvergeßlich! Auch hier, wie bei der Nikolaikirche, ließ das Glockenspiel seinen Klageruf ertönen - das Wimmern eines Kindes gegen ein blutgieriges Raubthier - und schon nach einigen Stunden war das grausige Werk der Vernichtung vollendet.

Der Brand tobte weiter nach dem Pferdemarkt hin und riß leider auch die schöne gothische Gertrudenkapelle mit in das allgemeine Verderben. Aber hier standen die aus Kiel und Lübeck auf Eilfuhren angelangten Spritzen mit ihrer kräftigen und unerschrockenen Bemannung und vertheidigten Schritt für Schritt und Haus für Haus die Umgebung der Jakobikirche, die auch glücklich gerettet wurde. Sogar der Sturm ward den Rettern gewissermaßen zum Bundesgenossen, denn er wandte sich plötzlich nach Nordwesten der Außenalster zu, so daß die Bewohner der Vorstadt Sankt Georg nichts mehr zu befürchten hatten

Die ganze Ostseite der Binnenalster freilich fiel noch der Vernichtung anheim. Das dort liegende Zuchthaus war bereits vorsorglich

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_307.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2017)