Seite:Die Gartenlaube (1892) 316.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

das Antlitz von klassisch strenger Schönheit der Linien, eine Fülle dunkelblonder Flechten, welche diademartig das feine Köpfchen umrahmten. Sehr merkwürdig waren ihre Augen, hellbraun, genau in der Farbe der Haare, von langen schwarzen Wimpern beschattet. Julia zwinkerte mit den Lidern, wie Kurzsichtige zu thun pflegen, und hatte die Gewohnheit, von unten herauf durch den Schleier der dunklen Wimpern zu schauen, was dem Blicke etwas ungemein Berückendes verlieh. Wahrhaft vornehm war ihr Gang, ein stolzes Schweben, und die edle Ruhe ihrer Bewegungen, ihre anmuthige Würde – ja, sie war sehr schön – und ich war sehr jung.“

„Mildernde Umstände, die wir gelten lassen wollen,“ sagte Philipp. „Wenn sie dazu noch schauspielerische Begabung besaß, so will ich sogar unbedingt auf Freisprechung antragen.“

„Schauspielerische Begabung? Nein, die besaß Julia nicht. Auf der Bühne entzückte sie das Auge, allein ihr Spiel ließ kalt. Es fehlte ihr nicht an einer gewissen Routine, aber vollständig an Wärme der Empfindung und selbstloser Hingabe an ihre Rolle.“

„Eine Komödiantin, keine Künstlerin,“ schaltete Edwin ein.

„So war es. Doch davon überzeugte ich mich erst viel später. Als ich sie kennenlernte, galt mir Julia für eine Künstlerin von Gottes Gnaden; und nicht mir allein – das Publikum in meiner Garnison vergötterte sie. Der Direktor hatte nie so volle Häuser gesehen wie zur Zeit ihres Gastspiels, das sich denn auch, zur allgemeinen Befriedigung, ins unendliche ausdehnte.

Julia hatte Empfehlungsbriefe an mehrere der angesehensten Familien mitgebracht. Da sie gefällige Umgangsformen, Bescheidenheit und Zurückhaltung im Auftreten besaß, so konnte es nicht fehlen, daß sie bald in vielen Häusern als gern gesehener Gast verkehrte. Meine Kameraden wetteiferten mit den jungen Herren des Komitats, ihr Huldigungen darzubringen; Julia nahm diese freundlich hin, doch mit der ihr eigenen, kühlen Vornehmheit, welche die Uebermüthigsten in Schranken hielt.

In Gesellschaft erschien sie nur an der Seite einer stattlichen Matrone, die sich Madame Helonin nannte. und von Julia mit einer gewissen Absichtlichkeit als ihre ‚Pathin‘ bezeichnet wurde. Auch Madame gefiel allgemein, schon durch ihr schönes Französisch, in zweiter Linie durch ihre ehrwürdigen Locken. Die Frau galt als Respektsperson, und mit geheimnißvollen Andeutungen wußte sie den Glauben an Julias ideal angelegte Natur wesentlich zu bestärken, ein Glaube, der in meinem Herzen rasch zum unantastbaren Dogma wurde.

Als mein Regiment im Mai jenes ereignißreichen Jahres die Bestimmung erhielt, nach Italien zu marschieren, war ich besinnungslos verliebt in die schöne Julia, die mich aber zu meinem namenlosen Leide kaum beachtete. Ich betete sie an wie eine Heilige. wie ein höheres Wesen!

Im ganzen Regiment herrschte Jubel über die Aussicht, unter Vater Radetzky das Schlachtfeld zu betreten; dennoch schieden wir ungern aus der Gegend, wo wir frohe Gastfreundschaft genossen hatten. Man sah auch uns ungern scheiden, und so wurde dem gegenseitigen Abschiedsschmerz in zahllosen Festen Ausdruck gegeben, von denen mich jedes mit Julia zusammenführte und jedes von neuem in dem Schmerze zurückließ, von ihr übersehen worden zu sein. An einem der letzten Tage vor unserem Ausmarsch vereinigte ein besonders großartiges Abschiedsfest das ganze Offizierscorps und alle Honoratioren des Komitats. Erlaßt mir die Beschreibung von Illumination und Feuerwerk, von dem Ständchen, dessen ich mich nur verworren entsinne. Genau weiß ich, daß wir tanzten bis zum grauenden Morgen, und schließlich versammelte man sich noch zu einem improvisierten Frühstück.“

„Natürlich, die Krautsuppe,“ warf Edwin dazwischen, „das ungarische Mittel gegen Katzenjammer!“

„Ueber das Menu jenes Frühstücks weiß ich wahrlich nicht mehr Bescheid, ich hatte nur Augen für Julia, die mir gegenüber saß und deren stolze Schönheit auch gegen das fahle Licht der Morgendämmerung gefeit schien. Sie war ungemein lebhaft, die Augen schillerten in grünlichem Lichte. Auch die Stimme klang nicht weich und gedämpft wie gewöhnlich; mit scharfer Betonung kamen die Worte über die zusammengepreßten Lippen. Nicht einmal in ihren bewegtesten Rollen hatte ich Julia so leidenschaftlich erregt gesehen. Eine Ahnung sagte mir, man habe ihr wehgethan, und ich litt unsäglich bei dem Gedanken, sie nicht schützen, nicht trösten zu dürfen. In blöder Einfalt ahnte ich nicht, was die Verstimmung veranlaßt hatte.“

„Euer Ausmarsch mochte ihr leid thun,“ meinte Hilda.

„Vielleicht,“ entgegnete der Onkel mit halbem Lächeln. „Möglicherweise war die Verstimmung auch durch die Verlobung eines reichen Magnaten hervorgerufen, der seine Bewunderung für die schone Jülia ziemlich auffällig zur Schau getragen hatte; um so überraschender war es, als er zu jenem Feste an der Seite einer glückstrahlenden Braut erschien, der lieblichen Tochter eines Aristokraten.

Selbstverständlich bildete das große Ereigniß den Gesprächsstoff in allen Gruppen, auch an dem Tische, wo Julia mit einer ihrer Freundinnen inmitten einer fröhlichen Schar getreuer Verehrer thronte. ‚Ich würde den Grafen nur unter einer Bedingung genommen haben,‘ sagte jene Freundin, eine vorlaute, mir unangenehme Dame, ‚– er hätte mir seinen Vollbart opfern müssen. Sieht er doch aus, als trüge er die Perücke am Kinn.‘ Die Bemerkung war treffend, alle lachten, nur Julia entgegnete bitter: ‚Wie jung, wie naiv Du doch bist, wenn Du meinst, ein Mann sei zu solchem Opfer bereit! Keiner liebt stark genug, daß er auch nur ein Haar opferte.‘

Stürmischer Widerspruch folgte diesen Worten; ein jeder beeilte sich, überzeugende Beweise seiner oder auch fremder Opferwilligkeit zu erzählen. Ich konnte nichts sagen; der herbe Ton in Julias Rede schnürte mir das Herz zusammen. Was mußte sie leiden, um so bitter zu urtheilen! Da blitzte ein Gedanke durch mein überspanntes Gehirn! Es sollte ihr eine Genugthuung werden – um jeden Preis. Ich schlich davon – und so rasch, als dies ein verschlafener Haarkünstler zu besorgen vermochte, ward die Idee zur That – der Stolz meiner zwanzig Jahre, mein Schnurrbart war gefallen.“

„Ausgezeichnet! Glänzend! Famos!“ riefen Brüder und Schwäger im Chor.

„Als ich klopfenden Herzens den Saal wieder betrat, stand Julia im Begriff, ihn zu verlassen; lachend und scherzend umringte sie die Schar der Getreuen. Ich drängte vor – das Knie beugend, überreichte ich ihr die nicht ganz gewöhnliche Siegestrophäe auf der Säbeltasche. Der Erfolg war ungeheuer. Man schrie, man johlte und tobte. Julia jedoch blickte stumm und sichtlich überrascht auf mich nieder. ‚Der ist wohl ein edler Ritter,‘ sagte sie mit bewegter Stimme. Mir tief in die Augen sehend, neigte sie sich erröthend langsam herab – und flüchtig berührte ihr Mund meine Stirn. Alsbald faßten mich die Kameraden, hoben mich auf ihre Schultern, und ich entkam ihnen erst, als Julia längst entschwunden war.

Am nächsten Morgen – der Rausch der Begeisterung lag mir noch in allen Gliedern – erhielt ich Botschaft von ihr, die Bitte, sie vor dem Abmarsch zu besuchen. Ob meine Füße wohl den Boden berührten, als ich damals zu ihr flog? Nie wieder im Leben war ich so selig und so befangen wie in jenem Augenblick, da ich vor ihr stand, und doch war es zum Scheiden. Ihre rosigen Finger befestigten ein Amulett an meinem Halse – ‚Es möge Sie beschützen,‘ flüsterte sie, ‚wie meine Gebete Sie begleiten!‘ Dann bat sie mich, ihr manchmal Nachricht zu geben. ‚Ich bin nicht gewillt, meinen ritterlichen jungen Freund sogleich aus den Augen zu verlieren, da ich ihn kaum gewonnen habe,‘ sagte sie mit schmerzlichem Lächeln – und ich war entlassen.“

„Wie, so ohne weiteres? Ohne Abschiedskuß?“ fragte Lothar, einigermaßen enttäuscht.

„Ich hatte kaum gewagt, ihre Fingerspitzen zu berühren, so hoheitsvoll stand sie vor mir – eine Königin, eine Gottheit in meinen Augen! Ueberdies, die ganze ‚Garde‘ war zu diesem Empfang mobil gemacht worden; ein halbes Dutzend, saßen sie da wie Spinnen! Im Kreuzfeuer dieser lauernden Blicke brachte ich keinen Laut aus der Kehle. Ohne Worte nahm ich Abschied; aber dann schrieb ich um so mehr auf dem Marsche, im Biwak, vor dem Feiude – überall fand ich Muße und ein Stückchen Papier, mein übervolles Herz, meine ganze Seele auszuschütten.

Nach Jahren habe ich diese Briefe wiedergelesen; da konnte ich mich nicht genug wundern, wie ich es vermocht hatte, einer Frau, mit welcher ich kaum einige Worte gewechselt, einer Unbekannten, ich möchte sagen einem Gebilde meiner Phantasie, so ohne weiteres mein geheimstes Denken zu enthüllen ..."

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_316.jpg&oldid=- (Version vom 8.8.2020)