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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Darum erbitterte es ihn, daß der Konig seine Vorstellungen und Ansprüche völlig mißachtete und fortfuhr, ihn wie ein Kind zu behandeln. Philipp war im Rechte; aber daß er in seinem pedantischen Sinne den Jugendmuth des Prinzen auch unnöthig einengte und unterdrückte, ist ebenso zweifellos wie die Schädlichkeit einer solchen Eidesleistung und Huldigung für die Entwicklung eines nicht bloß unreifen, sondern auch überspannten Knaben.

Die zweite Sorge Philipps war, für die Gesundheit des Prinzen etwas zu thun. Er entschloß sich endlich, ihn aus Madrid zu entfernen, was schon längst hätte geschehen sollen. Im Jahre 1561 wurde Don Carlos auf die hohe Schule nach Alcala geschickt, und das erste Jahr, das er dort zubrachte, ist das glücklichste seines Lebens gewesen. Karls V. natürlicher Sohn, der unter dem Namen Don Juan d’Austria und als Sieger von Lepanto bekannt geworden ist, und ein Enkel Karls, Alexander von Parma, zwei begabte und unternehmungslustige junge Männer, waren seine Gefährten. Seine Gesundheit wurde besser, das Fieber verlor sich.

Leider fand der Genuß akademischer Freiheit ein frühzeitiges Ende. Der Prinz hatte ein zärtliches Verhältniß mit der Tochter seines Haushofmeisters, und als er eines Tages – es war im April 1562 – aus dem oberen Geschoß, wo er wohnte, eine Treppe hinabeilen wollte, um das Mädchen zu sprechen, kam er zu Fall und zog sich eine erhebliche Verletzung am Kopfe zu. Sofort kehrte auch das Fieber wieder. Die spanischen Aerzte, deren Verfahren den Hohn der fremden Gesandten herausforderte, wandten wie gegen alle Krankheiten treibende Mittel und starke Aderlässe an. Der Konig eilte selbst mit Vesalius, dem berühmten niederländischen Arzte, an das Krankenbett. Vesalius entfernte auch glücklich ein Stück des verletzten Schädels, aber die Heilmethode der übrigen Aerzte bekämpfte er vergeblich. Nach einigen Wochen konnte sich der Kranke wieder erheben, allein sein Befinden hinderte ihn noch nach Monaten, die beabsichtigte Huldigung der Cortes von Aragonien zu empfangen, und völlig gesund wurde er nie wieder.

Das absonderliche Benehmen, welches der Prinz schon früher gezeigt hatte, trat nach dieser Kopfverletzung noch auffälliger hervor. Durch geringfügige Anlässe ließ er sich zu Wuthausbrüchen und Gewaltthätigkeiten hinreißen, und dann folgten wieder Stunden, wo seine Willenskraft erlahmt und sein Lebensmuth gebrochen schien. Im Gespräch mit ihm konnte man zuweilen bemerken, daß seine Gedanken etwas Abspringendes hatten und daß er sich in der Aeußerung derselben überhastete. Den Gewohnheiten der Südländer zuwider war er häufig unmäßig im Essen, und wenn seine Fieberanfälle kamen, so trank er soviel Eiswasser, daß er davon noch kränker wurde.

Nicht ganz normale seelische und geistige Veranlagung war in Karls Familie zuweilen beobachtet worden, und wenn es auch erwiesen ist, daß die Mutter Karls V., die „Johanna die Wahnsinnige“ genannt wird, nicht eingesperrt wurde, weil sie wahnsinnig war, sondern daß sie umgekehrt wahnsinnig wurde, weil man sie aus politischen Gründen eingesperrt hielt, so ist hier doch ein Keim zum Wahnsinn vorhanden gewesen. Man würde zu weit gehen, wenn man den Prinzen für unzurechnungsfähig halten wollte. Aber allerdings entbehrten seine Geistes- und Willenskräfte des rechten Gleichgewichts, sein Seelenleben der Harmonie und der ungetrübten Gesundheit. Zu nicht günstigen Naturanlagen kam eine Erziehung, welche dem Prinzen zeitweilig unbegreiflich viel Freiheit ließ, ihm aber noch weit häufiger übermäßigen Zwang auferlegte. Manche Eindrücke und Einflüsse der Staatsaktionen und des Hoflebens waren für ihn nicht heilsam. Die Etikette dieses Königshofes paßte für finstere, mönchische, dem Volke nach orientalischer Weise entrückte Könige, wie die Spanier sie gern hatten und wie Philipp einer war; aber sie paßte nicht für einen jungen, unruhigen und tatendurstigen Kronprinzen wie Don Carlos.

Am schädlichsten aber war für den seit seiner Kopfverletzung doppelt reizbaren Prinzen der Gegensatz, in den er sich zu seinem Vater und in den sein Vater sich zu ihm stellte. Philip war bedächtig, auf seine Macht eifersüchtig, unbeugsam, engherzig; Karl war leidenschaftlich, herrschsüchtig, unzufrieden. Philipp war sparsam; Karl neigte zur Verschwendung. Philipp war in der Ausübung kirchlicher Pflichten pünktlich und peinlich; Karl hatte, obwohl er ganz auf dem Boden seiner Kirche stand, wenig kirchlichen Sinn. In dem natürlichen Widerstreit in politischen Fragen, in den ein Thronfolger zu dem Herrscher zu treten pflegt, zeigte der Prinz gegenüber dem Despotismns seines Vaters zwar nicht etwa weltbürgerlichen Sinn, aber er hielt es mit der aristokratisch-ständischen Seite; in allen wichtigen und unwichtigen Dingen standen Vater und Sohn gegeneinander. Der Prinz fühlte sich nur dann leiblich wohler und geistig freier, wenn er von seinem Vater getrennt lebte wie in Alcala. Aber Philipps kleinliche und mißtrauische Sinnesweise gefiel sich darin, jede Selbständigkeitsregung auch in diesem Falle zu unterdrücken. Wäre dem Prinzen, als er die Kinderjahre hinter sich hatte, gestattet worden, allein und womöglich an einem anderen Orte als der König Hof zu halten, unter der milden und verständigen Leitung und dem Beirath von Männern, die dem Herrscher ergeben, aner auch dem Prinzen nicht verhaßt waren – und solche gab es – so würde sich vielleicht ein erträgliches Verhältniß zwischen Vater und Sohn hergestellt haben, und der Prinz wäre einer anderen Zukunft entgegengegangen. Philipp jedoch verfügte, daß sein Minister und Oberhofmeister Ruy Gomez, Fürst von Eboli, auch des Prinzen Hofhalt leite, und dadurch war ein beständiges, zu vielen Aergernissen führendes Zusammenwohnen des Königs und des Kronprinzen bedingt. Philipps Einmischung in das alltägliche Leben seines Sohnes steigerte dessen Erbitterung, und die Aeußerung dieser Empfindung bestimmte dann wieder den Konig, die Zügel noch straffer anzuziehen und z. B. den Prinzen in seinen Ausgaben in der unfürstlichsten und drückendsten Weise zu beschränken.

Als der Prinz zwanzig Jahr alt wurde, ermächtigte ihn der König, an den Sitzungen des Staatsraths theilzunehmen. Nachdem Don Carlos einigen Berathungen beigewohnt hatte, blieb er den Sitzungen fern, entweder weil er einsah, daß der Einfluß des Staatsraths überhaupt gering war, oder weil das Zuhören ihm nicht behagte. Eine mehr geordnete, lehrreichere und zu eigener Arbeit mehr anregende Beschäftigung wäre ersprießlicher gewesen. Aber Philipp wies ihm eine solche nicht zu. Der Mangel an geeigneter Thätigkeit steigerte des Prinzen Unzufriedenheit und Unruhe.

Eine günstige Wendung schien das Schicksal des Prinzen nehmen zu wollen, als man seine Vermählung ernstlich ins Auge faßte. Er war noch ein Kind, als die Frage, welche Prinzessin dieser Erbe des mächtigsten Reiches jener Zeit einst heimführen werde, bereits alle europäischen Höfe beschäftigte. Noch ehe er zwölf Jahre zählte, ist einmal zwischen spanischen und französischen Diplomaten die Möglichkeit erwogen worden, ihn mit Elisabeth von Valois zu vermählen, aber diese Möglichkeit war nur eine unter mehreren anderen, die man ebenfalls in Betracht zog, und es kam zu keinem festen Abkommen. Philipp selbst heirathete diese Elisabeth, als Don Carlos noch nicht fünfzehn Jahr alt war, und dieser hat von jenem früheren Plane kaum erfahren. Als er heranwuchs, ist daran gedacht worden, ihn mit Maria Stuart zu verheirathen, die im Jahre 1560 ihren ersten Gemahl, den Konig Franz II. von Frankreich, verloren hatte und seitdem in ihr ererbtes Königreich Schottland zurückgekehrt war. Aber auch dieser Vorschlag wurde aufgegeben, weil man die Gegnerschaft Englands, Frankreichs und selbst des deutschen Kaisers fürchtete, die den künftigen Konig von Spanien nicht gern auch in Schottland hätten herrschen sehen.

Obwohl der körperliche Zustand des Prinzen manche Bedenken wachrief, einigte man sich endlich mit dem österreichischen Kaiserhof dahin, daß Don Carlos seine Base, die Erzherzogin Anna von Oesterreich, Tochter Kaiser Maximilians II., heirathen sollte.

Es wurde bekannt gegeben, daß Philipp im Frühjahr 1567 in Begleitung des Prinzen nach den Niederlanden gehen werde, um die zwischen den Niederlanden und seiner Regierung ausgebrochenen Streitigkeiten selbst zu schlichten, und schon zu Ende des Jahres 1566 wurden Reisevorbereitungen getroffen. Bei der Durchreise durch Deutschland sollte eine Zusammenkunft mit dem Kaiser stattfinden und die Vermählung des Prinzen mit der Erzherzogin gefeiert werden. Don Carlos versprach sich von dieser Reise viel, denn die Braut war ihm als liebenswerth geschildert, und er hoffte, daß der König ihm als einem verheiratheten Prinzen größere Freiheit gewähren, ja daß er ihm die Statthalterschaft in den Niederlanden übertragen werde. Sein Vorsatz war, die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_402.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2022)