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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


„Hörst ihn klopfen?“ flüsterte Sepha, während ein Frösteln über ihre Schultern lief. „Das erste Mal hab’ ich ihn gehört in der Nacht, in der über mein Kindl der Krank gekommen ist. Jetzt weiß ich, was der Würbel[1] selbigsmal hat sagen wollen!“ Sie schlug die Hände vor das Gesicht.

Gittli richtete sich auf, legte den Arm um Sephas Schultern und tröstete sie mit herzlicher Rede. Sie hatte sich ja Wörtlein um Wörtlein alles gemerkt, was Herr Heinrich mit ihr von dem Kinde gesprochen.

Als Sepha endlich ruhiger wurde, begannen sie von Mimmidatzi zu plaudern. Sie erinnerten sich an jeden herzigen Zug des Kindes, an jedes verstümmelte Wörtchen, das der kleine Mund geplappert, an jede drollige Gebärde … und Gittli verstand es so gut, die Weise des Kindes nachzuahmen daß zuweilen sogar ein schüchternes Lächeln über Sephas Lippen huschte. Darüber verging ihnen Stunde um Stunde, so daß sie kaum merkten, wie draußen der Tag zu grauen begann. Sie wurden es erst gewahr, als das niedergebrannte Talglicht mit hoher Flamme zu lodern begann.

„Schau, Seph’, es taget schon,“ sagte Gittli. „Geh’, thu’ Dich noch ein paar Stund’ hinstrecken. Ich mein’ doch, Du thätst die Ruh’ brauchen.“

Sepha löschte das qualmende Licht aus. „Jetzt muß er ja doch bald kommen!“ seufzte sie und wollte die Kammer verlassen. Aber noch einmal kehrte sie zurück. „Du, Gittli, sag’, was ist denn das eigentlich mit dem Schatz?“

„Mit was für einem Schatz?“

„Der Polzer hat gesagt, Du thätst einen Schatz wissen, der zum Heben wär’, und Du hättest den Schlüssel dazu?“

Gittli machte große Augen und schüttelte den Kopf …

Durch das Fenster klang von der Straße her der ferne Hufschlag mehrerer Pferde. An der Albenbrücke zogen sie vorüber und lenkten auf den Weg ein, der zur Grenzwarte des Klosterlandes, zum festen Hallthurm führte, und von dort hinunter in das Reichenhaller Thal, hinaus ins ebene Land. Zwei gewaffnete Knechte zu Pferd, jeder ein beladenes Saumthier führend. Ihnen voran ritt Pater Desertus auf einem frisch ausgreifenden Eisenschimmel, dessen violette Schabracke, fast auf der Erde schleifend, in jedem Zipfel das Wappen des Klosters zeigte. Desertus trug nicht mehr die schwarze Kutte, sondern das festliche Kleid der Chorherren: das Pelzbarett, den mit Otterfell verbrämten Mantel und darunter den seidenen Talar, der, für den Ritt berechnet, bis zum Gürtel geschlitzt war. Es klirrte bei jedem Tritt des Rosses; denn unter dem Talar trug Pater Desertus den Harnisch und das Schwert. Ein Lächeln spielte um seine Lippen, und träumend blickten seine Augen in den erwachenden Tag.


22.

Herr Heinrich kehrte von einem schweren Gang in das Kloster zurück. Welch eine Stunde des Jammers hatte er im Hause des Sudmanns erlebt! Mit zögernder Vorsicht hatte er dem armen Weibe den bitteren Trank gereicht … und doch, als Sepha das volle Unglück erkannte, da stürzte sie bewußtlos nieder, als hätte ein fallender Balken ihr Haupt getroffen. Dazu das Mädchen in seinem rathlosen Schmerz und Kummer … und das kleine Bürschlein, das sich schreiend an die Mutter klammerte! Wohl war es gelungen, die Ohnmächtige wieder zu erwecken. Aber was sollte nun weiter werden? Denn Sepha war krank, ernstlich krank, das hatte Herr Heinrich mit dem ersten Blick von ihren Wangen und Augen abgelesen. Hier war Hilfe nöthig wie Feuer im Winter.

Als der Propst das Stift erreichte, ließ er die Oberin der frommen Schwestern rufen, die in einem freundlichen Klösterlein auf dem Nonnberg hausten. Er hatte mit ihr eine lange Unterredung, welche, wie Herr Schluttemann mit Kopfschütteln bemerkte, hinter verschlossener Thür geführt wurde. Der Vogt war an diesem Morgen merkwürdig still; Frau Cäcilia hatte ihn zwar nicht sanfter behandelt als sonst, im Gegentheil, sie hatte in einer einzigen Stunde ausgegeben, was sie als gute Hausfrau während dieser Tage der Trennung sich zusammengespart hatte an spitzigen Dolchblicken und bitterscharfen Wörtlein – in Herrn Zchluttemann aber hatte die Predigt des Propstes nachgewirkt. Dazu reifte unter seiner gefurchten Stirn ein verwegener Plan. Mit rollenden Augen und gesträubtem Schnauzbart, die Arme verschränkt, wanderte er lange, lange in seiner Amtsstube rings um den Tisch. Die Sache mußte wohl überlegt werden, denn sie konnte auch ein schiefes Ende nehmen.

Endlich war er mit sich im reinen. Er ließ einen von den Schreibern des Klosters kommen und befahl ihm, einen Gänsekiel fein säuberlich zu spitzen und aus dem Pergamentkasten das schönste Blatt hervorzusuchen. Als nun der Schreiber zum Werke bereit war, stellte sich Herr Schluttemann in kühner Haltung vor den Tisch und begann zu diktieren: „Urtheil … in Sachen der zänkischen Hausfrau …“ Er unterbrach den hohen Ton und sagte: „Den Platz für den Namen laß nur einstweilen frei, den Namen wird Herr Heinrich einzeichnen, wenn er das Urtheil unterschreibt.“ Wieder diktierte er: „In nomine Reverendissimi et Celsissimi Principis Praepositi Henrici von Berchtesgaden wird anmit zu Rechtes Kraft gesprochen: weil genannte Hausfrau das Pagen und Keifen gegen den ihr von Gott zum Herren gesetzten Ehegatten gar nicht lassen will, so soll ihr der Frohnbot den Pagstein um den Hals hängen und soll sie an hohem Feiertag nach der Messe eine ganze Stund’ durch die Gassen führen, im Wiederholungsfalle aber zwei Stund’, und so immer deß mehr um eine ganze Stund’.“

Herr Schluttemann schnaufte. Er diktierte noch die übliche Schlußformel des Urtheils, dann fiel er erschöpft in den Lehnstuhl.

Als nun Herr Heinrich die Oberin durch die Vogtstube zur Treppe geleitet hatte und zurückkam, wurde ihm das Urtheil zur Unterschrift vorgelegt. Er zeichnete den Namen der Frau „Caeciliae Schluttemanae“ in die Lücke ein und unterschrieb. Herr Schluttemann warf sich stolz in die Brust; der Propst aber lächelte, als er sagte: „Das wird Eurer Hausfrau, einen gehörigen Schrecken einjagen! Ich hoffe, Ihr werdet Ruhe haben für lange Zeit.“

Eine Stunde später traf die Oberin mit zwei dienenden Schwestern im Haus des Sudmanns ein. Sepha sollte, um gute Pflege zu genießen, in das Klösterlein auf dem Nonnberg verbracht werden. Stumpf und willenlos ließ das kranke, von Kummer gebrochene Weib alles mit sich geschehen, ohne Frage ohne ein Wort. Gittli aber war ein Bild der Verzweiflung und Sorge. Was sollte denn mit Lippele geschehen? Der dürfe bei der Mutter bleiben. Und mit den beiden Ziegen, mit den Hennen? Und wer würde die Bienenstöcke und das Haus überwachen, im Garten mähen und den Klee schneiden? Sie selbst müsse doch ihre Zeit jetzt theilen: einen Tag bei der Schwäherin, den anderen beim Bruder! Es hieß, sie möge sich beruhigen, Herr Heinrich habe für alles gesorgt.

Auf einer Bahre wurde Sepha nach dem Klösterlein getragen und in einer kleinen freundlichen Stube untergebracht. Lippele versöhnte sich rasch mit seinem neuen Aufenthalt, da er den großen Garten gewahrte, den eine hohe Mauer umzog. Als Sepha versorgt war und nach dem Buben fragte, war er schon verschwunden. Nach langem Suchen wurde er im Garten gefunden; er hockte am Ufer eines kleinen Teiches und warf Steinchen nach den erschrocken hin und herschießenden Forellen.

Auf Gittli wartete im Zimmer der Oberin eine seltsame Ueberraschung. Sie solle gleich zu Herrn Heinrich kommen, hieß es; aber bevor sie ginge, solle sie die neuen Kleider anziehen, die der Herr Propst ihr geschenkt hätte.

„Aber schauet doch her, Frau Mutter,“ lispelte das Mädchen, „ich hab’ ja doch eh’ schon mein gutes Gewand an. Ich brauch’ kein neues!“

Weder durch freundliches Zureden, noch durch ernste Worte war sie zu bewegen, die schönen Kleider anzulegen. Sie schüttelte nur immer das Köpfchen, wehrte mit den Händen, und Zähre um Zähre perlte aus ihren angstvollen Augen.

Auch zu Herrn Heinrich, zu dem die Oberin sie begleitete, ging sie nicht gern; sie wäre lieber bei der Schwäherin geblieben.

(Fortsetzung folgt.)

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_432.jpg&oldid=- (Version vom 7.4.2024)
  1. Totenwurm.