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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„daß in Indien ein Schilf Honig hervorbringen soll, ohne Beihilfe von Bienen“ Das ist die erste Kunde, die Europa vom Zuckerrohr erhalten hat. Den Zucker selbst lernten die Begleiter Alexanders nicht kennen, weil zu jener Zeit seine Zubereitung in Indien selbst noch unbekannt war. Die neuere Geschichtsforschung hat erwiesen, daß die Indier erst in der Zeit von 300 bis 600 n. Chr. festen Zucker aus dem Safte des Rohres gewinnen lernten.

So ist das Geburtsjahr des Zuckers im Vergleich zu dem der anderen Nahrungs- und Genußmittel der Menschen ein verhältnißmäßig spätes. Und wie wußte dennoch dieser „Indier“ die Welt zu erobern!

Von Indien kam der erste Rohzucker, eine feste, aber noch unreine Masse, nach Persien; hier machte er einen Läuterungsprozeß durch, denn die Perser lernten ihn, wenn auch in unzulänglicher Weise, raffinieren. Sie gaben ihn den Arabern, und als diese erobernd in der Welt vordrangen, folgte der Zucker ihren Spuren und kam nach Europa. Wo die Araber sich niederließen und wo der Boden es nur einigermaßen erlaubte, da pflanzten sie auch jenes Schilf, welches „Honig ohne Beihilfe der Bienen“ erzeugte, und so grünten nach und nach in den Küstenländern Nordafrikas, in Südspanien und auf der Insel Sicilien Zuckerrohrfelder. Als die Normannen die Araber von Sicilien vertrieben, da wurden sie die ersten germanischen Zuckerpflanzer, und wenn Karl der Große bemüht war, die Bienen zu schützen, so erließen die Hohenstaufen Verordnungen, um die Zuckerrohrpflanzungen auf Sicilien in Blüthe zu erhalten.

In Europa war aber um jene Zeit der Zucker noch selten. Er war theuer, kostete mindestens achtmal soviel wie heute und konnte darum nur von wohlhabenden Leuten gekauft werden. Er war damals nicht allein ein Leckerbissen. Die Araber schrieben ihm heilende Eigenschaften zu, und so war er auch in Europa, das damals unter dem Einfluß der arabischen Medizin stand, als Heilmittel hochgeschätzt. Er sollte gut sein gegen Magen- und Nierenleiden, sollte das Fieber vertreiben und die Schwäche der Augen heilen. Namentlich als „Zuckerrosat“, in Verbindung mit Rosenwasser, wurde er viel verordnet.

Sehr viel zur Verbreitung des Zuckers in Europa haben die Kreuzzüge beigetragen; den die Christen lernten in Syrien, auf Cypern und in Aegypten die Zuckerrohrpflanzungen ausbeuten. Seine größten Triumphe sollte aber das Zuckerrohr erst in der Neuen Welt feiern. Im Jahre 1893 werden vierhundert Jahre verflossen sein, seit Christoph Kolumbus auf seiner zweiten Reise die ersten Zuckerrohrpflanzen über den Atlantischen Ocean brachte und sie in den Boden von Hayti setzte, und wie einst das Zuckerrohr den Spuren der Araber gefolgt war, so war es jetzt der treueste Begleiter der Spanier. Es verbreitete sich auf den Antillen und wurde nach Mexiko verpflanzt; der Eroberer von Mexiko, Ferdinand Cortez, ordnete bereits in seinem Testament an, daß auf seinen mexikanischen Gütern eine Zuckerfabrik errichtet werde. Peru wurde im Jahre 1532 unterworfen und schon im Jahre 1533 sah daselbst Pedro Cieza wohlbewässerte Zuckerrohrfelder, an denen man Zuckermühlen errichtete. Der Kolonialzucker kam nun in so großen Mengen nach Europa, daß die Pflanzungen am Mittelländischen Meere sich nicht mehr lohnten und in Verfall geriethen.

Der Rohrzucker wurde zum König der Süßigkeiten. Um jene Zeit bildete sich in den Kolonien ein Verfahren der Zuckerfabrikation, das bis auf die Neuzeit üblich blieb. – Das Zuckerrohrfeld ist der Reife nahe; die einzelnen Halme sind hoch emporgeschossen, sie haben die Höhe von zwei bis vier Metern erreicht; die oben hellgrünen Blätter beginnen sich unten zu verfärben, sie und der Stengel leuchten je nach der Abart des Rohres in verschiedenen bald purpurnen, bald violetten, bald gelben Farben. Das Feld gewährt einen prachtvollen Anblick. Es ist „reif“, aber nur für den Menschen zur Ernte reif, in Wirklichkeit haben sich die rispenartigen Blüthen noch nicht geöffnet. Um diese Zeit enthält der Saft des Rohres den meisten Zttcker und darum wird zur Ernte geschritten. Truppweise erscheinen die Arbeiter, sie streifen erst die Blätter von den Stengeln, schwingen hierauf ihre großen Waldmesser und hauen die Rohre an der Wurzel ab; andere beschneiden die unreifen Spitzen, zerkleinern die Rohre in kürzere Stücke und schaffen sie nach der Zuckermühle.

Hier kommt das Rohr in Maschinen, die von Thieren, vom Wasser oder vom Winde getrieben werden, wird zwischen mächtigen Walzen ausgepreßt und kommt saftlos wieder zum Vorschein. Dieses ausgequetschte Rohr ist nicht werthlos, es heißt „Bagasse“ und wird als Feuerungsmaterial bei der Zuckerfabrikation verwendet. Der ausgepreßte Saft fließt an den Walzen herab und sammelt sich in einem großen Bottich. Je nach der Art des Rohres und nach dem Ausfall der Ernte enthält er mehr oder weniger Zucker, in der Regel achtzehn bis zwanzig Prozent. Diese süße Flüssigkeit darf nicht lange stehen bleiben; wie in unserem Moste schwebt in ihr eine Menge Pilzkeime, und in der warmen Luft der Tropen entwickeln sich die Pilzchen rasch; dann gährt der Saft und die Gährung geht auf Kosten des Zuckers vor sich, der durch die Pilze zersetzt wird. Also rasch ans Werk! Wir wollen Zucker sieden!

In der Zuckersiederei, die wir unseren Lesern vorführen, giebt es fünf Kochpfannen oder Kessel, in welche der Reihe nach der Saft des Zuckerrohres gethan wird. Der erste heißt „großer Kessel“; in ihn wird der Rohsaft aus dem Bottich geschöpft und dann mit Kalk gekocht; bald beginnt die Flüssigkeit zu schäumen und der Arbeiter schöpft fleißig den Schaum ab; so kocht der Rohsaft etwa eine Stunde, worauf er in den zweiten, den „Reinigungskessel“ gebracht wird. Hier wiederholt sich dasselbe Verfahren, der Rohsaft wird klar, und nun kommt er in den dritten, den „Laugenkessel“; in diesen gießt man während des Kochens Kalkmilch hinein, solange sich Trübung zeigt. Jetzt ist der Saft von den gröbsten Verunreinigungen, Pflanzensäuren und Salzen, befreit und kommt in den vierten Kessel, welcher den Namen „Sirup“ führt, weil in ihm der Saft bis zur Sirupdicke eingekocht wird. Von hier wandert die dicke Flüssigkeit in den fünften Kessel, in die „Batterie“, in welcher sie solange gekocht wird, bis sie Faden zieht oder auf der Oberfläche kleine Zuckerkrystalle hervorzuschießen beginnen.

Nun wird die Masse rasch in einen Kühlkessel gebracht, in dem sie sich in kurzer Zeit mit Krystallen bedeckt. Solange sie noch flüssig ist, wird sie in Formen, die mit Löchern versehen sind, gegossen; in diesen krystallisiert der Zucker aus, das überschüssige Wasser aber, ferner die im Safte noch vorhandenen Salze und ein Theil des Zuckers, der nicht auskrystallisieren konnte, fließen als Melasse ab.

Die Ware, die wir auf diese Weise erhalten haben, ist Rohzucker und heißt „Muscowedo“; ist sie durch besondere Verfahren noch besser gereinigt, so nennt man sie „Kassonade“. Der Rohzucker wird nun nach den Verbrauchsländern geschickt, und hier bereitet man aus ihm durch Raffinade unseren bekannten weißen Hutzucker.

Heute verwendet man allerdings in den meisten Zuckermühlen viel vollkommenere Maschinen, das Wesen des Zuckersiedens aber ist dasselbe geblieben, und wir haben das Beispiel aus alter Zeit gewählt, da dasselbe auch ohne Maschinenabbildungen dem Leser verständlich sein dürfte.

Die Kolonien versorgten das Mutterland Europa mit Rohzucker; in verschiedenen Städten, namentlich in Amsterdam, Hamburg und Dresden, entstanden Raffinerien, und der Zucker wurde mehr und mehr aus einem Heilmittel und Luxusartikel zum Gegenstand täglichen Verbrauches, denn es erwuchsen ihm in Europa drei mächtige Bundesgenossen. Mit ihrer Hilfe siegte er, obwohl ihm im 17. Jahrhundert gelehrte Feinde entgegentraten, welche bemerkten, daß der Zucker Gährungen und Zersetzungen begünstige, und darum erklärten: „Zucker ist kein Nährstoff, sondern ein Gift, und nichts Besseres könnte man thun, als ihn nach Indien zurückschicken, wodurch allein die Lungenschwindsucht, die sein unmäßiger Genuß uns gebracht hat, unterdrückt werden könnte.“

Die drei Bundesgenossen des Zuckers waren der Kakao, der Thee und der Kaffee, die im Anfang des 17. Jahrhunderts nach Europa gebracht wurden und in wenigen Jahrzehnten die größte Verbreitung fanden. Die Einbürgerung dieser drei Genußmittel in Europa erhöhte den Zuckerbedarf derart, daß sein Verbrauch sich schließlich auf viele Millionen Centner belief.

Unser altes Versüßungsmittel, der Honig, nahm jetzt einen untergeordneten Rang ein, an seiner Stelle beherrschte der Rohrzucker die Welt. Aber es sollte ihm ein Nebenbuhler erwachsen. Die Wissenschaft schritt vorwärts. Man suchte das „süße Prinzip“ zu ergründen, man stellte Versuche an und fand, daß der Rohrzucker nicht ausschließlich im Zuckerrohr vorkommt, daß es noch viele andere Pflanzen giebt, welche ihn enthalten. Im Jahre 1747 trocknete der Berliner Chemiker Marggraf verschiedene Pflanzen, goß sie mit starkem Spiritus auf, kochte die Mischung, filtrierte sie, und als er sie erkalten ließ, da fand er, daß aus einigen der

Lösungen sich Zucker krystallisierte. Namentlich war dies bei der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_463.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)