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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


gerettet haben. Nach diesen kriegerischen Großthaten wurde er Kammerjunker in Berlin; doch wegen einer Versäumniß hart angelassen, bat er um die Erlaubniß, auf Reisen gehen zu dürfen. Das wurde ihm bewilligt; in seinen „Memoiren“, die französisch 1734, deutsch 1735 erschienen, erzählt er seine Abenteuer. Er sollte nicht nach Paris gehen, doch gerade dorthin zog es ihn. Er verkehrte dort am Hofe des Regenten, und „Lise Lotte“, die kraftvolle pfälzische Prinzessin, die als Herzogin von Orleans kein sehr beneidenswerthes Los gezogen hatte, fand ihn „allzupossierlich, wenn er will; kann wohl reden und redt nicht wenig.“ Er lebte in Paris lustig und in Freuden, gab Feste, hatte Liebschaften. Schon 1712 wollte er seine Güter verkaufen, die gleichzeitig seinem Bruder und seiner Tante gehörten, jenem Fräulein von Pöllnitz, das am Hofe von Hannover eine große Rolle spielte wegen seiner scharfen Zunge, jedenfalls eines Familienerbstücks, und von wenig wohlwollenden Beurtheilern „ein giftiger Drache“ genannt wurde. Es wurde ihm indeß nur gestattet, sechstausend Thaler von seinen Kapitalien flott zu machen; auch ein späterer Versuch scheiterte an der Weigerung dieses Fräuleins. Nach dem Tode König Friedrichs I. fand sich Pöllnitz in Berlin ein, um sich zu überzeugen, ob bei der gänzlichen Umänderung des Hofstaates etwas für ihn zu erreichen sei; doch er fand eine kühle Aufnahme, ging wieder auf Reisen und versuchte umsonst an einem der auswärtigen Hofe eine Stellung zu erlangen. Aufs neue begab er sich nach Paris und führte dort, solange seine Mittel reichten, das alte lustige Leben; als er bereits tief in Schulden gerathen war, ging er zur katholischen Kirche über, in der Hoffnung, als Kanoniker eine reiche Pfründe zu erhalten, doch vergebens.

Selten hat wohl jemand so oft seinen Glauben gewechselt wie Pöllnitz; er hat förmlich ein Geschäft aus seinem Uebertritt von einer Kirche zur anderen gemacht. Die Freidenker des Jahrhunderts predigten die Toleranz und verspotteten die Einrichtungen der religiösen Gesellschaften. Pöllnitz machte seinem Charakter entsprechend die praktische Nutzanwendung dieser Freigeisterei, indem er seine Religion mit derselben Gleichgültigkeit wechselte, mit der man einen Rock umdreht. Allein die äußeren Vortheile, die er sich von dieser „frommen“ Industrie versprach, wollten sich nicht recht einstellen, im Gegentheil – sie brachte ihn in manche Widerwärtigkeiten.

Als er im Jahre 1717 in der Angelegenheit seines Güterverkaufs nach Berlin kam, war der König anfangs sehr gnädig gegen ihn, und um den Fürsten in dieser Stimmung zu erhalten, hatte er allen Grund, auf dessen direkte Frage seinen Religionswechsel zu verleugnen. Doch seine Feinde waren inzwischen thätig und brachten Beweise dafür bei. Friedrich Wilhelm I. verstand hierin keinen Spaß; Pöllnitz hielt es fürs beste, sich eiligst davon zu machen; denn ihm waren Warnungen zugekommen, er solle verhaftet werden.

Nun beginnt ein Hinundherreisen durch alle europäischen Länder – wir finden ihn 1719 in Wien, wo er von der Kaiserin-Witwe, der Gönnerin aller „Bekehrten“, namhafte Summen erhielt und vom Grafen Starhemberg eine Compagnie seines Regiments in Sicilien. Er reiste dorthin, hatte indessen bald alle möglichen dringenden Gründe, seine Compagnie aufzugeben, reiste nach Venedig und faßte dort den Plan, in spanische Dienste zu treten; eben im Begriff, die spanische Grenze zu überschreiten, wurde er verhaftet und erst nach längerer Zeit freigegeben. In Madrid sagte man ihm ein Regiment zu, auch erhielt er eine kleine Gage; doch das genügte seinen Ansprüchen nicht. So ging er nach England; aber König Georg war von Hannover aus und am meisten durch seine scharfzüngige Tante gegen ihn eingenommen. Da nahm er seine Zuflucht zu einem dreisten Erpressungsversuch. Er hatte die geheime Geschichte der Herzogin von Hannover geschrieben, die unter dem Titel „Kunigunde, Prinzessin der Cherusker“ maskiert werden sollte; eigenhändig meldet er dann dem Staatssekretär Townshend, es solle ein für den Hof beleidigendes Buch erscheinen, es könne indessen noch aufgehalten werden, wenn der König den Autor entschädige; auch an die Damen der Opposition, wie die Herzogin von Marlborough, wendet er sich, doch vergeblich. Schon legen die Gläubiger Hand an ihn; da rettet er sich auf einer der königlichen Jachten, die ihm Chevalier Walpole zur Verfügung stellt, nach Holland.

Hier sucht er in den Kreis der Liebhaber einer älteren Dame, der Gräfin Wartenburg, aufgenommen zu werden, um durch ihre Gunst sich von seinen Gläubigern zu befreien; doch diese sind ihm schon auf den Fersen; er flüchtet über die Dächer, erschwindelt sich in Amsterdam Geld und verkauft seine unter falscher Flagge segelnde „Kunigunde“. Auf einem Schiffe fährt er nach Livorno und kommt nach Rom, läßt sich durch den Kardinal Polignac dem Papste vorstellen und erhält durch den Kardinal Cienfuegos die Pension, die den Uebertritt zur katholischen Kirche belohnt. So bringt er es auf 1500 Scudi im Jahre; auch erhält er die Tonsur, die erforderlich war, wenn man ihm ein kirchliches Benefiz zuwenden wollte. Und in der That wird ihm auch ein Kanonikat in Courtray angewiesen, doch das dortige Kapitel weist ihn zurück, da solche Vergebungen von Rom aus seine Rechte kränkten.

Nun erscheint er in der Spielhölle von Spaa, um hier sich Geld zu machen. Ueber seinen dortigen Aufenthalt hat er selbst als liebenswürdiger Plauderer berichtet und dabei mit großer Offenherzigkeit über seinen eigenen Charakter gesprochen. In der ohne Namensnennung erschienenen Schrift über die „Vergnügungen von Spaa“ läßt er einen Engelländer Auskunft geben über einen Spieler von Prosession, der dort sein Wesen treibt, „einen preußischen Baron, geistreich und von feinen Manieren, aber einen Abenteurer ersten Ranges“. Und ein anderer Herr ergänzt dies Bild, indem er hinzufügt: „Dieser Mann ist ohne Frage ein Proteus: Höfling, Spieler, Schriftsteller, Kolporteur, Protestant, Katholik, Kanonikus und wer weiß, was sonst noch.“

In seinen „neuen Memoiren“ von 1737 hat er seine Lebensschicksale bis zum Jahre 1723 erzählt: über seine Erlebnisse in den nächsten elf Jahren aber bleiben wir ganz im Dunkeln. 1735 taucht er wieder, von Wien kommend, am Berliner Hofe auf und wird in dem Tabakskollegium des Königs Friedrich Wilhelm I. ein ständiger Gast. Eine Empfehlung der Kaiserin hatte ihn dort eingeführt, und der König ernannte ihn zum Kammerherrn mit 250 Thalern Gehalt. Er hatte das Jahr vorher mit und ohne Namen eine Anzahl von Schriften in französischer Sprache veröffentlicht, die in den Hofkreisen sehr viel von sich reden machten. Die „Geheime Geschichte der Herzogin von Hannover“ und „Das galante Sachsen“ gehörten zu den gerngelesenen Skandalchroniken des Jahrhunderts und erschienen anonym; dagegen gab er mit seinem Namen einen Abriß der Geschichte des sächsischen Hofs unter August III. heraus, worin er nur Angenehmes und Schmeichelhaftes sagte, in der stillen Hoffnung, vielleicht einmal bei diesem Hofe eine Anstellung zu finden. Außerdem hatte er drei Bände Memoiren geschrieben, eine Art Bädeker für Kavaliere mit Angabe der Merkwürdigkeiten der einzelnen Hauptstädte und kurzer Charakteristik der hervorragendsten Persönlichkeiten der Höfe: durchaus kein pikanter Salonklatsch, sondern ein sachgemäßes brauchbares Buch. Der preußische König schien daran Gefallen gefunden zu haben.

Uebrigens hatten an dem Hofe des Gardistenkönigs, der gelegentlich in gefährlicher Weise mit seinem Stocke umherfuchtelte, die Leute von Geist keinen leichten Stand. Wie es den Gelehrten erging, ist ja bekannt: sie mußten mehr oder weniger die Rolle von Hanswursten spielen. Wer kennt nicht die merkwürdigen Schicksale des Freiherrn von Gundling, des Hofgelehrten und Hofnarren, der einige Jahre vor Pöllnitz ebenfalls die Kammerherrnwürde erhalten hatte, ja sogar zum Präsidenten der Berliner Akademie ernannt worden war und vorzugsweise für die groben Späße des Königs herhalten mußte? Pöllnitz wußte sich ein größeres Ansehen zu geben: er galt für einen österreichischen Spion, und die Staatsmänner in Berlin suchten sich mit ihm zu stellen; auch von Dresden aus erhielt er Geld und Titel. Manteuffel nennt ihn in einem Briefe an den Grafen Brühl einen geistreichen, gefährlichen, zu allem Guten und Schlechten fähigen Menschen, aus dem er sich eine Art von Freund gemacht. Und der Kronprinz, der spätere König Friedrich der Große, stellte ihm das Zeugniß aus: „Ein infamer Kerl, dem man nicht trauen darf, unterhaltend beim Essen, hernach einsperren.“ Einmal erregte PÖllnitz den Zorn des Königs; er hatte eine Aeußerung, die Graf Stolberg im Tabakskollegium über Seckendorff gemacht, dem letzteren mitgetheilt, was beinahe zu einem Duell geführt hätte; der König drohte, den Schwätzer durch den Henker auspeitschen zu lassen, doch kam Pöllnitz mit dem blauen Auge davon.

Natürlich war ihm jetzt in Berlin seine Zugehörigkeit zum Katholicismus störend: er trat daher ohne weiteres wieder zur reformierten Kirche zurück; seine „Belohnung“ dafür war freilich nicht besonders reichlich, sie bestand in einigen Privilegien, die ihm bestenfalls 800 Thaler einbringen konnten. Später erhielt er die Erlaubniß, die Einrichtung von Fiakern in der Hauptstadt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_466.jpg&oldid=- (Version vom 27.6.2021)