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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

und blies mit vollen Backen den Athem aus; dicke Schweißtropfen perlten ihm von der Stirn.

„Guten Morgen, Bruder!“ grüßte Herr Heinrich.

„Guten Morgen, Reverendissime!“ Frater Severin richtete sich auf und drückte, eine schmerzliche Miene ziehend, die Faust in den Rücken.

„Heute hält’s wieder schwer mit dem Bücken, gelt? Hab’ schon gehört! Gestern hat es wieder unchristlich lange gedauert im Kellerstüblein!“

„Nicht durch meine Schuld!“ stotterte der Frater. „Aber der Vogt hat gestern gar nicht weichen wollen!“

„Haben ihn denn die Knechte der Frau Cäcilia nicht geholt?“

„Wohl wohl, Herr, aber er ist nicht gegangen, er hat ihnen ein Pergament mit heim gegeben und ist hocken geblieben.“

„Und da habt Ihr ihm Gesellschaft leisten müssen?“

Frater Severin machte ein ehrerbietiges Gesicht. „Er ist der Vogt, Herr! Wer seiner Würde nicht achtet, beleidigt das Kloster.“

„Natürlich! Nur immer eine gute Ausrede! Ich werde dieser Höflichkeit einen Riegel vorschiebeu müssen! ... Aber sag’, was machst Du da?“

Der Frater athmete auf, als er das heikle Thema beendet sah. Eilfertig gab er zur Antwort. „Die Nießwurz reiß’ ich aus.“

„Die Nießwurz? Wie kam sie in den Garten?“

„Ich hab’ gemeint, ich könnt’ ein Beet mit Schneerosen anlegen, und da hab’ ich vergangenes Jahr im Frühling ein paar Dutzend Wurzen mit heruntergenommen von der Röth’, hab’ sie hier eingelegt und hab’ gethan, was ich nur allweil gemeint hab’, daß es gut wär’. Aber nicht eine einzige hat getrieben im Winter, und wie ich jetzt nachschau’, da find’ ich, daß alle Wurzen vertrocknet sind. Schauet nur!“ Er nahm eine der ausgerissenen Wurzeln, brach sie entzwei und zeigte dem Propst das dürre Gewebe. „Kein Tröpferl Saft mehr! Eine Schneeros’ laßt sich halt nicht verpflanzen. Die will Felsen, Bergstürm’ und Lahnen. Die Thalluft und der feine Boden thun ihr nicht gut! Da kann einer machen, was er will ... eine Schneeros’ laßt sich halt nicht verpflanzen.“ Er warf die dürren Strünke von sich. „Schad’ um die Wurzen! Droben hätten sie geblüht!“

Herr Heinrich nickte sinnend vor sich hin; seine Blicke folgten der Straße im Thal, die über Schellenberg hinaus führte gegen Salzburg, und wortlos schritt er weiter.

Als er eine Weile später sein Gemäch betrat, hörte er von der Vogtstube her das alte, polternde Gewitter. Er ging den grollenden Lauten nach, und als er die Thür öffnete, beförderte Herr Schluttemann soeben unter einem ganzen Hagelwetter von dröhnenden Scheltworten einen Zinsbauern zur Stube hinaus. Da der Vogt den Propst gewahrte, wurde er verlegen.

„Das also ist die Wirkung des Urtheils?“ fragte Herr Heinrich.

Herr Schluttemann stotterte ein paar Worte und kraute sich hinter den Ohren.

„Man sagte mir doch, daß Ihr gestern Eurer Hausfrau das Urtheil gesendet habt?“

„Das hab’ ich freilich gethan, Reverendissime!“ gab der Vogt kleinlaut zur Antwort.

„Nun, und was sagte sie, als Ihr nach Hause kamt?“

„Nichts!“

„Und heute früh?“

„Auch nichts! Aber“ – Herrn Schluttemanns Nase begann zu brennen – „aber das Urtheil hat sie mir um den Kopf gehauen! Was sagt Ihr, Reverendissime? Eine solche Mißachtung des ... des Gesetzes!“

Herr Heinrich verwand das Lächeln. „Das muß geahndet werden! Bringet mir das Urtheil, ich will ihm Wirkung verschaffen.“

In heimlicher Schadenfreude rieb sich Herr Schluttemann die Hände, als der Propst die Stube verließ.

Eine Stunde später stieg Herr Heinrich zu Pferd, um nach dem See zu reiten. Als er den Hag des Eggehofes erreichte, sah er Zenza beim Bienenhäuschen stehen. Er rief das Mädchen.

„Bist Du die Tochter des Bauern?“

„Wohl wohl, Herr!“ sagte sie, mit trotzig finsteren Augen zu ihm aufblickend.

„Ist Dein Vater daheim?“

„Wohl wohl, Herr!“

„So ruf’ mir Deinen Vater, ich habe mit ihm zu reden!“

Zenza ging davon. Der Eggebauer erschrak nicht wenig, als das Mädchen mit dieser Botschaft kam; er saß gerade in Hemdärmeln am Tisch und löffelte die Morgensuppe. In der schreckhaften Eile warf er den Napf um, fuhr in den verkehrten Rockärmel und rannte sich den Ellbogen an den Thürpfosten. Keuchend lief er um das Haus herum, aber je näher er dem Propste kam, desto langsamer wurde sein Gang, desto scheuer sein Blick.

„Grüß’ Gott, Eggebauer!“

Der Bauer rührte nur die Lippen und zog das Käpplein.

„Ich höre, Dein Weib war krank, wie geht es jetzt?“

„Es macht sich, Herr, wohl wohl!“ seufzte der Bauer und strich mit der Hand über das Haar. „Der Bader meint, sie könnt’ in acht Tagen schon wieder aufstehen.“

„So, so! Das hör’ ich aber gern! Ja, ja, Eggebauer, Du mußt halt gut angeschrieben stehen beim lieben Herrgott. Schau’ nur, Dir schickt er Freude und Genesung ins Haus und Deinem Nachbar, dem armen Sudmann, hat er Noth und Tod geschickt.“

Der Eggebauer schlotterte an Händen und Füßen.

„Nun? Du fragst gar nicht, wie es dem Wolfrat geht? Ich höre doch, Du wärest allweil sein bester Freund gewesen? Hast ihm ja doch am Ostersonntag erst das Lehent geliehen?“

„Wohl wohl, Herr, ja, das Lehent, ja, das hab’ ich ihm schon geliehen, weil ... weil er halt gar so ein armer Hascher ist!“ stotterte der Bauer. „Wohl wohl ... und ... freilich, Herr, freilich möcht’ ich fragen, wie’s ihm geht, dem Wolfrat?“

„Schlecht, Eggebauer, schlecht! Der Arme geht seinem letzten Stündlein entgegen.“

Der Bauer athmete auf; denn einer, der vor dem letzten Schnaufer steht, so dachte er, der redet nimmer!

Herr Heinrich blickte auf den Sattelknauf und schüttelte nachdenklich den Kopf. „Was mag der Wolfrat nur gethan haben, daß Gott eine so schwere Straf’ über ihn schickt? Er war doch allweil ein braver, redlicher Mensch. Wenn er was Uebles gethan hat ...“ Herr Heinrich blickte auf, „da muß ihn völlig ein anderer verhetzt haben! Meinst nicht auch, Bauer?“

„Wohl wohl, Herr ... allweil ... ist er ein braver Mensch gewesen ... der Wolfrat ... allweil ...“ Dem Eggebauer trat der kalte Schweiß auf die Stirn.

„Gelt, ja! Wenn ich nur den heraausfinden könnt’, der den Wolfrat auf dem Gewissen hat ... dem wollt’ ich aber warm machen.“ Das Pferd bäumte sich, denn Herr Heinrich hatte den Zügel gar unsanft angezogen.

Erschrocken trat der Bauer zurück und fuhr sich mit dem Arm über die Stirn.

„Was hast denn, Eggebauer?“ fragte der Propst.

„Schwül, Herr ... schwül ist mir ... ich mein’, die Sonn’ wird heut’ noch richtig brennen.“

„So? Meinst?“ Herrn Heinrichs Augen blickten hinüber nach dem benachbärten Gehöft. „Das ist ja das Haus des Sudmanns, gelt?“

„Wohl wohl, Herr!“

„Jetzt liegt der arme Mensch verblutend in der Klause, und sein krankes Weib liegt droben bei den frommen Schwestern ... ja wer behütet denn jetzt das Lehen? Wer schaut denn auf Gras und Klee? Wer sorgt denn für die Hennen, für die Bienen und für die Geißen?“

„Das könnt’ ja ich besorgen,“ fiel der Bauer mit hastigen stotternden Worteu ein. „Ich hab’ ja Leut’ genug im Haus!“

„Brav, Eggebauer! Das will ich dem Wolfrat gleich erzählen, wenn ich in die Klause komm’.“

„Ja, Herr, ja ... saget ihm nur, was ich ihm für ein guter Freund bin,“ sprudelte es über die bleichen Lippen des Bauern. „Und ... schauet, Herr ... weil sich die armen Leut’ halt gar so fretten müssen ... ja ... da hab’ ich schon oft so gemeint ... man könnt’ ja auch an das Häusl einen Stall anbauen ... und ... und ich könnt’ ihm eine Kuh hinüber stellen! Und ich thu’s auch, meiner Seel’. Ja, Herr ... und ... und saget es ihm nur gleich, was ich alles für ihn thu’.“

„Der Wolfrat wird freilich nimmer viel davon haben, aber doch sein armes Weib ... und das wird dem Mann ein Trost sein in der letzten Stund’! Ja, Bauer, thu’s nur ... und damit Deine Kuh nicht einschichtig steht, stell’ ich eine andere

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 475. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_475.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2021)