Seite:Die Gartenlaube (1892) 477.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Anker, nachdem Juan Diaz de Solis dieses mächtige Mündungsbecken kaum zwanzig Jahre zuvor entdeckt und ihm den Namen „mar dulce“, „Süßes Meer“, gegeben hatte. „Do habenn wier ein stat gepaut, hat geheißen Bonas Ayers, das ist auf deuschs: gueter windt.“

Seit Romulus’ und Remus’ Tagen mögen die Gründer und Erbauer einer neuen Stadt nicht soviel Ungemach und Elend erduldet haben als Mendoza mit seinen Genossen in Buenos Aires. Durch die von Tag zu Tag feindseliger werdende Haltung der benachbarten Querandi-Indianer steigerte sich die Noth der Besatzung so sehr, „das weder ratzen noch meis, schlangen noch annder unzifer nit genug verhannden waren zur ersettigung des grosen, jemerlichen hungers unnd unnaussprechlicher armuet, auch schuch unnd leder, es muest alles geesen sein“. Standhaft und tapfer aber hielten die Unglücklichen aus, und erst als nach wahrhaft „afrikanischen Gräueln“ die Indianer, 23 000 Mann stark, einen neuen allgemeinen Angriff auf die kleine Erdfeste unternommen und die Strohhütten sowie einige Schiffe „mit feirigen pfeilen in grundt verprent“ hatten, beschloß Mendoza, den Platz aufzugeben und mit dem Gros der Besatzung stromaufwärts zu ziehen. Von den 2650 Mann, die von Spanien ausgezogen waren, lebten noch 560.

Zahlreiche Stämme, die zu jener Zeit die Gestade des Paraná bevölkerten, wurden passiert und nöthigenfalls mit Waffengewalt unterworfen. Unterwegs legte Pedro de Mendoza seine Würde nieder und verließ die Expedition, um mit zwei großen Schiffen und 50 Mann nach Spanien zurückzukehren. „Aber da er unngeferlich auf halben weg kham, da grief in Gott der almechtig an, das er armselig starb.“ Burmeister erzählt, während der Seefahrt habe sich der Hunger eingestellt, so daß sich Mendoza genöthigt sah, seinen Lieblingshund schlachten zu lassen, um von dessen Fleisch zu leben; bald nach dem Genuße desselben habe er einen Anfall von Raserei bekommen und sei nach zwei Tagen gestorben.

Schmidel folgte unterdessen dem neuen Führer der Expedition, Ayolas, den Paraná und Paraguay aufwärts, half das mächtige Menschenfresservolk der Carios unterwerfen und die Stadt Asuncion gründen, die als Vorort der ganzen La Plata-Provinz während der Kolonialzeit und später als Hauptstadt der Republik Paraguay zu besonderer Bedeutung gelangte. Von hier aus nahm unser Held im Laufe der nächsten Jahre an allen Ereignissen und Unternehmungen theil, die für das Leben der Kolonie von Einfluß waren. Im Jahre 1548 durchkreuzte er als Begleiter des neuernannten Befehlshabers Martinez de Irala, dessen Vertrauen er in besonderem Maße genoß, das endlose Selvasgebiet des Gran Chaco, drang bis Ober-Peru vor, wo er mit den von Norden her kommenden Eroberern dieses Landes zusammentraf. Auch das Quellgebiet des Paraguay wurde durchzogen, immer auf der Suche nach dem „Goldland“ und dem „Reich der Amazonen“, wovon ihnen die Wilden so wunderbare Dinge erzählten. Nur wer selber Gelegenheit hatte, einmal eine kleinere oder größere Reise in diesen Gegenden auszuführen, kann sich eine annähernde Vorstellung bilden von all den Mühen, Unbilden und Gefahren, die auf jenen Zügen zu bestehen waren.

Mit den übrigen Kolonisten unterzeichnete Schmidel am 13. März 1549 eine Urkunde, worin dieselben aus eigener Machtvollkommenheit den schon erwähnten Irala zum Gouverneur der Kolonie ernannten. Diese Namensunterschrift, die als einziges Autograph Schmidels erhalten blieb, bestätigt die bereits ausgesprochene Vermuthung über seine Schulbildung.

Im Jahre 1552 traf vom Kaiser das Bestätigungsdekret Iralas ein, wodurch die neue Kolonie zum ersten Male zu innerer Ruhe und Ordnung gelangte. Um diese Zeit erhielt Schmidel einen Brief aus Europa, worin ihn sein Bruder Thomas dringend bat, nach Straubing zurückzukehren. „Vonn stund an hab ich vonn unnserem haupttman urlaub begert.“ Nachdem er denselben mit Mühe erhalten und auch Briefe zugestellt bekommen hatte „ann kay. may. nemlich darin seiner may. zu wiesenn gethonn, wie es im lanndt Rio delle Platta stehe unnd was sich darin in solcher zeit verloffen hab“, machte er sich auf den Weg, „nam auch mit 20 Indianer Carios“, und zog unter fortgesetzten Mühen und Gefahren quer durch Brasilien bis zum Hafen San Vincent. Am 26. Januar 1554 erreichte er nach einer schlimmen Meerfahrt, und nachdem er seine Aufträge in Spanien treulich ausgeführt hatte, den Hafen von Antwerpen, von wo er etwa zwanzig Jahre zuvor ausgezogen war. –

„Ja, Gott sey gelobbt unnd gepreiset in ewikait, der mir solch gliekhselige reiß so genediglich hat beschertt! Amen.“ Mit diesen Worten schließt Schmidel die interessante Darstellung seiner Reise. Es ist eine Robinsonade mit dem Vorzug unanfechtbarer Glaubwürdigkeit, oder, um mit den Worten des jüngsten Biographen Schmidels, des ehemaligen Präsidenten der argentinischen Republik, General Bartolomé Mitre, zu reden, eine amerikanische Odyssee, die mit dem Brand eines neuen strohgedeckten Trojas beginnt und wie der Gesang von dem griechischen Helden am väterlichen Herde ihren Abschluß findet. Schmidels Buch bildet nach dem einstimmigen Urtheil aller zuständigen Kritiker die zuverlässigste und pünktlichste, freimüthigste und unparteiischste Geschichte, das wichtigste Dokument der europäischen Kolonisation in Amerika. Mehr als ein Dutzend verschiedener, zum Theil mehrfach aufgelegter Ausgaben hat das Werk im Laufe der letzten drei Jahrhunderte erlebt. Man hat es in die lateinische, holländische, spanische und französische Sprache übertragen und in alle größeren Sammelwerke geographischen Inhaltes aufgenommen. Seine höchste Anerkennung aber hat der Kriegsmann und Geschichtschreiber Ulrich Schmidel auf dem Schauplatz seiner Thaten selbst gefunden. Südamerika, insbesondere aber die La Plata-Staaten schätzen sein Werk als das erste geschriebene Denkmal ihrer Geschichte, und in der entlegensten Elementarschule in den Pampas wird der Name seines Verfassers genannt und gefeiert.

Normännischer Fischer beim Netzeflicken.
Nach einer Zeichnung von C. Bellanger.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 477. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_477.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2022)