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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Und als man im Jahre 1890 die Herausgabe der „Anales del Museo de La Plata“ beschlossen hatte, da war es ebenfalls die Prachtausgabe einer Biographie unseres Reisenden, die den Reigen eröffnete, verfaßt von Bartolomé Mitre, dem schon erwähnten, als Feldherr, Staatsmann, Dichter und Schriftsteller gleichberühmten argentinischen Präsidenten.

Um so räthselhafter bleibt die Thatsache, daß Schmidels Name gerade in seinem Vaterland fast unbekannt geblieben ist. Zwar haben Fachgelehrte, Historiker und Geographen sein Werk hier und da benutzt und darauf hingewiesen, in weitere Kreise des gebildeten Deutschlands ist die Kunde davon nicht gedrungen, und in der Vaterstadt des Reisenden selber soll sich nicht ein einziges Exemplar seines vielverlegten und -gedruckten Buches finden. Erst als Rektor Joh. Mondschein in Straubing unter Benutzung des vorhandenen Quellenmaterials vor etwa zehn Jahren den ersten wohlgelungenen Versuch einer Biographie Schmidels ausgeführt und Dr. Valentin Langmantel einige Zeit später in der Bibliothek des Stuttgarter „Litterarischen Vereins“ eine Neuausgabe des Buches nach der Münchener Handschrift veranstaltet hatte, regte sich eine größere Theilnahme für den Mann.[1] Man hatte sich eben während der gar zu langen Periode der politischen Ohnmacht Deutschlands daran gewöhnt, die Verdienste um das große Entdeckungs- und Eroberungswerk in der Neuen Welt ganz den großen romanischen Völkern jener Zeit zuzusprechen, auf den geringsten deutschen Antheil aber bedingungslos zu verzichten. Darum ist es Zeit, eine längst fällige Ehrenschuld abzutragen. Ein Deutscher aus dem alten Reiche ist es gewesen, der sich durch seine kühne That den Namen des ersten Geschichtschreibers Südamerikas erworben hat, und die Deutschen des neuen Reichs haben allen Grund, sich ihres wackeren Landsmannes zu erinnern in den Tagen, da alle Welt sich anschickt, das große Ereigniß der Entdeckung Amerikas zu feiern.


  1. Dem k. Seminarinspektor Herrn Schul in Straubing, der sich auf mein Ersuchen der Mühe unterzog, das in der Vaterstadt Schmidels zur Zeit noch vorhandene Urkundenmaterial wiederholt zu studieren, sage ich an dieser Stelle meinen wärmsten Dank. Der Verf. 

Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Ein Verbrechen an der menschlichen Schönheit.

Von Paul Schultze-Naumburg.

Es kann niemand ernsthaft behaupten, daß die Schönheit des menschlichen Körpers im Zunehmen begriffen sei. Die Jahrhunderte haben in mannigfacher Weise gegen jene Schönheit gesündigt, und von der herrlichen Gliederpracht unserer Urväter, die nach Tacitus selbst die körpergewandten Römer staunen machte, ist allgemach vieles entschwunden.

Fig. 1.

Bei uns zu Lande sind es vornehmlich die an das Leben des Stubenhockers Gebundenen die von Geschlecht zu Geschlecht mit immer weniger normalen Leibern ausgestattet werden. Allmählich hat man nun in verschiedenen Dingen eingesehen, an welchen Abgrund man gekommen se[i,] und „bis hierher und nicht weiter“ ist ein Nothschrei geworden, der nicht mehr ungehört verhallen kann. Man hat angefangen, den Leibesübungen und der Körperpflege im allgemeinen wieder eine größere Aufmerksamkeit zu widmen, wofür die Erfolge nicht ausbleiben werden. Und doch wird sich rasch eine große durchgreifende Wendung zum bessern nicht erzielen lassen, da alle Sorgfalt höchstens das wiederherstellen kann, was die Lebensweise unserer Zeit verdirbt, an welche die meisten Menschen unfreiwillig gebunden sind. Eingedrückte Brust, zu schmale und schiefe Schultergürtel, abstehende Schulterblätter, knochige Arme – das sind eben unwillkommene, durch den Zwang des Berufslebens ausgebildete Verunstaltungen, denen nur mit der größten Anstrengung langsam entgegengearbeitet werden kann.

Um so schlimmer ist es nun, daß es auch freiwillig herbeigeführte Verunstaltungen giebt, zu deren Vermeidung nur die nöthige Einsicht und der gute Wille, mit einem Wort der gesunde Menschenverstand fehlt. Greifen wir ein Beispiel heraus: die Füße! Es ist eine traurige, oft verkündete[1], aber, wie mir scheint, immer wieder vergessene Thatsache, daß es bei uns nur noch ganz wenig unverkrüppelte Füße giebt. Der äußere Grund dafür ist einzig und allein in unserer Fußbekleidung zu suchen. Gemeinhin baut man sonst die Kleidung nach dem Körpertheil, den sie bergen und schützen soll; bei unserem landläufigen Stiefel ist dies aber durchaus nicht der Fall – der Fuß muß sich umgekehrt dessen falscher Form anpassen. Ich spreche selbstverständlich hier nicht von Ausnahmen – ich selbst kenne nur drei bis vier Personen, die richtig gefertigtes Schuhwerk tragen!

Fig. 2.

Nach dem anatomischen Bau des Fußes richten sich die heutigen Schuhmacher in ihrer weitaus größten Mehrzahl gar nicht; und das schlimmste daran ist, daß die wenigsten Menschen auch nur eine Ahnung davon haben; ja, die meisten zeigen eine vollkommene Gleichgültigkeit gegen jede Aufklärung. Und selbst diejenigen, die sich unerträgliche Schmerzen an den Füßen bereiten, haben selten Unbefangenheit und Aufrichtigkeit genug, um einzusehen, daß das einzig und allein der falschen Fußbekleidung zuzuschreiben ist, und sträuben sich mit einer wahrhaft unbegreiflichen Hartnäckigkeit gegen diese Einsicht, die ihnen allein dauernde Heilung bringen kann. Man sehe einmal einen anatomisch richtig gebauten Fuß an! Zwar lebende Beispiele für einen solchen haben wir nur noch herzlich wenige unter uns, aber an den Bildwerken der Alten besitzen wir ebenso mustergültige wie unanfechtbare Vorlagen, da die Fußbekleidung jener Zeit im allgemeinen wenigstens die Form der Füße nicht beeinträchtigte.

Für uns handelt es sich in erster Linie um den Grundriß des Fußes (Fig. 1). Zieht man durch die Mitte des Hackens (a) und durch die Mitte der großen Zehe (b) eine gerade Linie, die „Fußachse“, so trifft diese (in d) die projicierte Mitte des Mittelfußknochens der großen Zehe. Sämmtliche Mittelfußknochen bilden mit ihren dazugehörigen Zehenknochen je eine gerade Linie. Diese Linien laufen nach vorn so wenig auseinander, daß sie für uns als parallel gelten können. Somit stünden also alle fünf Zehen zueinander parallel; die längste von ihnen ist die zweite.[2] – Die Mittellinie des ganzen Fußes, durch a und die Mitte des Ballentheiles (c), theilt den Fuß in zwei Tbeile, in einen innern und einen äußern. Man sieht auf den ersten Blick, daß das zwei sehr verschieden gestaltete Sohlenflächen sind.

Fig. 3.

Fig. 2 zeigt uns nun die gewöhnliche Grundform (Sohlenform) unserer Fußbekleidungen. Dieselbe Linie, durch a und c gezogen, zerlegt die Sohle in zwei, vorn fast gleichgestaltete symmetrische Flächen. Und in diese denke man sich den richtig entwickelten Fuß hinein, der in punktierten Linien darüber gezeichnet ist. Das ginge einfach nicht; da aber die meisten Füße von klein auf in die Mißform gesteckt werden, so haben sie sich ihr angepaßt und sehen dann so aus wie der in Fig. 3 vorgeführte. Die große Zehe erleidet eine starke Biegung nach den anderen Zehen zu, und diese theilen sich, so gut es eben geht, in den engen, noch übrig bleibenden Raum. Die Folge ist, daß sie nicht mehr parallel liegen können, sondern alle nach vorn zusammengepreßt werden; die zweite (längste!) Zehe wird zurückgedrängt und krümmt sich krallenförmig, das Gelenk der großen Zehe (mit ihrem Mittelfußknochen) wird bei c herausgetrieben und bekommt Schwielen und Entzündungen; sämmtliche Zehen verlieren durch die starke Pressung gegeneinander ihre runde Form und werden vierkantig;


  1. Die „Gartenlaube“ brachte schon 1857 einen Aufsatz über die „Prokrustesqualen im 19. Jahrhundert“.
  2. Nach den Alten wenigstens. Bei uns findet man sehr oft auch bei normalen Füßen die große Zehe als die längste – schöner ist wohl das erstere.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_478.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2024)