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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

ebenso eifrig betrieben wie das Fischen. Unter den zahlreichen Arten, auf die dem harmlosen Panzerträger nachgestellt wird, erfreut sich das auf der Abbildung (links in der Mitte) dargestellte Krebsen bei Fackellicht einer besonderen Vorliebe, obwohl gerade darauf „im Betretungsfall“ eine empfindliche Strafe steht.

Gewöhnlich thun sich drei Mann zusammen. Der eine trägt den „Ganganiec“, die Leuchte, der zweite das erforderliche Kienholz, der dritte fängt die Krebse. In lauen und dunkeln Sommernächten, wenn der Krebs seine Schlupfwinkel verlassen hat und auf Beute lauernd im seichten Uferwasser sitzt, dann geht es hinaus an den schweigenden waldumrahmten See. Die Fackel wird entzündet, und vorsichtig waten die drei am Ufer entlang, gemächlich die von dem hellen Scheine geblendeten Krebse auflesend. Dem Kienträger liegt noch die Aufgabe ob, sich und seine Gefährten vor unliebsamen Ueberraschungen zu sichern. Scharfen Auges späht er den Waldrand ab, und nur selten gelingt es dem Aufseher, seine Wachsamkeit zu täuschen. Steht dieser aber wirklich einmal unvermuthet zwischen der überraschten Gesellschaft, dann fährt die Leuchte zischend in das Wasser, eine Handvoll nassen Sandes fliegt dem Häscher in die Augen und ein Knacken und Brechen in dem Unterholz belehrt ihn, wo er die Flüchtlinge zu suchen hätte, falls er Lust verspüren sollte, ihnen zu folgen. Gegen eine nachträgliche Ermittlung haben dieselben sich wohlweislich durch Schwärzen ihrer Gesichter geschützt.

Man würde jedoch irren, wollte man aus diesen häufigen Uebertretungen gewisser gesetzlicher Bestimmungen einen ungünstigen Schluß auf den masurischen Volkscharakter im allgemeinen ziehen.

Es ist oben bereits ausgeführt worden, daß der Masure in dem Holz- und Fischdiebstahl kein Vergehen sieht. Er glaubt eben damit, ein ihm zustehendes und zu Unrecht entzogenes Recht auszuüben, er befindet sich nach seiner Auffassung den Gesetzen gegenüber in dem Zustand erlaubter Nothwehr.

Im übrigen ist der Masure ein ehrlicher Kerl, gutmüthig und gastfreundlich wie ein Pole, der selten einen Bettler hungrig von der Schwelle weisen wird, nicht einmal dann, wenn er selbst kaum etwas zu brechen und zu beißen hat.

Der masurische Volkscharakter weist überhaupt viele verwandte Züge mit dem blutsverwandten polnischen auf. Hier wie dort dieselbe Leichtlebigkeit, dieselbe Sorglosigkeit gegenüber der Zukunft, dasselbe leicht aufbrausende und ebensoschnell wieder versöhnliche Temperament, schließlich auch dieselbe Vorliebe für den Spiritus in jeder Form, sei es, daß man ihn diesseit der Grenze „Gorzalka“ oder drüben „Wodka“, „Prosti“ oder „Okowit“ (aqua vitae) nennt. Ein Unterschied nur besteht zwischen den beiden stammverwandten Völkerschaften, das ist das religiöse Bekenntniß. Die Polen sind katholisch, die Masuren evangelisch.

Auch in der Sprache drückt sich die Stammesverwandtschaft aus. Das Masurische ist ein polnischer Dialekt, der sich zum reinen polnisch etwa verhält wie das Plattdeutsche zum Hochdeutschen. Der größte Theil der Worte ist beiden gemeinschaftlich, das Masurische unterscheidet sich nur durch die Aussprache, die breiter und lässiger ist als die polnische. Die Sprache der Masuren ist außerdem vielfach mit deutschen Worten durchsetzt, die nur oberflächlich der slavischen Zunge mundgerecht gemacht worden sind.

Die Zahl jener Masnren, die der deutschen Sprache vollkommen fremd gegenüberstehen, ist in stetem Rückgang begriffen. Die deutsche Schule und der Dienst beim Militär sind zwei gewaltige Förderer nicht nur der deutschen Sprache, sondern des Deutschthums überhaupt. Die Städte sind längst schon deutsch, auf dem flachen Lande vollzieht sich ebenfalls ein unaufhaltsamer Germanisierungsprozeß, der um so leichter von statten geht, als der Masure dem deutschen Wesen durchaus freundlich gegenübersteht.

Die Verdeutschung Masurens ist kein Kampf wie anderwärts, wo Deutsche und Slaven zusammenstoßen – vielleicht weil es an Elementen fehlt, die einen Vortheil davon haben könnten, die beiden Nationalitäten zu verhetzen – sondern wie bei den Wenden eine friedliche Durchsetzung der slavischen durch die deutsche Bevölkerung, ein Prozeß, bei welchem allerdings die unfähigen und untüchtigen Elemente abgestoßen werden und untergehen.

Schon heute erhält man vielfach von dem Masuren auf die Frage. „Was bist Du?“ die Antwort: „Jestem Prussak“ (ich bin ein Preuße). Die Zeit, in der er diese Antwort auf deutsch geben wird, ist nicht mehr so fern.


Der Klosterjäger.

Ein Hochlandsroman aus dem 14. Jahrhundert von Ludwig Ganghofer.

 (8. Fortsetzung.)


In frischem Trab ritt Herr Heinrich durch das frühlingsblühende Thal. Als er den See erreichte, sah er neben einer der Fischerhütten die mit Stangen ausgespreizte Bärenhaut zum Trocknen in der Sonne stehen.

Das Pferd wurde versorgt, und ein Knecht ruderte den Propst im Einbaum nach der Bartholomäer Klause.

Stiller Friede athmete um das steinerne Kirchlein, das den schwindelnd hoch gethürmten Wänden des Watzmann zu Füßen lag: ein Bröselein Menschenwerk neben dem ewigen Riesenbau des Schöpfers. Das Sonnenlicht glitzerte über dem weißen Kiesgrund, aber vom nahen Gletscher der „Eiskapelle“ wehte eine kühle Luft. Weit draußen in der Wiese sang ein Knecht, der am hohen Hag das von den Lawinen zerdrückte Flechtwerk besserte.

Nahe bei dem Kirchlein stand die aus Blöcken erbaute Klause, in welcher Pater Eusebius mit einem Laienbruder und zwei Knechten hauste. Eusebius, der das Boot schon hatte kommen sehen, erwartete den Propst am Ufer.

„Nun, wie geht es ihm?“ fragte Herr Heinrich, während sie zur Klause gingen.

Der Pater zuckte die Schultern. „Er kann noch Tage, noch Wochen kämpfen. Seine Riesennatur wehrt sich gegen den anstürmenden Tod wie im Bett des Wildbaches ein Felsblock gegen das anstürzende Wasser ... aber das Wasser läßt nimmer nach, der Block muß weichen. Bis vor einer Stunde lag der Mann in wildem Fieber ...“ Eusebius blieb stehen. „Wisset Ihr, Herr, daß der Mann eine schwere Schuld auf dem Gewissen hat?“

„Was meinst Du?“

„Er hat es im Fieber ausgeredet ... er war es, der den Haymo gestochen hat.“

Ich weiß es. Und Du, Eusebius, bewahre, was der Mann Dir im Fieber gebeichtet hat! Ist er jetzt bei Sinnen?“

„Ein Weilchen immer, bis die Schwäche wieder kommt.“

„Und daß er das Fieber überstand, das giebt keine Hoffnung?“

Eusebius schüttelte den weißen Kopf. „Es wird wieder kommen. Und die größte Gefahr liegt dort, wo ich nicht hin kann mit meinen Händen, in der Brust. Fast alle Rippen sind gebrochen und in die Lunge gedrückt. Die äußerlichen Wunden, die hätte seine Natur vielleicht noch überstehen können. Freilich, die rechte Schulter, du mein Gott, die sieht bös aus; alle Nervenstränge sind zerrissen, der Arm ist tot und die Schulter lahm.“

„Die rechte Schulter? ... In die rechte Schulter hat er dem Haymo das Messer gestoßen!“

„Ja, ja,“ sagte Eusebius, während ein feines Lächeln seine welken Lippen umspielte, „der liebe Gott schickt mitunter merkwürdige Zufälle.“

Herr Heinrich that, als hätte er das Wort überhört.

Sie traten in die Stube, in welcher Wolfrat gebettet lag; er ruhte auf blutigen Kissen, die Brust mit wulstigen Verbänden umschnürt, die Arme geschindelt und gebunden, damit er sie nicht rühren konnte, das Gesicht mit Leinwand überklebt, so daß man kaum die Augen und den Mund erkannte ... ein Bild des Jammers zum Erbarmen.

Er war bei Bewußtsein und erkannte den Propst. „Herr ... guter Herr!“ klang es mit leisem Stöhnen von seinen starren Lippen.

„Geh, Eusebius, laß mich allein mit ihm!“ sagte Herr Heinrich.

Eusebius verließ die Stube und setzte sich vor der Klause auf die sonnige Bank. Drinnen klang in Zwischenräumen die Stimme des Propstes, er schien Frage um Frage zu stellen, auf welche Wolfrat mit matten Lauten Antwort gab. Eusebius lauschte nicht. Mit verschränkten Armen saß er an die Wand gelehnt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 500. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_500.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2024)