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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Flüchtling daselbst lebte, kennengelernt, sich lebhaft für das witzig muntere und hübsche Naturkind interessiert, es auf seine Kosten erziehen und zu seiner Gesellschafterin ausbilden lassen. Aber er erntete schlechten Lohn für all seine Wohlthaten. Sophie Clarke, in Bälde zu einer stattlich schönen, ebenfo klugen wie energischen Dame herangewachsen, bereitete ihrem Adoptivvater manche schwere Stunde. Sie hatte Condé’s Adjutanten, einen braven Offizier, den Baron Feuchères, geheirathet, doch wurde nach einem ärgerlichen Prozeß die Ehe bald wieder aufgelöst, und die geschiedene Frau ward nunmehr des Prinzen erklärte Freundin. Bald wußte sie sich des schwachen Greises derart zu bemächtigen, daß dieser kaum mehr einen Schatten freien Willens besaß und geradezu in beständiger Furcht vor seiner Peinigerin lebte. Jahrelang arbeitete sie daran, Condé zu bestimmen, daß er den dritten Sohn des Herzogs von Orleans zu seinem Universalerben einsetze und ihr selber bedeutende Legate zuwende. Um dieses Ziel zu erreichen, mußte ein langer und heftiger Widerstand beseitigt werden, allein die Baronin verstand es, mit allem Aufwand an List und Thatkraft langsam, aber um so sicherer vorzugehen. Erst sollte die Adoption einem anderen Prinzen des königlichen Hauses zu theil werden. Die Feuchères suchte also zunächst Fühlung mit dem Hofe und bot anfänglich der Herzogin von Berry ihre Dienste an, weil Condé in der That damals beabsichtigte, dem Herzog von Bordeaux seinen glorreichen Namen und seine unermeßlichen Besitzungen zu vererben. Aber der Graf von Artois, der später als Karl X. den Thron Frankreichs bestieg, nahm eine solche Schenkung nicht an und verwies Condé an seine näheren Verwandten, die Rohans. Der Feuchères selbst wurde der Zutritt zu den Tuilerien verweigert; sie beschloß, sich an die Orleans zu wenden, wo sie denn wirklich die beste Aufnahme fand. Die für die Familie Orleans „so interessante Angelegenheit“, wie der Herzogin eigene Worte lauteten, wurde alsbald eingeleitet und trotz aller Hindernisse zu einem gedeihlichen Ende geführt.

Die Feuchères wußte es durchzusetzen, daß Condé im Jahre 1822 den Herzog von Aumale aus der Taufe hob, und im April 1827 schien die Adoption des jungen Prinzen zur Thatsache werden zu wollen; aber am 2. Mai 1829 mußte dennoch die Sache in dieser Fassung wieder als gänzlich gescheitert angesehen werden. Nunmehr begannen die Anstrengungen zur Erlangung eines günstigen Testamentes.

Condé ertrug schwer und widerwillig das Joch, in welches die Baronin Feuchères ihn gespannt hatte; er wollte es um jeden Preis abschütteln, auch war ihm der Herzog von Aumale als Träger seines Namens gar nicht, als Erbe seiner Güter nur halb willkommen. Aber der alte Mann war dem intriganten Weibe in keinem Stücke mehr gewachsen, und um vor ihrer unausgesetzten Belästigung endlich einmal Ruhe zu haben, willigte er am 30. August 1829 ein, das längst in Bereitschaft gehaltene Testament zu unterschreiben. Es handelte sich um einen Besitzstand von 73 Millionen, wie uns Crétineau-Joly in seiner „Geschichte der letzten drei Prinzen aus dem Hause Condé“ genau mittheilt. Zwölf Millionen erbte die Feuchères als Lohn für ihre Bemühungen, der Rest, nach Abzug einiger Legate, fiel dem Haupterben, dem Herzog von Aumale, zu.

Da kam die Julirevolution, der Herzog von Orleans bestieg als „König der Franzosen“ den Thron. Die selbstsüchtige Handlung Louis Philipps, sein Privatvermögen den Kindern zu sichern, mißfiel der anständiger denkenden Nation und mußte auch einem Kavalier aus der alten Schule wie Condé stark mißfallen. Er wurde den Orleans gegenüber kälter, trotz der Aufmerksamkeiten, welche ihm von ihrer Seite geflissentlich erwiesen wurden; überbrachte ihm doch die Königin in eigener Person den Großkordon der Ehrenlegion!

Bald drohte eine ernste Gefahr, denn der reiche „Onkel“ wollte St. Leu verlassen, nach einem heftigen Streite mit seiner tyrannischen Freundin nach Chantilly übersiedeln. Schon ist der Wagen bestellt, dem Stallmeister sind die Diamanten anvertraut, der Prinz hat bereits eine Million, in gute Bankscheine umgewechselt, zum Mitnehmen im Bereitschaft. Einmal in Chantilly, wäre es ihm ein Leichtes gewesen, ein neues Testament zu machen. Soweit durfte es nicht kommen. Louis Philipp, von dem Vorhaben des Prinzen in Kenntniß gesetzt, beging in leidenschaftlicher Verblendung den unverzeihlichen Fehler, an die Feuchères zu schreiben, sie solle um jeden Preis des Prinzen Condé Abreise zu verhüten suchen. Welche Deutung das lasterhafte Weib den königlichen Worten „um jeden Preis“ gab, das zeigte sich, als man den alten Mann in seinem Schlafzimmer erhängt auffand. Niemand unter der Dienerschaft wollte an ein selbstgewähltes Ende aus Lebensüberdruß glauben, so absichtlich auch alle Veranstaltungen getroffen waren, um diesen Schein zu erwecken.

Das Schlafzimmer, gegen die Parkseite zu gelegen, hatte zwei Eingänge. Die Hauptthür, hinter der mit einem Schlüssel abgeschlossenen Flurthür gelegen, fand sich an jenem Morgen stark verriegelt, die andere Thür, auf eine Seitentreppe führend, war ebenfalls verschlossen, doch zeigte es sich später, daß ein dort angebrachter Mechanismus erlaubte, auch von außen her den inneren Riegel vorschnappen zu lassen. Ob diese Thür in der kritischen Nacht offen gestanden hatte und erst später verschlossen wurde, ist nicht festgestellt worden.

Der Körper des Prinzen war vermittelst zweier Taschentücher, von denen das eine um seinen Hals gelegt war, am Fensterhaken aufgeknüpft vorgefunden worden. Einer der Diener erklärte auf Gruud von Erfahrungen, die er im Orient gesammelt hatte, frei heraus, daß hier von einem Tode durch Erhängen nicht die Rede sein könne; ja Mr. Lafontaine, Generalinspektor der prinzlichen Forsten, machte den Versuch, sich in der angegebenen Weise mit zwei Taschentüchern aufzuhängen, und fand, daß es unmöglich sei, sich auf diese Weise das Leben zu nehmen. Hierzu kam noch der Umstand, daß die Taschentücher kunstvoll verschlungen waren mit einem sogenannten Weberknoten, welchen der Prinz, der infolge früherer Wunden am Oberarm und an der Hand halb gelähmt und ziemlich unbeholfen war, sicher in solcher Höhe über dem Kopfe nicht hätte knüpfen können, auch wenn er im übrigen diese Fertigkeit besessen hätte. Die Mbbel des Zimmers befanden sich in einer allzu schlau ersonnenen Unordnung. In einer Ecke stand ein Gewehr, sorgfältig gereinigt und frisch geladen: ein Umstand, der wohl einen Selbstmord vollständig ausschließt, denn der frühere tapfere Soldat, der bis zuletzt dem Jagdvergnügen mit Leidenschaft oblag, hätte sich sicher mit einer Kugel, nicht mit dem Stricke den Tod gegeben.

So war im Grunde eigentlich niemand da, der so recht an einen Selbstmord des Prinzen Condé glaubte, vielmehr bezeichnete die öffentliche Stimme von Anfang an die Feuchères als die Urheberin eines lange vorher geplanten Verbrechens. Dennoch wurde die Dame, nachdem eine höchst lässig und oberflächlich geführte Voruntersuchung ergebnißlos geblieben war, keiner kriminalgerichtlichen Verfolgung unterworfen, obwohl der Generaladjutant Louis Philipps, Theodor de Rumigny, der eigens nach St. Leu abgesandt worden war, an den König geschrieben hatte: „Der Tod des Prinzen sIeht nicht wie Selbstmord aus.“ Aber ein grimmiger Feind war der Feuchères erstanden in der Person des prinzlichen Almoseniers, Pellier de Lacroix, der bei der Beisetzung des Herzens von Condé in der Kapelle zu Chantilly in einer ergreifenden Trauerrede unumwunden erklärte, daß der Prinz vor Gott an seinem Tode unschuldig sei; das hieß so viel, als er sei ermordet worden, denn einen Selbstmörder hätte man ja nicht mit kirchlichen Ehren beerdigen dürfen. Derselbe thatkräftige Mann wußte es schließlich bei dem König durchzusetzen, daß nach beinahe drei Monaten der Fall wieder aufgegriffen wurde und daß ein Rathsherr des Appellhofes nach langer und mühsamer Prüfung einen Antrag stellte, nach welchem das Tribunal die Feuchères in den Anklagezustand versetzte.

Der Fall beschäftigte den ehrenwerthen Richter De la Huproye vom 6. Februar bis 2. Juni 1831; er hat während dieser Zeit 120 Zeugen verhört, 231 Aussagen entgegengenommen. Immer enger zog sich das Netz zusammen über dem Haupte des schuldigen Weibes und immer bänger wurde dem König zu Muth. Er hielt Berathungen ab mit seiner klugen Schwester, der Prinzessin Adelaide, und mit Persil, dem Generalprokurator des königlichen Gerichtshofes von Paris. De la Huproye war entschlossen, seinen Bericht der Anklagekammer vorzulegen; dies durfte nicht geschehen. Am 3. Juli abends begab sich Persil in die Wohuung des Richters, der uns Aufzeichnungen über diesen Besuch hinterlassen hat. Persil ruft aus: „Es handelt sich hier nicht um Schuld oder

Unschuld eines anrüchigen Weibes, es handelt sich um das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 559. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_559.jpg&oldid=- (Version vom 31.10.2022)