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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

langsame Schritte dem Thor, und Ulei der Bildschnitzer betrat das Gehöft. Er trug auf den Armen eine hohe Figur, die von grauer Leinwand umhüllt war.

„Das soll ich abgeben, hat’s geheißen. Es gehört über die Thür hinauf,“ sagte er.

„Das Muttergottesbildl!“ erwiderte Gittli leise.

Ulei stellte die Figur auf die Steinbank und löste mit zitternden Händen das Tuch.

„Schau, Haymo, schau nur! So was Liebes und Schönes! Wie wenn’s lebig wär’ und thät uns anschauen!“

Eine leichte Röthe huschte über Uleis bleiche Züge. Das Lob hatte ihm Freude gemacht. Wortlos wandte er sich ab und verließ das Gehöft. Haymo und Gittli merkten nicht, daß er ging. Sie standen schweigend aneinander gelehnt und betrachteten das mit hellen Farben bemalte Schnitzwerk.

Der Sockel stellte eine graue Wolke dar, umringelt von einer Schlange, auf deren Kopf das Bildniß mit beiden Füßen stand. Ein blaues Kleid verhüllte mit eng gereihten, züchtigen Falten den ganzen Körper; die schlanken Fingerchen hielten einen Lilienstengel, das weiße Gesichtchen mit den blauen Augen war leicht geneigt, und gleich einem Mantel fiel das gelöste Blondhaar um die Schultern. Die Stirn schmückte ein Kränzlein blühender Schneerosen.

„Haymo, schau das Gesichtl an,“ flüsterte Gittli, „merkst denn nicht, wem es gleich schaut?“

Er nickte und stand mit feuchten Augen, in den Anblick des Bildes versunken.

Gittli faltete die Hände und sprach leise ein Gebet.

„Was meinst?“ sagte Haymo. „Wenn ich’s gleich hinaufstellen thät’! Weißt, die hütet unser Haus . . . die schon!“

Er wälzte einen hohen Pflock herbei, und während er das Bildwerk achtsam emporhob in die Mauernische, eilte Gittli davon; sie suchte und suchte, aber sie fand nur welke Blumen. Da sah sie das rankende Immergrün, das sich neben dem Hofthor um den Stamm der alten Ulme spann. Sie brach alle Ranken, und Haymo flocht dieselben um den Sockel des Bildes.

Nun standen sie wieder. Seite an Seite, eines den Arm um den Hals des anderen gelegt und blickten zu dem Bild empor.

„Gelt,“ flüsterte Haymo, „die soll die ersten Blümerln haben all’ Jahr’!“

„Und allweil die schönsten. Und wenn es weihnachten thut, steigen wir miteinander hinauf in die Röth’ . . . und da kann der Schnee gleich haustief liegen . . . wir holen ihr ein Schneerosensträußl herunter, gelt?“

Sie reichten sich die Hände.

Nach einer Weile sagte Haymo, tief aufathmend: „Komm, Schatzl, wir müssen die Herren suchen! Mein Gott, sag’ mir nur, Schatzl, wie sollen denn wir soviel Gutthat heimzahlen köunen?“

„Gelt, ja!“ lispelte Gittli. Eine bessere Antwort wußte sie nicht.

Haymo schloß die Thür und zog den Schlüssel ab. Als sie das Hofthor schon erreicht hatten, fragte Gittli. „Hast auch gut zugesperrt? Hast zweimal umgedreht?“

„Wohl wohl!“

„Geh, schauen wir lieber nochmal hin!“

Sie gingen zur Thür zurück, und eins nach dem anderen rüttelte an der Klinke.

Nun machten sie sich auf den Weg. Beim Hofthor blieben sie noch lange stehen, betrachteten das Haus, und immer wieder kehrten ihre Blicke zu dem Bild über der Thür zurück.

Haymo schüttelte in einem fort den Kopf. Plötzlich zog er das Weidmesser aus der Scheide und drückte die scharfe Spitze in den Rücken seiner Hand.

„Ja was treibst denn?“ stammelte Gittli erschrocken.

„Spüren möcht’ ich, ob ich wach’! Allweil mein’ ich, daß ich träumen thu’ und müßt’ aufwachen mit jedem Augenblick.“

„Geh’, wie Du ein’ aber ängsten kannst!“ stotterte Gittli und klammerte die Arme um seinen Hals.

Er küßte sie ... wieder und wieder; das schien ihn doch endlich zu überzeugen, daß er wache.

Langsam gingen sie zwischen den Hecken dahin. Sie mußten sich dicht aneinander schmiegen, denn der Pfad war schmal. Kein Wörtlein sprachen sie . . . doch immer wieder schauten sie sich lächelnd in die Augen, athmeten tief auf und schritten weiter.

*  *  *

Herr Heinrich hatte wahr prophezeit. Ueber vier Wochen hielt der neue Wildmeister Hochzeit. Pater Theophilus legte die Hände des jungen Paares ineinander; als er den Segen sprach, schwankte vor freudiger Bewegung seine Stimme, daß sie bei jedem Worte zu erlöschen drohte. Gittlis Augen, die zu ihm emporgehoben waren, schimmerten in Thränen. Seit dem vergangenen Abend wußte sie, daß es ihr Vater war, dem sie alles Glück verdankte.

Bis auf das letzte Plätzlein war die Kirche gefüllt. Zuvörderst im Herrenstuhl, neben Herrn Heinrich, kniete der Vogt, in dessen nicht gar feierlichem Antlitz eine merkwürdige Erregung zuckte. Er zwirbelte den dicken Schnauzbart und schielte immer wieder zu Herrn Heinrich auf. Die Hochzeit des Haymo mit der Schwester des Wolfrat hatte ihm ein Lichtlein aufgesteckt.

Als die Trauung vorüber war, wurde das junge Paar von Glückwünschenden umdrängt. Nur Seph’ und Wolfrat fehlten. Weshalb nur waren sie nicht gekommen?

Als einer der Letzten trat Herr Schluttemann vor das Paar. Er machte einen Bückling vor der erröthenden Braut und faßte Haymos Hand. „Also, Herr Wildmeister, viel Glück fürs Leben! Und einen guten Rath will ich Euch auch dazu geben: lügen, Herr Wildmeister, lügen müßt Ihr nimmer!“

„Herr Vogt!“ stotterte Haymo. „Wie meint Ihr das?“

„Schon gut, schon gut! Ich weiß schon, was ich weiß!“

Stolz erhobenen Hauptes stakste Herr Schluttemann davon. Er war wohl auch zum Brautmahl geladen; aber er wollte zuvor noch in der Vogtstube Nachschau halten. Als er das Kloster betrat, klangen von der Kirche herüber die Hörner der Jäger, welche das Brautpaar mit schmetterndem Weidmannsgruß empfingen.

Herr Schluttemann fand in der Wartestube nur wenige Leute vor, die er eilig abfertigte. Schon wollte er die Vogtei verlassen, da kam noch einer mit polternden Tritten herbeigerannt.

„Herr Vogt! Herr Vogt!“

Beim Klang dieser Stimme spitzte Herr Schluttemann die Ohren. „Was? Der traut sich noch herein zu mir? Er runzelte die Brauen und stemmte die Fäuste in die Hüften, als er seine Vermuthung bestätigt sah und den Rottmann Polzer erkannte.

Wolfrat blieb unter der Thür stehen und stützte sich mit dem Arm an den Pfosten, keuchend vom raschen Lauf, das Gesicht von Schweiß und Thränen überronnen, lachend und schluchzend.

„Was ist denn das schon wieder für eine Narretei?“ donnerte Herr Schluttemann. „Will man vielleicht wieder den Vogt uzen? Wart’ nur, jetzt will ich Dir aber zeigen . . .“

Weiter kam Herr Schluttemann nicht, denn Wolfrat, der die Worte des Vogtes gar nicht zu hören schien, schluchzte und lachte. „Herr Vogt! Herr Vogt! Nehmet nur gleich das Leutbuch her . . . und schreibet hinein . . . ich hab’ ein Kindl gekriegt . . . ein Dirnlein, Herr Vogt, ein Dirnlein ... blaue Aeugerln hat’s und bluhweiße Lockerln . . . und Mariele soll’s heißen . . . Polzer Mariele! Schreibet, Herr Vogt, schreibet . . . ich muß zum Pfarrer laufen . . .“

Da rannte er schon davon, lachend, schluchzend und keuchend.

Herr Schluttemann stand noch immer mit gespreizten Beinen, die Fäuste in die Hüften gestemmt. „Natürlich!“ knurrte er. „Nur allweil Kinder, allweil Kinder, daß nur ja die Lugenschüppel nicht minder werden auf der Welt! Aber wart’ nur! Du kommst mir schon wieder! Dann sollst Dir aber merken, daß ich mich nur einmal hab’ anschmieren lassen!“ Er hob die Fäuste gegen die Stubendecke. „Ooooh! Die Menschen sind doch schlechte Leut’!“ Zornig riß er an der Glocke. Der Fronbot trat ein. „Geh’ hinüber in die Küch’ und nachher zum Kellermeister, laß’ Dir einen richtigen Korb voll Freßzeug geben und einen Krug Wein . . . trag alles hinunter zum Rottmann Polzer und sag’: Das schick’ ich ihm zur Kindstauf’ . . . dem Gauner!“

Mit vollen Backen blasend ging Herr Schluttemann auf den Schrank zu, nahm das in Schweinsleder gebundene Leutbuch heraus, schlug es auf, tauchte brummend die Gänsefeder ein und schrieb:

„Den 26. des Anderherbst, a. d. 1338, dem Rottmann Wolfrat Polzer ein Dirnlein geboren, heißt Mariele.“

„Punktum!“ sagte Herr Schluttemann und spritzte die Feder aus.

Durch das offene Fenster klangen jauchzende Stimmen und die schmetternden Klänge der Jagdhörner.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_570.jpg&oldid=- (Version vom 30.11.2022)