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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

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Ueber kräftigende Diät.

Von Professor Dr. E. Heinrich Kisch.

Es giebt ein Sprüchlein, das zwar recht derb materialistisch klingt, dem man aber eine gewisse Berechtigung doch nicht absprechen kann: „Der Mensch ist, was er ißt“. In der That baut sich der Körper in stetig sich erneuerndem Stoffwechsel aus dem Nährmaterial auf, welches ihm zugeführt wird. Durch die Nahrungsstoffe, welche der Organismus aufnimmt, stellt er das Gleichgewicht zwischen Ausgaben und Einnahmen im Haushalt des Körpers her, schafft er Ersatz für den Verbrauch, für die durch die Zersetzungsvorgänge im Körper aufgezehrten Stoffe. Beim gesunden Menschen ist es der Hunger, welcher den Alarmruf ausstößt, daß es Zeit sei, Nahrung zuzuführen, und eine Empfindung des Wohlbehagens, der Kräftigung begleitet die Befriedigung jenes Bedürfnisses. Nicht so einfach ist die wissenschaftlich begründete Antwort auf die Frage, welche Menge von Nährstoffen der normale Mensch unter den verschiedenen wechselnden Verhältnissen seiner Körperbeschaffenheit und Arbeitsleistung, seines Alters und seiner Große, der Ruhe und der Bewegung, des Klimas und der Jahreszeit bedarf, wie viel Eiweißstoffe und stickstofffreie Nahrung mit der gebotenen Kost zu verabreichen sind und welche Speisen das zweckmäßigste Gemische darstellen, um den Stoffbedarf des Organismus zu decken. Die Ernährungslehre der Gegenwart ist eifrig an der Arbeit, auf Grundlage sorgsamer Versuche unsere Kenntnisse über die Verdauung und Ausnutzung der Nahrungsmittel, über die Bedeutung der einzelnen Nahrungsstoffe und Genußmittel, über die Einnahmen und Ausgaben des gesunden Körpers bei bestimmten Kostarten zu erweitern und so die geeignete DIät festzustellen.

Abschied.
Nach einem Gemälde von G. Haquette.
Photographie im Verlag von Ad. Braun u. Cie. in Dornach.

Weitaus schwieriger noch wird die Aufgabe, für Kranke, bei denen der Stoffverbrauch sich andersartig als bei Gesunden gestaltet, bei denen die Verdauungsorgane ihre Arbeit nicht voll und ganz zu bewältigen vermögen, die Nahrungzufuhr so einzurichten, daß der Verlust an Körperbestandtheilen wieder vollständigen Ersatz finde, daß eine zweckdienliche Erneuerung der abgenutzten Gewebe sich vollziche, daß die Ernährungsvorgänge sich dem Krankheitszustand anpassen. Die richtige Art der Krankenernährung ist eine Sache von so unendlich großer Wichtigkeit, daß sich Erfahrung und Forschung zur Lösung derselben die Hand reichen müssen und daß, was die Wissenschaft nach dieser Richtung hin zu Tage gefördert hat, den weiteiten Kreisen zugänglich gemacht werden sollte.

Eine Seite dieser Frage habe ich vor einigen Monaten in dem Aufsatz über „Entziehungsdiat“ in Halbh. 12 dieses Jahrgangs behandelt. Heute soll von der entgegengesetzten Art der Krankendiat die Rede sein, deren wir in unserer den Stoffverbrauch nur allzu stark in Anspruch nehmenden Zeit nicht minder häufig bedürfen, von der kräftigenden Diät.

Das Kind der Stadt, welches wie jede Stubenpflanze schlecht gedeiht, dem Luft und Licht so spärlich zugemessen sind und dessen bloße Farbe schon die ungenügende Ernahrung bekundet; der Jüngling und die Jungfrau, deren geistige Entwicklung beschleunigt, deren Leibesentwicklung aber vernachlässigt wurde; der Mann, der in der Hast des Erwerbes, in der Jagd nach Erfolg mehr Einbuße an Kraft erleidet, als er zu ersetzen Zeit hat; alle die vielen, vielen, welche die Maschine ihres Organismus mit Dampf betreiben und gewaltsam abnützen – sie müssen, um wenigstens einigermaßen das Gleichgewicht herzustellen, einer kräftigenden Diät sich unterziehen. Und wenn durch Krankheiten das Blut verarmt, das Nervensystem geschwächt ist, dann wird gleichfalls eine kräftigende Ernährungsweise gewählt werden müssen, welche die Blutbildung beschleunigt und fördert, die Thätigkeit der Nerven belebt, die Energie des Stoffwechsels hebt.

Dieses Ziel sucht man zu erreichen, indem man die kräftigsten Nährstoffe auswählt und sie dem Körper immer in solcher Form zuführt, daß die Verdauung nicht zu stark in Anspruch genommen und nicht mit zu großen Mengen belastet wird. Früher wurde das Eiweiß als der einzige kräftigende Nahrungsstoff angesehen, jetzt wissen wir, daß zu den Erfordernissen einer richtigen Diät auch Fette und sogenannte Kohlenhydrate (Stärke, Zucker, Gummi), ferner gewisse Genußmittel, wie Kaffee. Thee, alkoholische Getränke, Speisewürzen, gehören. Wenn die Physiologie lehrt, daß der tägliche Stoffbedarf eines Erwachsenen von mittlerem Körpergewicht in ruhendem Zustand durch 71 Gramm Eiweiß, 28 Gramm Fett, 110 Gramm Kohlenhydrate und 11 Gramm Salze gedeckt wird, so erfahren diese Ziffern eine beträchtliche Steigerung, wenn der Mensch eine mäßige, starke oder angestrengte Thätigkeit ausübt, und sie müssen wesentlich geändert werden, wenn es sich darum handelt, die Neubildung des Körpers zu fördern, die Ernährung zu heben. Am besten wird die richtige Zusammensetzung der Nahrung durch eine gemischte Kost aus thierischen und pflanzlichen Bestandtheilen erreicht, und am zweckmäßigsten ist es, die Nahrungsaufnahme auf mehrere Mahlzeiten des Tages zu vertheilen, wobei eine gewisse Abwechslung vorherrschen soll.

Das Hauptgewicht muß allerdings auf große und leicht verdauliche Eiweißmengen gelegt werden. Die Eiweißstoffe aus dem Thierreich verdienen den Vorzug vor den pflanzlichen eiweißhaltigen Nahrungsmitteln, weil diese letzteren im menschlichen Darme ungenügend ausgenutzt werden und daher selbst in großen Portionen nur kleine Wirkungen erzielen. Fleischspeisen werden demnach stets den Kern jeder kräftigenden Kost bilden[1], wobei der leichten Verdaulichkeit, der Zartheit der Muskelfasern sowie dem Wohlgeschmack der einzelnen Fleischsorten Beachtung zu schenken ist. Für den Küchenzettel der kräftigenden Diät sind demgemäß besonders folgende Fleischsorten empfehlenswert: gebratenes Rindfleisch und Kalbfleisch, Schinken; ferner von Wildpret: Hirsch, Reh, Hase, Gemse, Feldhuhn, Krammetsvögel,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 589. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_589.jpg&oldid=- (Version vom 28.12.2022)
  1. Reines Muskelfleisch besteht durchschnittlich aus 76% Wasser und 24%, festen Bestandtheilen, darunter 20% Eiweißstoffe.