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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Seewiese setzt man nun in jeden dieser Tröge eine größere Anzahl kleiner Kästen, deren Boden – rostartig – durch Glasstäbe gebildet wird, und auf diesen Glasstäben ruhen die Eier.

Die Befruchtungsarbeit erfolgt, wie aus dem bereits Gesagten hervorgeht, im Spätherbst, im Winter. Da stelle sich der geneigte Leser einen Mann in hohen Stiefeln vor, der in einem Porzellangefäß die Eier und die „Milch“ zusammen rührt – der Mann ist in diesem Augenblick etwas wie ein Schöpfer.

Im Bruthause.
Nach der Natur aufgenommen von Hofphotograph C. Hertel in Mainz.

Hat er tüchtig, aber vorsichtig gerührt, dann werden die nun befruchteten Eier abgewaschen und auf die Roste aus Glasstäben hübsch nebeneinander gelegt. Es sieht aus, als ob man sorgsam geordnete Reihen kleiner gelber Erbsen vor sich habe. Da eine einzige Pfundforelle oft 1000 Eier liefert (der Karpfen hat auf das Pfund Körpergewicht etwa 100000 Eier!), so benöthigt man nur einer geringen Anzahl von Weibchen, um das Bruthaus zu versorgen. Dafür ist die Arbeit der Beaufsichtigung dann um so peinlicher und mühevoller, da die frisch befruchteten Eier auch gegen jede Bewegung äußerst empfindlich sind. Hat sich das junge Lebewesen dann soweit entwickelt, daß seine Augen im Ei als zwei schwarze Punkte sichtbar werden, so ist die gefährliche „Anbrütungsperiode“ vorüber. Die Eier sind nun weniger empfindlich und können – zwischen feuchte Watte oder Moos verpackt – auf die weitesten Entfernungen verschickt werden. Hat das durch die Brutapparate laufende Wasser eine durchschnittliche Temperatur von 21/2° R., so werden bei Forelleneiern die Augen als schwarze Punkte nach ungefähr 80 Tagen sichtbar, hat es aber eine Temperatur von 5°, so erscheinen die Augenpunkte schon nach 40 Tagen. In weiteren 40 Tagen schlüpft dann in letzterem Falle der junge Fisch aus. Wenn man also die Eier mittels Anwendung von Eis so verpackt und befördert, daß die sie umgebende feuchte Hülle sich während der Dauer der Reise nicht über 5° erwärmt, so kann der Transport ohne Schaden 30 bis 35 Tage dauern. Erhält man die Temperatur der Eier auf 21/2°, so können sie sogar 70 Tage lang reisen. Auf diese Weise ist es möglich geworden, den kalifornischen Lachs und andere Salmoniden Amerikas nach Europa überzusiedeln, und so ist es auch möglich, daß das Fischgut Seewiese seine Eier nicht bloß nach den meisten Staaten Europas, sondern auch nach überseeischen Ländern versendet.

Bleiben wir nun vor einem der Tröge stehen! Da liegen die kleinen „Erbsen“ still auf ihren Glasstäben unter dem krystallhellen, leise fortrieselnden Wasser, und nichts mahnt an Leben. Auch hier – einen Schritt weiter – ist alles still; nur hie und da hat eine der Erbsen ein Paar schwarzer Punkte, und da . . . ist es nur das Rieseln des Wassers – die Spiegelung – ein Schatten . . . oder bewegt sich das Ei wirklich, schwebt es wirklich gespenstisch wie ein seltsames Nebelgebilde daraus hervor? Wir nehmen einen Glasheber, suchen das Ding zu fassen, und jetzt . . . wahrhaftig, es ist kein Ei mehr, es ist ein Fisch, oder wenigstens das Gespenst eines Fisches, ein unheimlich anzusehendes träges Schattenwesen, das sich neben der Erbse, an der es haftet, in dem schimmernden Nasse fast verliert. Und nun machen wir wieder einen Schritt weiter, und da sind es keine Gespenster mehr, sondern wirkliche kleine Fischlein, die schon munter umherschwimmen, wunderbar munter, obgleich sie alle einen schweren Sack mit sich schleppen – die ganze, ganze Erbse. Aber diese Erbse ist eben das Glück der kleinen „Dotterlinge“. Sie kommen auf die Welt und brauchen weder Mama noch Papa noch einen Waisenvater, sie haben ihren „Dottersack“. Der hält so lange an, bis sie majorenn sind, bis sie sich selber durch die Welt helfen können.

Die Fischzuchtanlage Seewiese in der Rhön.
Nach der Natur aufgenommen von Hofphotograph C. Hertel in Mainz.

Ist der Dottersack aufgezehrt, bedürfen die kleinen Fische der Nahrung, dann ist es Zeit, sie in die Gewässer zu bringen, sie „auszusetzen“, wobei natürlich darauf zu sehen ist, daß sie die ihrem Alter und der Gattung entsprechenden Lebensbedingungen vorfinden. Ich habe schon erwähnt, daß Seewiese mehr Eier als Brut versendet – von ersteren zwei Millionen, von letzterer eine. Die Eier werden auf Rahmen gelegt, die mit Wollbarchent bespannt sind; eine Anzahl solcher Rahmen bringt man dann, nachdem sie mit Wasser getränkt sind, in einer Kiste unter, und zwar so, daß an allen Seiten etwa 8 Centimeter Raum bleibt, der mit nassem Waldmoos oder nasser Torfstreu und daneben mit Eis ausgefüllt wird. Die kleinen Fischchen verschickt man in kannenartigen Blechgefäßen, die, von Moos und Eis umgeben, in Körbe gestellt werden; für die Beförderung der größeren Thiere werden Holzfässer benutzt. Die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_595.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2022)