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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

und Maschinen zu betäuben, und nur die geheime Hoffnung hielt ihn noch aufrecht, daß irgend eine unerwartete Fügung des Schicksals dieses unnatürliche Band zwischen Claire und dem Grafen lösen werde. Allein der Herbst kam, die Blätter welkten und mit ihnen die stille Hoffnung, an die er sich geklammert hatte. In wenigen Wochen sollte die Hochzeit Claires stattfinden.


11.

Graf Maltiz und Otto sahen mit fieberhafter Erregung dem großen Rennen entgegen. „Helios“ war völlig wieder hergestellt, der englische Trainer, den sie um hohe Summen angestellt hatten, versprach sicheren Erfolg. Die ganze Sportswelt blickte auf „Helios“ und ärgerte sich jetzt schon über den glücklichen Kauf des Grafen. Hohe Wetten wurden geschlossen. Siegte „Helios“, so war der Gewinn ein ungeheurer.

Claire begrüßte diese Nervenerregung eben jetzt, wo der Tag ihrer Vermählung immer näher rückte, mit Freuden, sie gewährte ihr eine erwünschte Ablenkung von den quälenden Gedanken. Am Ende gehörte ja der Sport zu ihrem künftigen Leben – so wollte sie auch eine Rolle dabei spielen, und nicht die letzte. Maltiz, der schöne Reiter, als Sieger im Rennen umjauchzt von der Menge, gefeiert von seinen Standesgenossen, sie auf der Tribüne als seine beneidete Braut, den Triumph mitgenießend – ihre lebhafte Einbildungskraft beschäftigte sich ständig mit diesem farbenprächtigen Bilde und fand darin eine gewisse Befriedigung für so vieles andere, was sie schmerzlich vermißte.

Ein Ueberfall.
Nach einem Gemälde von F. Jimenez.


Da kam vier Tage vor dem Rennen eine für den Grafen schlimme Post. Sein Vater war auf den Tod erkrankt, seine Anwesenheit auf Schloß Kossan dringend nothwendig. Da gab es kein Ausweichen. Starb sein Vater, so war seine eigene Betheiligung am Rennen eine Unmöglichkeit. Für diesen Fall, der bei dem Alter des Grafen und der Art seiner Krankheit der wahrscheinliche war, mußte also Otto den „Helios“ reiten, denn es war Vorschrift, daß der Besitzer selbst, nicht ein Jockey reite. Und damit war der ganze Erfolg in Frage gestellt; Otto konnte sich als Reiter nicht entfernt mit dem Grafen messen, auch war er noch zu unerfahren und hatte den „Helios“ noch nie bestiegen. Der Graf zögerte mit seiner Abreise, allein die Nachrichten wurden immer schlimmer. „Helios“ zurückzuziehen und nicht gehen zu lassen, war unmöglich; nicht nur der hohe Betrag des Reugelds kam dabei in Betracht – was die Hauptsache war: die Wechsel, welche die Freunde in sicherer Erwartung des Sieges noch reichlicher als sonst ausgestellt hatten, liefen kurz nach dem Rennen ab. Es galt also va banque. Otto erhielt von dem Freunde noch die dringendsten Weisungen, dann nahm dieser mit schwerem Herzen, sein Verhängniß ahnend, Abschied von Claire.

Otto freute sich im stillen; er empfand längst Neid gegen Maltiz, der ihn als Sportsmann und Reiter völlig in Schatten stellte. Jetzt war ihm Gelegenheit geboten, seine eigene Meisterschaft zu zeigen und dem thörichten Gerede der Leute, die ihn immer nur als Schüler des Grafen gelten lassen wollten, ein Ende zu machen. Ein „Helios“ trug auch ihn zum Ziele. Er wartete fieberhaft erregt auf die Nachrichten des Grafen; sie kamen und lauteten zu seinem Aerger günstig – der alte Graf schien sich zu erholen. Da plötzlich, am Abend vor dem Rennen, für das Maltiz schon seine Rückkehr in Aussicht gestellt hatte, traf die Todesnachricht ein. Es war entschieden, Otto mußte den „Helios“ reiten.

(Fortsetzung folgt.) 


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 641. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_641.jpg&oldid=- (Version vom 2.1.2023)