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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


„Ich hab’ die kleine Frau Amtmann immer für ein Gänschen gehalten,“ zog sie herzhaft los, „aber für ein so extra dummes doch nicht; gleich so ein Geflenne, als ob’s die größte Neuigkeit für sie wär’, daß ihre Schwestern an der Schwindsucht gestorben sind.“

„Man erinnert aber doch nicht die Kranken an dergleichen!“

„Erst recht!“ rief sie und blieb, die Arme in die Seiten gestemmt, vor dem Doktor stehen. „Du willst sie doch nicht etwa glauben machen, daß sie noch hundert Jahre zu leben hätt’?“

„Aber, Mutter, es liegt doch auf der Hand, daß man die Patienten weder ängstigen noch mit derartigen Erzählungen aufregen darf!“

„Doch! Da bin ich anderer Meinung – grad’ recht angst machen, damit sie sich in acht nehmen! Paß nur auf, die quält ihren Mann heuer nicht, daß er mit ihr auf die Bälle geht, und –“

„Wärst ein ausgezeichneter Arzt, Mutter,“ rief er, in etwas gezwungenem Scherz. „Aber nun wird’s Zeit, Du mußt Dich fein machen. Bitte, geh’ dann voraus – es kann sein, daß ich ein Viertelstübdchen später im Ballsaal erscheine; ich habe noch einen Brief zu schreiben.“

Die Räthin verschwand, und er blieb noch ein Weilchen sitzen. Dann stieg er die Treppe empor und pochte an Tante Riekchens Thür. „Ist Mamsell Unnütz da?“ fragte er in die Dunkelheit hinein.

„Nein!“ klang es zurück.

„Wo ist sie denn?“

„Ja, das mag Gott wissen,“ seufzte Tante Riekchen, „ich sah sie schon seit Dunkelwerden nicht mehr. Sie ist ja so sonderbar; vielleicht grämt sie sich, daß sie nicht auf den Ball gehen darf, aber ich hab’s nicht dazu, nicht einen Dreier kann ich ausgeben für solche Geschichten.“

Und so ein klein wenig hatte Fräulein Riekchen diesmal recht. Julias Gesicht war während des Mittagessens um einen Schein bleicher geworden, gerade als das Dienstmädchen der Frau Räthin kam, um das Fräulein Julchen im Namen ihrer Herrin zu bitten, an dem schwarzseidenen Gesellschaftskleid besagter Dame die Spitzen etwas moderner zu ordnen, und als das Mädchen hinzusetzte. „Sonst war das der Frau Räthin ganz egal, aber weil sie heut’ mit unserem Herrn Doktor geht, will sie besonders fein sein.“

Mamsell Unnütz hatte aufs gewissenhafteste das Gewünschte besorgt und dabei die Schilderung solcher Andersheimer Kasinofeste in den herrlichsten Farben vorgemalt erhalten. Der redseligen Frau kam es gar nicht in den Sinn, daß einem jungen Menschenkind das Herz davon schwer werden könne. Mamsell Unnütz war ihr gar nicht denkbar auf einem Balle; aber dem schlanken Mädchen, das dort so eifrig das alte Spitzenwerk auf der raschelnden Seide befestigte, trieb die Sehnsucht ein paar funkelnde Thränen in die Augen. Ach, es war ihr ja nicht um all den Glanz dort, nur darum, daß er hinging – ohne sie. Ein peinigendes Gefühl überkam sie plötzlich, sie kannte es nicht, sie empfand nur seinen Schmerz und wußte nicht, daß es – Eifersucht hieß.

Mit zitternden Händen beendete sie die Näherei, warf das Kleid hastig über einen Stuhl und lief hinaus. Im Flur blieb sie stehen. Wohin nur gleich mit ihrem Weh? Sie öffnete die Thür, die nach dem Garten führte, und trat unter das kleine Vordach. Der Regen plätscherte hernieder, der Wind bog die Aeste und durch die graue Dämmerung leuchteten ein paar helle Fenster herüber. Ja dort, in der eleganten Villa bei Krautners, da saß auch eine, die nicht glücklich war, die einsam bleiben würde heute abend, während alle anderen sich freuten – einsam und mit der nämlichen Sehnsucht im Herzen wie sie. Und da trieb es sie auf einmal durch den Regen und Sturm zu der Freundin hinüber, die sie mehr und mehr vermieden hatte, seitdem sie des Bruders Braut geworden war. Sie wollte in ein Paar Augen sehen, das auch nicht heiter blickte, sie wollte Therese einmal wieder die Hand drücken.

Sie hatte ihr wollenes Tuch über den Kopf gezogen und war durch die nassen Wege der Gärten geeilt; nun stand sie auf den Mosaikfliesen des erhellten Flurs vor Theresens Thür und pochte.

„Herein!“ klang es fröhlich.

Mamsell Unnütz drückte die Klinke und stand dann auf der Schwelle mit dem Ausdruck eines Kindes, das wahr und wahrhaftig ein Märchen schaut. Strahlend hell war das kleine heimliche Nest erleuchtet, die Flammen der Gaskrone glänzten in den seidenen Falten der Wanddraperien und funkelten wie Hunderte blitzender Sternchen aus dem duftigen blaßblauen silberdurchwirkten Kleide des schönen Mädchens, das sich in heller Lust vor dem großen Spiegel wandte und drehte.

„So tritt doch herein!“ rief Therese, „das Zimmer wird kalt. Aber es ist lieb von Dir, Julchen, Du kannst mir ’mal helfen, das Ding hier ins Haar zu thun.“ Und sie hielt dem Mädchen einen kleinen Brillantstern entgegen, der in allen Farben des Regenbogens strahlte und sprühte. „Gelt, das Ding ist hübsch, Julchen? Denk’ Dir, der Papa hat’s mir heut’ geschenkt.“ Und sie probierte nun selbst, wo das blitzende Schmuckstück sich am besten ausnehmen würde, und steckte es geschickt über der Stirne fest, die von goldenen hochfrisierten Haarwellen umgeben war.

„Gefalle ich Dir?“ fragte sie dann und goß eine Fluth Eau de Cologne über die Hände.

Mamsell Unnütz war an dem kleinen Kamin stehen geblieben und hatte unwillkürlich ihr regenfeuchtes dunkles Kleid an sich gezogen. „O sehr, o sehr!“ antwortete sie, „aber – –“

„Nun – aber?“ fragte Thereschen und begann ihre ellenlangen Handschuhe anzuziehen, während sie die Jungfer hinausschickte, um den Papa zu holen.

„Aber ich dachte – Du – würdest nicht auf den Ball gehen, Therese?“

„Da hast Du eben etwas Falsches gedacht. Warum soll ich nicht gehen? Man lebt nur einmal, und vom Trübsalblasen wird es nicht anders in der Welt.“

„Gewiß nicht; ich bildete mir nur ein, es mache Dir kein Vergnügen.“

Therese wurde einer Antwort überhoben denn Herr Alois Krautner erschien in seiner lebhaften Art und begrüßte sein schönes Töchterlein mit einem lauten „Bravo, bravo, Reschen!“

„Und sieh, Papa, wie herzig das Sternchen da oben flimmert!“ rief sie und wandte ihm das Köpfchen zu.

„Ja, ja! Dafür flimmert’s etwas weniger in meinem Geldbeutel,“ lachte er, und Julia auf die Schulter klopfend, setzte er hinzu. „Einsperren müßt’ man den Alois Krautner wegen seiner Verschwendungssucht, aber was soll man denn machen? Sie will eben alles haben, was Mod’ ist, alles was Mod’ ist – bloß . . . sie bekommt nicht alles, heut’ ist’s mal geglückt, aber immer geht’s nicht so, gell, mein Mäuschen?“

„Ei freilich, Deinen Willen setzt Du durch“ nickte sie, scheinbar schmollend, und als sich der alte Herr umwandte, machte sie eine kleine unartige Geste hinter ihm und lachte wie ein Kobold.

„Dafür bin ich auch der Herr im Hause!“ rief er gut gelaunt. „Aber weißt Du, was ich wollte?“ – und er blieb ganz andächtig vor seiner schönen Tochter stehen – „daß Dich die Mutter sehen könnt’ heut’ abend.“ Und dann zog er das rothseidene riesige Taschentuch, schnaubte sich, daß es wie ein Trompetenstoß in die Ohren der Mädchen dröhnte, steckte das Tuch hastig wieder ein und ging der Thüre zu, indem er pfiff: „So leben wir, so leben wir – –“

„Er ist ganz gerührt,“ sagte Therese und drehte sich vor dem Spiegel; „sitzt eigentlich die Taille gut?“

„Ich glaube ja – gute Nacht, Therese, und viel Vergnügen!“

„Bleib’ doch, der Wagen ist noch nicht da.“

„Ich muß heim; gute Nacht!“

In diesem Augenblick kam die Jungfer und hielt etwas versteckt unter der Schürze. Julia hörte, wie sie leise sagte: „Heut’ sind’s gar zwei Stück auf der Post gewesen, Fräulein Therese,“ und sah, wie die feine behandschuhte Rechte des schönen blonden Mädchens zwei gelbliche Briefe hastig ergriff und sie in ein Kästchen von japanischer Lackarbeit warf, das auf einem kleinen Tischchen aus Bambusstäbchen und Seidenplüsch stand. Julia kannte sie genau, diese Briefe, sie waren von Frieder; er schrieb stets auf dieses theure parfümierte Luxuspapier. Therese hatte ihr den Rücken zugekehrt und wandte sich auch nicht um, als die Freundin das Zimmer verließ; aber Julia sah im Spiegel, daß auf dem schönen Gesicht ein entstellender Ausdruck von Unmuth lag. (Fortsetzung folgt.) 


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 687. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_687.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2023)