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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Sie wollten mir etwas mittheilen,“ nahm Julius endlich das Wort. „Und fast kann ich mir’s denken. Wenn’s wegen meiner Schwester sein sollte, armer Freund, so wäre es besser, Sie sparten sich die Mühe. Das Mädel ist uns längst über den Kopf gewachsen. Es thut mir leid, Röver, ich hätte Ihnen Besseres gewünscht, wirklich! Aber fangen Sie einmal etwas an bei einem widerspenstigen Ding wie die Grete. Nun, zwischen uns, nicht wahr, bleibt es beim alten?“

„Es handelt sich nicht um Ihr Fräulein Schwester; was sollten Sie mir dabei helfen? Ich wollte Sie um etwas anderes bitten.“

„Um so besser, wenn die Grete nichts damit zu schaffen hat. So bleibt doch Hoffnung, daß ich Ihnen dienen kann.“

„Ich wollte Sie bitten, meine Entschuldigung zu übernehmen, weil ich morgen verhindert bin, die ‚Konkordia‘ zu besuchen.“

Die „Konkordia“ war der kaufmännische Verein, dem beide angehörten.

Julius sah seinen Gast verblüfft an. Warum konnte er ihm das nicht im Beisein der Mutter sagen? Was bedurfte es dazu überhaupt seiner Vermittlung? Ein Brief hätte dieselben Dienste gethan. Indessen sagte er artig zu, in der Erwartung, der lästige Gast werde nun gehen. Doch Röver ging nicht. Er nahm eine der hochgeschürzten Statuetten vom Schreibtisch und betrachtete sie angelegentlich. „Ihre Frau Mutter,“ sagte er dabei langsam, „ist eine vortreffliche Frau.“

„Jawohl,“ nickte Julius, der nicht begriff, wo das hinaus wollte.

„Eine Frau von strengen Grundsätzen, die Menschen und Dinge furchtbar ernst nimmt, viel ernster, als man das heutzutage gewohnt ist. Die Ehre ihres Namens ist ihre Religion. Wenn je ein Makel auf diesen Namen fallen sollte – sie ist noch aus einer Zeit, in welcher man an dergleichen starb – ich glaube gewiß und wahrhaftig, das Herz würde ihr brechen –“

Julius trat aufhorchend einen Schritt näher.

„Nun, das ist ja natürlich nur so ein Gedanke,“ fuhr Röver rasch fort. „Sie hat das Glück, mit vollem Vertrauen auf ihre Kinder blicken zu dürfen, auf ihre beiden Kinder.“

„Ja, ja freilich – aber zum Kuckuck, was meinen Sie eigentlich?“

„O, mir fiel nur ein, daß nicht alle Mütter so glücklich sind. Sie kennen den jungen Habermann –“

„Ich?“

„Nun, gewiß. Sprach er nicht vorhin mit Ihnen im Konzertgarten? Ich habe mich doch wohl nicht getäuscht?“

„Ja – es mag wohl sein . . . Was ist’s denn mit ihm?“

„Er ist unter die Spieler gegangen, wie ich höre. Auch soll ihn sein voriger Prinzipal wegen Unterschlagung entlassen haben.“

„Das glaube ich nicht! Davon glaub’ ich kein Wort! Wirklich, ich begreife nicht, wie Sie, Röver, sich zum Sprachrohr für solch ungeheuerliche Beschuldigungen hergeben mögen. Wenn nur die Hälfte von dem richtig wäre, was über Habermann erzählt wird, so würde er ja längst nicht mehr frei herumlaufen. Aber weil er munter ist, sich gern einen guten Tag macht, im Leichtsinn wohl auch einmal über die Schnur haut, dichten die dummen Menschen ihm gleich das Häßlichste an!“

„Ja, das Häßlichste ist eben, daß er einen braven thörichten Jungen mit in seine nichtsnutzigen Streiche verwickelt hat und daß der nun statt seiner die Suppe ausessen muß.“

Julius zerknüllte nervös sein Handtuch zwischen den Händen. „Und ich glaub’s nicht! Nicht eine Silbe von dem ganzen Geschwätz glaub’ ich!“

Röver stand bedächtig auf. „Jedenfalls ist er von allen kaufmännischen Vereinen ausgeschlossen worden, und auf einen bloßen Verdacht hin pflegen die Vorstände dieser Vereine nicht vorzugehen. Doch was ereifern wir uns! In keinem Falle kann es Ihnen schaden, wenn Sie sich vorsehen. Empfehlen Sie mich Ihren Damen!“

In diesem Augenblick näherten sich rasche feste Schritte der Thür, eine Hand klopfte. „Julius, Julius! Bist Du zu Hause?“ Beim Klange der wohlbekannten Stimme verlor Anton Röver all seine Ruhe. „Ich möchte Ihrem Fräulein Schwester ungern begegnen – sie könnte denken, daß ich absichtlich . . . Aber es ist wohl keine Möglichkeit, auszuweichen?“

„Doch, doch!“ erwiderte Julius, froh, seinen unbequemen Besuch endlich loszuwerden. Und den großen Wandschrank in der Tiefe des Zimmers öffnend, drückte er auf eine Feder an dessen Rückwand. Eine schmale Thür sprang auf und einige Treppenstufen wurden sichtbar, die in undurchdringliche Finsterniß hinabzuführen schienen. „Hier über dieses Hintertreppchen können Sie ungesehen entwischen; es mündet auf den Hof. Ja, ja, staunen Sie nur! Unsere Väter sind bei den Füchsen in die Schule gegangen. Kein alter Bau, der nicht seinen Nothausgang hat. Diesen da hab’ ich einmal durch Zufall entdeckt.“

Röver heftete seine schwarzen Augen durchbohrend auf seinen Wirth, dann entfernte er sich mit einer stummen Verbeugung. Erleichtert wandte sich Julius in die Stube zurück, nachdem er den Schrank vorsichtig abgeschlossen hatte.

„Gretchen, ich bin allein – Du kannst hereinkommen!“

„Mit wem sprachst Du denn eben?“ fragte sie eintretend.

„Mit einem armen Sünder, der bei Deinem Nahen in unser Mausloch dort schlüpfte. Grete, Grete, allzuscharf macht schartig! Die hübschen Mädchen sind nicht auf der Welt, damit brave Bursche vor ihnen die Flucht ergreifen.“

„Wenn Du täglich so viel spöttische Blicke auf Dich gerichtet sehen müßtest –“

„Ach was, bei diesen Blicken spielt der Neid die Hauptrolle. Denn Röver ist hübsch, solid, hat eine Zukunft, mit einem Worte – er ist eine Partie.“

„Du wirst nicht müde, mir das zu wiederholen. Nachgerade möchte ich wissen, was denn Dich dieser Herr Röver angeht.“

„Röver – nicht viel; aber mein Schwesterchen geht mich etwas an. Du machst Dich unbeliebt durch Dein schroffes Wesen und entfremdest Dir die Leute, auf die Du doch auch angewiesen bist.“

„So, thue ich das? Nun, es wäre gewiß schön, wenn man immer aufrichtig und höflich zugleich sein könnte. Aber mir ist diese Gabe nun einmal nicht zu theil geworden –“

„Der Mensch kann alles, was er will, Grete,“ entgegnete Julius streng und mit Nachdruck, und zum Beweis für seinen pathetischen Ausspruch raffte er den Rest seines Monatsgehaltes zusammen, steckte ihn in seine Geldtasche und setzte den Hut auf. „Ueberlege Dir, was ich gesagt habe, und entschuldige mich bei der Mutter, ich habe eine Verabredung für den Abend. Und, höre, Du könntest wohl die Thür hier etwas einölen. Es ist nur, damit ich die Mutter nicht aufwecke, falls ich etwas später als gewöhnlich heimkommen sollte.“ Damit ging er.

Sein nächstes Ziel war die Dachingersche Weinstube. Habermann und zwei andere erwarteten ihn dort, um ein kleines Tischchen am Fenster sitzend. Es war ein sehr geschniegelter Bursch, der Fritz Habermann, und wenn auch alles in seinem Gesicht schief stand, Augen, Nase, Mund und Ohren, so sah er deswegen nur um so pfiffiger aus. Auch an „Schneid“ fehlte es ihm nicht; wenigstens führte er, die Ellbogen auf dem Tische, augenblicklich eine so laute Unterhaltung, daß die übrigen Gäste ärgerlich zu ihm herübersahen und Julius, dem jedes Auffallen zuwider war, einen Augenblick zögerte, sich zu ihm zu bekennen. Doch Habermann hatte ihn schon erspäht und winkte ihn heran.

„Gut, daß Sie endlich kommen! ’s ist zu öde zwischen den Kaffern hier! Müssen heute noch ’was Putzlustiges unternehmen. Und nun rücken wir aus, was?“

Meermann war’s zufrieden, schon um aus den Augen der ehrbaren Bürger zu kommen, von denen viele ihn kannten.

So traten sie ihre Wanderung an, und es wäre für einen Unbetheiligten merkwürdig gewesen, zu sehen, wie allgemach, Stufe um Stufe und ohne daß einer von ihnen eine bestimmte Absicht verfolgte, die Kneipen, die sie betraten, ärmlicher, abgelegener, zweifelhafter wurden. Endlich strebte die kleine Gesellschaft lärmend einer schmutzigen Spelunke zu, in welcher diese Vergnügungen für sie mit einem „harmlosen Spielchen“ zu endigen pflegten. Ehe aber das Ziel erreicht war, zog Meermann seinen Freund Habermann beiseite.

„Sie wissen, ich bin Ihr Schuldner. Und heute nachmittag schienen Sie’s eilig zu haben mit der Rückzahlung. Ich habe mitgebracht, was ich noch besitze, hier, nehmen Sie! Den Rest erhalten Sie am Ersten des nächsten Monats. Rechnen wir also ab!“

Aber Habermann schwenkte seinen linken Arm, der kürzer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_728.jpg&oldid=- (Version vom 3.4.2023)