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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Da trat Mamsell Unnütz ihnen in den Weg. „Nehmt auch meinen Segenswunsch,“ sagte sie bittend, und ihre Hand streckte sich nach der seinen aus und dann nach der seiner jungen Frau. Zögernd berührte Therese die dargebotene Rechte, dann rieselte die spitzenbesetzte lange Schleppe über die Schwelle der Krankenstube. Und still, unheimlich still ward es in dem Hause, denn die Feier der Hochzeit fand in der „Goldenen Traube“ statt, und selbst die Dienstleute waren dort, um zu helfen oder zuzuschauen.

Julia saß am Bette der Tante. Langsam, langsam ward es später Abend; der Vollmond stieg auf hinter den hohen Bäumen. Die Kranke schlief, und noch immer war niemand daheim.

Julia erhob sich; sie schritt durch den Flur und sah nach, ob die vordere Hausthür verschlossen sei. Man wollte durch den Garten heimkehren, die Thür dorthin war weit geöffnet; ein Streifen Mondlicht fiel auf die Marmorfliesen und beleuchtete deutlich die Blumen, die man heute früh auf die Schwelle gestreut hatte. Sie trat unter die Thür und athmete die duftende Luft ein – die war schwül wie vor heranziehendem Gewitter; jenseit des Rheins zuckten rasch hintereinander grelle Blitze auf, die Nachtigallen aber schlugen überlaut in den Gärten.

Dann klang drüben die kleine eiserne Pforte, und Julia sah etwas Lichtes, Weißes kommen, zart wie ein wehender Elfenschleier – das junge Paar kehrte heim.

Zitternd floh sie über den Flur in das Krankenzimmer und setzte sich wieder ans Bett der Schlummernden. Wie ihr die Stunden verrannen, wußte sie nicht – schauernd vor Kälte, den schmerzenden Kopf auf dem Bett zu Füßen der alten Frau, so fand sie sich am anderen Morgen.

Welch eine bleierne Schwere in allen Gliedern und welch ein bedrückendes Angstgefühl in der Brust – was war denn geschehen?

Sie richtete sich empor und griff an die hämmernde Schläfe, da fiel ihr Blick auf einen kleinen Myrthenzweig, der vor dem Bette der Kranken lag; er mochte sich von dem Brautschmuck gelöst haben, als Therese dort kniete.

Ach ja, sie waren Mann und Weib!


Zwei Jahre sind vergangen.

Fräulein Riekchen Trautmann hatte sich als eine kräftige Natur erwiesen; sie sprach wieder, war bei völliger Verstandesklarheit, aber freilich, gelähmt war sie geblieben. Julia mußte sie ankleiden und besorgen wie ein kleines Kind.

„Sie thut alles so gewissenhaft,“ sagte das alte Fräulein zu ihrem Neffen, „aber so starr und still wie ein Sklave – kein Zug von Freundlichkeit, keine Spur von dem, was doch das wahre Labsal für so einen armen Lazarus ist wie ich. Von Liebe – –"

Es war an einem heißen Tage zu Anfang August, als sie so klagte.

Der junge Arzt, eben von seinen Besuchen heimgekehrt, sah sie groß an, als müsse er seine Gedanken erst von weit herholen. „Du willst Liebe ernten, Tante, und hast doch in diesem Herzen keine Liebe gesät,“ sagte er ruhig. Ueber das verfallene Antlitz vor ihm flammte eine helle Röthe. „Nun und Ihr habt Nachricht vom Frieder?“ lenkte er ab, „ich hörte es von meiner Mutter, welcher Therese diese Neuigkeit mittheilte. Geht’s ihm gut?“

„Gottlob, ja! Willst Du den Brief nicht mit hinaufnehmen? Er ist ganz interessant; vielleicht liest ihn auch Therese gern. Aber nun geh’ – sie erwartet Dich gewiß bereits zum Frühstück. Hast Du Deinen Buben heut’ schon gesehen?“

„Ja!“ sagte er, und ein Leuchten ging über sein Gesicht. „Frau Doris spaziert mit ihm im Garten.“ Er nahm das Schreiben, das auf dem Tischchen lag, mehr aus Höflichkeit als aus Neugier, und verabschiedete sich. Nachdem er sich rasch umgekleidet hatte, trat er in das Boudoir seiner Frau; sie war nicht da – nun wußte er sie sicher im Toilettezimmer. Richtig! Therese hatte von ihrem Papa ein neues Kostüm bekommen, das wie geschaffen zu einem Reisekleid war, und probierte es an. Sie wandte ihm lächelnd ihr rosiges Gesicht zu.

Vom Spaziergang des Fürsten Bismarck: Eine photographische Breitseite.
Zeichnung von C. W. Allers.
Aus dem Prachtwerk „Fürst von Bismarck in Friedrichsruh“.

„Nun, wie geht’s Deinen beiden Lebensgefährlichen?“ rief sie, „erlauben sie uns abzureisen?“

„Ich kann Dir heute noch keinen bestimmten Bescheid geben, Schatz,“ antwortete er und betrachtete sie entzückt in ihrem kleidsamen Anzug. „Auf ein paar Tage kommt’s ja doch nicht an, wie?“

„O, bitte sehr! Da merkt man, daß Du noch nie gereist bist,“ erwiderte sie rasch. „und ob es darauf ankommt! Jetzt ist die große Saison in Ostende – ein paar Wochen später und wir sind mit unserem dreiwöchigen Aufenthalt in die Septembertage gerathen, und, weißt Du, im September, da gehen alle die hin, die billig leben wollen, aber kein einziger Mensch von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 776. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_776.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)