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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Bekanntlich enthalten manche dieser Depilatorien, wie das orientalische Rusma, das giftige Schwefelarsen, von ihrem Gebrauch ist daher dringend abzurathen.

Ein anderes Mittel besteht darin, daß man die Haare vermittelst einer Haarpincette oder – klebender Pechflaster ausreißt. Doch sogar das mit Schmerzen ausgerissene Haar wächst nach einiger Zeit nach.

Erst der Neuzeit blieb es vorbehalten, ein Mittel zur dauernden Entfernung lästigen Haarwuchses zu erfinden, das bei seiner Anwendung keine Narben zurückläßt. Allerdings geschah die Erfindung zuerst nicht in der Absicht, das schöne Geschlecht schöner zu machen, sondern um den Menschen in einem ernsten Leiden zu helfen.

Die Wimperhaare pflegen mitunter in fehlerhafter Richtung zu wachsen, sie üben dann einen fortwährenden Reiz auf das Auge aus, führen zu Augenentzündungen und selbst zu Verletzungen der Hornhaut, die für das Augenlicht gefährlich werden können. Reißt man ein solches Wimperhaar aus, so wächst es von neuem und ruft wieder die alten Beschwerden hervor. Die Aerzte waren darum von jeher bemüht, die Wimperhaare, wo es anging, durch Operationen in eine richtige Lage zu bringen oder auch sie dauernd zu beseitigen durch Zerstörung der Haarpapille. Das war auf verschiedene Art möglich, allein nach den Eingriffen blieb stets eine lästige Narbe zurück. Da wandte Dr. Michel in St. Louis im Jahre 1879 die Elektrolyse zuerst und mit Erfolg zur dauernden Beseitigung fehlerhaft gewachsener Wimperhaare an. Die Methode wurde zunächst unter den Augenärzten bekannt, nach und nach aber fand man heraus, daß sie sich ebenso dazu eigne, andere Haare, die an unrechtem Ort sich hervorwagten, zu entfernen, da bei ihrer Anwendung keine Narben an den enthaarten Stellen entstehen.

Die Elektrolyse, die man in Amerika, Deutschland und Frankreich mit Erfolg benutzt, wird derart ausgeführt, daß man den konstanten elektrischen Strom vermittelst einer Nadel auf die Haarpapille einwirken läßt. Der Strom ruft in den Geweben unter Entwicklung von Wasserstoff eine chemische Zersetzung hervor, durch welche die Haarpapille zerstört und das Haar ein für allemal beseitigt wird, so daß es nicht mehr nachwachsen kann.

Die Operation selbst geschieht in folgender Weise. Vor uns steht eine galvanische Batterie, die Patientin hält das mit dem positiven Pol verbundene Drahtende in der Hand, am Drahte des negativen Pols ist eine Stahlnadel befestigt. Der Operateur tritt vor die Patientin, in der linken Hand eine Haarpincette, mit welcher er das zu beseitigende Haar erfaßt und ein wenig vorzieht. In der rechten Hand hält er die Nadel, die er dicht am Haare in die Haut einsticht, bis er die Haarpapille erreicht hat. Dann wird der elektrische Strom geschlossen, und man läßt ihn etwa 15 bis 20 Sekunden einwirken. Nachdem die Nadel herausgezogen worden ist, wird das Haar mit der Pincette herausgehoben. Ist die Haarpapille wirklich zerstört, also die Operation gelungen, so läßt sich das Haar ohne merklichen Kraftaufwand leicht entfernen. Sitzt es noch fest, so ist das ein Zeichen, daß die Haarpapille nicht erreicht wurde und die Operation noch einmal vorgenommen werden muß. Die Sache ist natürlich nicht schmerzlos und nicht eben bequem. Die Operation ist eine langwierige, denn es können in einer Sitzung nur verhältnißmäßig wenig Haare, etwa 20 bis 30, beseitigt werden. Die Hand des Operateurs ermüdet und auch sein Geist wird bei dieser Arbeit abgespannt, andererseits wollen die Patientinnen meist zunächst das Schwinden der unausbleiblichen Hautröthung abwarten, bevor sie sich weiter operieren lassen.

Die dauernde Beseitigung der Haare auf elektrolytischem Wege ist somit nicht so einfach, sie erfordert Geschick und Geduld, ist eine Miniaturarbeit in vollem Sinne des Wortes. Sie erfordert auch so viel Sachkenntniß, daß sie nur vom Spezialarzte ausgeführt werden kann. C. F.     


Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Gretchens Liebhaber.

Erzählung von Luise Westkirch.

 (Schluß.)

Die Zeit rieselte hernieder über Anton Rövers Vergangenheit, gleichmäßig, Tag um Tag, Woche um Woche, sein Leid wie seine Liebe vergrabend und verschüttend unter ihrer grauen Asche. Es ward ruhig in ihm, und er hütete sich wohl, an die verhüllende Decke zu rühren. Er mied Gretchens Wege, und sie kreuzte die seinigen nicht. So vergingen fast zwei Jahre, bevor er sie wiedersah.

An einem Sonntag gegen Dunkelwerden war es, auf dem Schützenplatz, wo ein Ballfest stattfand. Begleitet von Mutter und Bruder schritt sie selbstbewußt einher, im knappen hellen Kleide, und die Augen der Burschen folgten ihr, wo sie vorüberging. Auch Anton Röver sah ihr nach, in düsteres Sinnen verloren. Wußte sie um das Verbrechen ihres Bruders? – Er hatte während der zwei letzten Jahre in seinem Beruf soviel Verderbtheit kennengelernt, seine Meinung von den Menschen war so herabgedrückt worden, daß er, vollends in dem nie ganz überwundenen Groll, der sein Herz gegen Grete erfüllte, ihr Wissen um das Verbrechen des Bruders für wohl möglich hielt. Konnte die ganze Sache nicht ein abgekartetes Spiel zwischen ihr und dem geliebten Bruder sein – sie rief ihn ans Telephon und gab die Gelegenheit, er nützte dieselbe! Den Kassierer hatte sie immer gehaßt – was kümmerte es sie, daß er das Opfer wurde?

In einem der vornehmsten Schützenzelte, zu dem nur eingeladene Gäste Zutritt hatten, verschwanden die Drei; Röver ging ihnen nach und stellte sich an den Eingang des hellerleuchteten Raumes. Mit finsteren Blicken beobachtete er das Geschwisterpaar, aber so sehr er sich sträubte, sich einen weichherzigen Thoren schalt – sein Argwohn auch gegen die Schwester wollte nicht stand halten. Geradezu erquickend berührte ihn die gute trotzige Ehrlichkeit in Gretens Mienen, das kernhafte Selbstbewußtsein in der Haltung ihres Köpfchens, in den raschen knappen Bewegungen, der bestimmten Sprache. Nein, sie war keines Betruges fähig – sie konnte unmöglich auch nur Nachsicht üben gegen ein Verbrechen, sie, die jede Nachsicht für sich zurückzuweisen schien.

Und vor dieser Erkenntniß fühlte er seinen Haß gegen sie hinschmelzen in heißem Mitleid. Welche Qual, wenn sie des Bruders Schuld und Schande erfuhr – sie mit ihrem unbestechlichen Rechtsgefühl; wenn sie erfuhr, wie tief sie selbst sich an einem Unschuldigen versündigt hatte!

In diesem Augenblick wandte sich Grete mit einer raschen Bewegung dem Eingang zu, und ihre Blicke begegneten für eine Sekunde denjenigen Rövers, der im Bemühen, ihre Gestalt nicht aus den Augen zu verlieren, weiter vorgetreten war. Zusammenzuckend wandte sich Grete zu ihrem Bruder, der eben auf sie zukam.

„Sieh doch, Julius, der Röver! Der untersteht sich, hierher zu kommen!“

„O, der darf jetzt überall hinkommen, von Amtswegen. Er gehört zur geheimen Polizei.“

„Zur Polizei? Das ist hübsch! Erst selbst betrügen, dann andere ans Messer liefern!“

Es war Julius nicht angenehm, an Röver erinnert zu werden. aber er unterdrückte sein Unbehagen. „Wie hart Du wieder urtheilst, Schwesterchen! Bedenke doch die Macht der Versuchung und daß nicht jeder sich eines Vaters und einer Mutter rühmen darf, wie sie uns beiden geworden sind.“

Er sagte das mit leiser Stimme – er redete jetzt immer leise – aber doch so laut, daß Frau Meermann, die breit und kerzengerade hinter ihnen auf einem Stuhle saß, den letzten Satz hören konnte, und der Weihrauch zog ihr gar lieblich in die Nase, obgleich sie sich nichts merken ließ.

Das Verhältniß zwischen ihr und Julius war seit einiger Zeit besonders innig geworden. Ihr Sohn wuchs sich aber auch täglich mehr zu einem Mustermenschen aus. Hatte er vordem leichtsinnig ausgeplappert, was ihm die Seele bewegte, so wurden nunmehr seine Reden, sein ganzes Wesen von Tag zu Tag gesetzter und überlegter, der Inhalt dessen, was er sagte, immer mehr der Ausdruck eines edlen vortrefflichen Gemüths.

So schien es wenigstens der Mutter. Wenn sie aber in die Brust dieses „Mustersohnes“, wie sie ihn nannte, hätte schauen können, sie würde sich entsetzt haben vor der berechnenden Verderbtheit, die hier wohnte. Julius Meermann sagte sich, um sich dauernd zu sichern, müsse er vor den Augen der Menschen dastehen als einer, dem man „das“ auch nicht im entferntesten zutraute. „Das“! Es war ihm nichts bewiesen, er hatte nicht einmal in Verdacht gestanden; es war Gras über die Geschichte gewachsen, die Menschen dachten an anderes; zwischen ihm und Habermann rauschte das Weltmeer, er selbst war ein strebsamer, junger Kaufmann, der Liebling seines Chefs, das angestaunte und beneidete Vorbild seiner Freunde. Dennoch war „das“ nicht gestorben, nicht einmal eingeschlummert, vielmehr unheimlich lebendig. Es saß ihm im Herzen und grub und bohrte, es schaute ihm über die Schulter höhnisch in seine Bücher, es war sein unzertrennlicher Gefährte bei Tag und Nacht. Langsam wühlend, hatte es ihn von Innen heraus umgemodelt, einen völlig anderen Menschen aus ihm gemacht. Und nun kam er sich vor wie eine Doppelexistenz, ihm war, als stecke sein eigentliches Ich mit dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 786. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_786.jpg&oldid=- (Version vom 28.4.2023)