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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

uns dem Boden schon bis auf 400 Meter genähert. Wenn wir also kein unfreiwilliges Bad nehmen wollen, müssen wir Sand auswerfen. Wir thun es, zuerst 5 Kilogramm – keine Wirkung; nochmals 5 Kilogramm – wieder umsonst! Endlich nach weiterer Verausgabung von 15 Kilogramm bleibt das Barometer stehen, auch unsere treulosen Verräther, die Papierstreifen, strecken sich, ein ganz schwacher Luftzug macht von oben sich bemerkbar: wir steigen! Wir erreichen unsere vorige Höhe von 800 Metern und gehen noch weitere 200 Meter darüber hinaus. In einer Höhe von 1000 Metern über dem Boden treiben wir über den Strom und haben bei dem günstigen Winde bald das andere Ufer erreicht. Was war nun geschehen?

Alle kühlen Stellen der Erdoberfläche, wie feuchte Wälder, sumpfige Strecken, Flüsse, Seen u. s. w., erniedrigen auch die Temperatur der darüber befindlichen Luft. Die dadurch schwer gewordene Luftschicht sinkt nach abwärts, von oben strömen neue noch warme Luftmassen hinzu, welche das gleiche Schicksal erleiden. So entsteht über den genannten Geländestrecken eine starke Luftströmung, welche von oben gegen die Wasserfläche gerichtet ist. In einen solchen Wirbel ist auch unser Ballon gerathen, und wir verstehen jetzt, warum die Papierstreifen nicht nach aufwärts geflattert sind, wie sie es doch bei einem Fallen des Ballons thun sollten. Der Ballon ist eben mit der gesammten, ihn umgebenden Luftmasse nach abwärts gezogen worden, hat also zu dieser selbst seinen Ort nicht verändert.

Je größer nun die abkühlende Fläche oder auch je geringer die Geschwindigkeit der darüber hintreibenden Luft ist, in desto größere Höhen hinauf machen sich jene Wirbel bemerkbar. Hätten wir uns in einer Höhe von etwa 1000 Metern dem Flusse genähert oder hätten wir noch stärkeren Wind gehabt, so hätten wir wohl gar nichts von der Anziehungskraft des Stromes bemerkt. Sollten wir nun wieder in den Bereich einer derartigen Fläche kommen, so werden wir unsere Augen unverwandt auf das Barometer richten, um sofort einem Fallen des Ballons entgegenwirken zu können. Vorläufig haben wir aber weder große Waldstrecken noch ausgedehntere Gewässer zu befürchten.

Wir treiben auf das industriereiche M. zu. Schon tönt deutlich das Getöse des lebendigen Verkehrs zu uns herauf; grell von der Sonne beschienen liegen die Häuser und Fabriken zu unseren Füßen, wie Ameisen wimmeln die Tausende von Fußgängern auf Straßen und Plätzen. Doch kaum befinden wir uns über der eigentlichen Stadt, so nimmt unsere bisher ziemlich rasche Vorwärtsbewegung auf einmal sehr merklich ab. Es vergeht geraume Zeit, bis wir über eine Straße oder Häusergruppe hinweggekrochen sind. Als wollten sie ihr früheres Versehen wieder gut machen, flattern die Papierstreifen lustig immer höher und höher: eine recht angenehme Aussicht, inmitten einer zahlreichen Menschenmenge zu landen, ganz abgesehen von den vielen Telephon- und Telegraphendrähten, welche die Stadt nach allen Richtungen überziehen! Allein die Streifen täuschen uns zum zweiten Male, denn ein Blick auf das Barometer belehrt uns, daß wir ganz langsam, aber stetig steigen.

Diese Erscheinung hat nun folgenden Grund. Die Sonne, welche auf die zahllosen Dächer, auf die kahlen Straßen und Plätze hinabbrennt, erzeugt einen warmen und ziemlich heftigen Luftstrom nach aufwärts, und dieser stört die herrschende Windrichtung. Hätten wir nur die seitlichen Ränder der aufsteigenden Luftsäule berührt, so wären wir um dieselbe wie um einen Brückenpfeiler herumgetrieben worden; da wir aber gerade auf die Mitte der Säule zu hielten, so sind wir in das Innere derselben gelangt, und mit unserer Vorwärtsbewegung war es allmählich vorbei. Nur etwas nach aufwärts werden wir gehoben; da der Ballon dieser Bewegung weniger rasch nachkommt als die leichten Papierstreifen, so flattern uns dieselben voraus, mithin die gleiche Erscheinung, als wenn wir fallen würden.

Wir müssen trachten, uns dem Banne dieses großen Ofens zu entziehen. Wie leicht einzusehen, bleibt hierzu kein anderer Weg als nach oben hinaus. Wir werfen also so lange Ballast aus, bis wir in eine Höhe gelangen, in welcher sich der aufsteigende Luftstrom entsprechend abgekühlt hat, mithin die allgemeine Windrichtung wieder die Oberhand bekommt. Durch Verausgabung von 25 Kilogramm Sand gelingt unser Plan. Bei einer Höhe von 1300 Metern zeigt uns ein Blick auf die Erde, daß wir schneller und schneller über die Stadt hinwegtreiben und dieselbe bald hinter uns lassen.

Von unserer einsamen Höhe herab können wir schon nicht mehr unterscheiden, was auf dem Boden Hügel und Thal, was Ebene ist. Die ganze Gegend ist platt wie ein Brett, und nichts läßt die lachende Hügellandschaft mit dem reizenden tief eingeschnittenen Bachthal ahnen, welche uns schon manchen genußreichen Ausflug geboten hat.

Doch nicht lange bleiben wir einsam auf unserer Fahrt, es kommt Gesellschaft. Wir nähern uns dem eben genannten Thälchen. Ueber demselben ist eine mächtige Haufenwolke eben in der Bildung begriffen, und wenn wir so weiterfahren, treiben wir mitten in sie hinein. Das hätte ja weiter nichts zu sagen, denn so massig sie aus der Entfernung aussieht, so luftig und gehaltlos nimmt sie sich in ihrem Inneren aus. Allein in ihrem Inneren treiben starke Luftwirbel ihr Spiel, und diese werden oft so heftig, daß sich die Ballonfahrer fest in dem Korbe anklammern müssen, um nicht zu unsanft umhergeschleudert zu werden. Dazu würde der Ballon innerhalb der Wolke eine starke Abkühlung erleiden, und das Ende vom Liede wäre, daß wir der Mutter Erde sehr nahe kommen würden und nur durch abermalige Verausgabung einer erheblichen Menge des so werthvollen Sandes wieder höhere Regionen erreichen könnten.

In Anbetracht aller dieser Umstände verzichten wir auf eine nähere Besichtigung der immer näher kommenden Haufenwolke; durch Auswerfen von 5 Kilogramm Sand erheben wir uns über dieselbe, ohne in eine weitere Berührung mit ihr zu kommen; sie scheint unter uns weg zu treiben, während gleichzeitig der Ballon auf einmal mehr nach Norden umbiegt, eine Richtungsänderung, welche wir deutlich an dem Wege des Ballonschattens auf der Erde wahrnehmen können. Es ist kein Zweifel, wir sind in eine Luftschicht eingetreten, welche in einer anderen Richtung als die eben verlassene dahinströmt. Diese Erscheinung kann fast bei jeder Ballonfahrt beobachtet werden.

Das Barometer zeigt jetzt 1700 Meter Höhe.

In das eigentliche Gebiet der oberen Luftschicht sind wir noch nicht gelangt; denn ein Blick nach Norden lehrt uns, daß die dort befindliche, weit ausgedehnte Wolkendecke, von uns aus gesehen, sich mehr nach links hin bewegt und daß wir dieselbe bald über uns haben werden. Sobald dieser Fall eingetreten ist, müssen wir uns auf ein Sinken des Ballons gefaßt machen, da wir dadurch die Sonne verlieren werden und der Ballon sich abkühlen muß. Kaum beginnt auch die Sonne unseren Blicken zu entschwinden, so flattern schon die Papierstreifen lustig in die Höhe, Ohrendruck stellt sich ein, das Barometer verläßt die Marke 1700 Meter. Wir müssen 12 Kilogramm Ballast auswerfen, um dem Fallen Einhalt zu thun; auf 1900 Meter kommen wir ins Gleichgewicht. Wir sind nun kaum mehr als 200 Meter von dem unteren Wolkenrand entfernt. Da! ein leichtes Klatschen und Trommeln über unseren Köpfen! Es sind Regentropfen, welche auf die straffgespannte Hülle fallen. Wenn wir noch lange zögern, so wird unser Ballon bald so von Wasser beschwert sein, daß der noch vorhandene Ballast nicht mehr ausreichen wird, uns in der Höhe zu erhalten. Also Sand hinaus!

Wir wollen versuchen, durch die Wolkendecke nach oben durchzudringen. 8 Kilogramm sind bereits ausgeworfen, schon umgeben uns leichte Schleier, fast wie Rauch. Jetzt wird der Nebel dichter und dichter, und bald ist es um uns wie an einem nebligen Novembermorgen in den Straßen der Stadt. Nicht einmal die Leinen, welche in einer Entfernung von 8 Metern vom Netze herabhängen, sind noch zu sehen. Es wird merklich kühler; also aufgepaßt, um einem erneuten Fallen des Ballons sofort entgegen treten zu können! Richtig! Wir sind noch keine Minute in der Wolke, und schon flattern unsere Papierstreifen nach aufwärts. Wir werfen 10 Kilogramm Sand hinaus, die Streifen senken sich und werden wieder ruhig. Noch einmal machen sie Miene, zu uns herauf zu kommen, doch mit einem weiteren Opfer von 5 Kilogramm lassen sie sich beschwichtigen. Nun scheint es heller um uns zu werden. In der That, der Nebel wird lichter; schon sehen wir den blauen Himmel über uns, wir selbst befinden uns aber noch in einem tief eingeschnittenen Thale der Wolkenmasse. Immer höher steigen wir. Jetzt begrüßt uns die Sonne von neuem. Welch ein Anblick! Soweit das Auge reicht, ein weites weites silberglänzendes Meer in majestätischer Ruhe, nur hie und da von kleinen dunkleren Inseln unterbrochen, scharf begrenzt am Horizont durch den tiefblauen, wolkenlosen Himmel, über uns die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 858. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_858.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2024)