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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Jener Vortrag im Physikalischen Verein zu Frankfurt am 26. Oktober 1861 war die erste Gelegenheit, bei welcher Reis mit seinem Telephon an die Oeffentlichkeit trat. Der Empfänger befand sich im Hörsaal des Vereins, der Sender in einer Entfernung von etwa 100 Metern im benachbarten Bürgerhospital, dessen Fenster und Thüren geschlossen waren. Obgleich an der ursprünglichen Gestalt des Apparates, wie ich sie oben beschrieben habe, wenig verändert oder verbessert war, so erregten doch die musikalischen Leistungen desselben das Erstaunen und die Bewunderung der zahlreich versammelten Zuhörerschaft.

Kurz darauf wurden in Reis’ Wohnung zu Friedrichsdorf in Gegenwart des Professors J. Müller aus Freiburg i. B., des Professors Schenk, des Musiklehrers H. F. Peter und des Apothekers Müller interessante Sprechversuche mit dem Telephon angestellt, worüber folgende Mittheilungen vorliegen: der Schwager des Erfinders, Philipp Schmidt, begab sich an den entfernten Sender und sprach verschiedene Sätze aus Spieß’ Turnbuch in den Apparat, welche Reis, der am Empfänger horchte, den Anwesenden wörtlich wiederholte. Da Peter meinte, die Bekanntschaft mit dem Buche sei es, welche Reis das Verständnis der in den Sender gesprochenen Worte erleichtere, so begab er sich selbst an den Sender und rief absichtlich einige sinnlose Sätze hinein, z. B.: „Die Sonne ist von Kupfer“; Reis verstand: „Die Sonne ist von Zucker“; ferner: „Das Pferd frißt keinen Gurkensalat“; Reis verstand und wiederholte: „Das Pferd frißt …“ Trotz dieser Unvollkommenheiten war das Erstaunen der Anwesenden groß, und kein geringeres Aufsehen erregte der am 11. Mai 1862 im Freien deutschen Hochstift vor einer zahlreichen Versammlung gehaltene und von Versuchen begleitete Vortrag, worin Reis den Ursprung und die Entwicklung seiner Telephon-Idee in klarer und gedrängter Form darlegte. Als Zeichen der Anerkennung seiner glänzenden Erfindung wurde er kurz darauf zum Ehrenmitglied des Hochstifts ernannt.

Ermuthigt durch die lebhafte Theilnahme, mit der Fachmänner und Laien seine Erfindung begrüßten, sandte Reis eine zweite Abhandlung, diesmal über das Telephon, an Professor Poggendorff. Aber ungeachtet der brieflichen Empfehlung der Professoren Böttger in Frankfurt und J. Müller in Freiburg wurde die Aufnahme auch dieser Arbeit in die „Annalen der Physik“ abgelehnt, wodurch sich Philipp Reis mehr als je gekränkt fühlte. Was ihn aber früher daniedergedrückt hatte, das spornte ihn jetzt zu erhöhtem Eifer an; er wollte der Welt zeigen, wie wenig er eine solche Kränkung verdient habe. Eine Verbesserung folgte der anderen; das Ziel dabei war hauptsächlich die Verstärkung des Tons und die bequemere Handhabung des Instrumentes. Den Abschluß bildete die im Jahre 1863 aus der mechanischen Werkstätte von W. Albert und Sohn hervorgegangene Konstruktion, welche auch in der „Gartenlaube“, Jahrgang 1863, Nr. 51 beschrieben und abgebildet ist. Am 6. September 1863 zeigte Dr. Otto Volger das Telephon dem zur Zeit des Fürstenkongresses in Frankfurt anwesenden Kaiser von Oesterreich und dem König Maximilian von Bayern, als diese das Goethehaus besuchten.

Die ehrenvollste Anerkennung erlebte der Erfinder in der deutschen Naturforscherversammlung zu Gießen am 21. September 1864, wo er in der physikalischen Sektion sein Telephon selbst vorzeigte und erklärte. Hier waren es die versammelten Spitzen der Wissenschaft, Physiker ersten Ranges, welche seinem Vortrag mit gespannter Aufmerksamkeit folgten und den Probeleistungen des Apparates volle Bewunderung zollten, Männer wie Helmholtz, Weber, Poggendorff, Wiedemann, Quincke und noch viele andere. Die bescheidene Weise, in welcher Reis von seinen Untersuchungen sprach, erwarb ihm sofort das Wohlwollen aller Zuhörer. Daß damals nicht nur musikalische Töne, sondern auch gesungene und auf gewöhnliche Weise gesprochene Laute verstanden worden sind, wird von mehreren der Anwesenden, so von Quincke in einem an Thompson gerichteten Schreiben vom 10. März 1883, bestätigt, „Ich horchte,“ so erzählt jener, „an dem Resonanzkästchen und hörte sowohl Singen als Sprechen. Ich erinnere mich ganz bestimmt, die Worte des deutschen Liedes ‚Ach! du lieber Augustin, alles ist hin!‘ gehört zu haben.“[1] Die Mitglieder der Versammlung waren freudig erstaunt und beglückwünschten aufs herzlichste Herrn Reis zu dem Erfolg seiner Untersuchungen in der Telephonie.

Nach seinem so beifällig angenommenen Vortrag wurde Reis, wie Thompson nach Mittheilungen von Augenzeugen berichtet, die Genugtuung zu theil, daß ihn Poggendorff persönlich um Einsendung einer Abhandlung über das Telephon für die „Annalen der Physik“ ersuchte. Diesmal aber war es Reis, welcher, der wiederholten Kränkung durch Poggendorff eingedenk, in höflichster Form ablehnte.

Von jetzt an wurde das Telephon nach allen Richtungen der Windrose versendet, so daß es bald in den physikalischen Kabinetten der meisten Städte anzutreffen war. Aber an eine praktische Verwerthung desselben im Sinne eines geregelten Fernsprechverkehrs war, solange die Uebermittlung der menschlichen Sprache sich nur auf kurze Sätze und geringe Entfernungen beschränkte, nicht zu denken. Es war daher für Reis eine bittere Enttänschung, wahrnehmen zu müssen, wie die allgemeine Theilnahme für die Erfindung nicht allein in der Laienwelt, sondern selbst in wissenschaftlichen Kreisen allmählich ermattete. Er verlor die freudige Schaffenskraft und arbeitete nur noch wenig an der Vervollkommnung des Telephons. Seine letzten Arbeiten in dieser Richtung zu Anfang der siebziger Jahre hatten das Ziel, die Töne eines Musikinstruments, z. B. eines Klaviers, auf elektrischem Wege fortzupflanzen. Er mußte jedoch diese Idee wieder fallen lassen, als sich die ersten Anzeichen eines Lungenleidens einstellten. Die Leitungsdrähte um das Wohnhaus und die Klemmschrauben dicht am Klavier, welche mir im August 1891 von seiner Witwe gezeigt wurden, rühren noch von diesem letzten Versuch her. Im Dezember 1873 warf die Lungenschwindsucht Philipp Reis auf das Krankenlager, von dem er sich nicht mehr erheben sollte, und am 14. Januar 1874 erlag er, 40 Jahre alt, der schleichenden Krankheit. Das sehnlichst erstrebte Ziel, sein Telephon im Dienste der Menschheit praktisch verwendet zu sehen, hatte er nicht mehr erreicht. Ihm selbst sollte dieses Glück nicht beschieden sein.

Seinem forschenden Geiste scheint eines verhüllt geblieben zu sein: der Gedanke, daß die Uebermittlung von Tönen und Worten in ihrer ungetrübten Reinheit, Fülle und Klangfarbe auf elektrischem Wege nur durch stetige, den Verdichtungen und Verdünnungen der Schallwellen genau entsprechende Stärke-Aenderungen eines ununterbrochenen Stromes, mit anderen Worten, durch Umwandlung der Schallwellen in Stromwellen, zu erzielen sei. Dieses für die Entwicklung des Fernsprechwesens so hochwichtige Prinzip zuerst erkannt und zur Vervollkommnung des Telephons benutzt zu haben, ist das Verdienst des Amerikaners Graham Bell. Und so sehen wir den „Fernsprecher“ im Jahre 1876, zwei Jahre nach dem Tode unseres Reis, zuerst durch Bell und ein Jahr später durch E. Hughes und R. Lüdtge, die Erfinder des Mikrophons, mit großartigem Erfolg praktisch durchgeführt. Nichtsdestoweniger ist und bleibt das Telephon auch als Fernsprecher deutschen Ursprungs. Denn daß dem Urheber der Erfindung die Uebermittlung der Sprache nicht allein als Möglichkeit vorgeschwebt hat, sondern daß sie ihm tatsächlich gelungen ist, dies haben, wie oben bereits nachgewiesen, glaubwürdige Zeugen öffentlich bestätigt. Graham Bell, welcher das Reis’sche Telephon genau kannte, hat sich in seinem englischen Patent selbst nicht als Erfinder bezeichnet, sondern nur den Anspruch erhoben, die Erfindung verbessert zu haben.

Dadurch ist allen Bemühungen, von welcher Seite sie kommen mögen, Philipp Reis die Priorität der Erfindung abzusprechen und sie Graham Bell zuzuwenden, von vornherein die Grundlage genommen.

Nachdem wir oben einen ununterbrochenen, gleichsam als Abbild der Schallwellen auf- und abschwellenden elektrischen Strom als wesentliche Bedingung für die getreue Uebermittlung der Sprache bezeichnet haben, liegt die Frage nahe, wie denn das Reis’sche Telephon mit seinem aussetzenden Strom Worte oder Sätze überhaupt mit genügender Deutlichkeit wiedergeben konnte. Hierfür giebt Thompson folgende Erklärung. Nach seiner Auffassung bestand bei dem Reis’schen Sender die Thätigkeit des sogenannten Unterbrechers nicht in Stromunterbrechungen und Stromschlüssen im strengen Sinne des Wortes, sondern in der den Membranschwingungen proportionalen Aenderung der Stromstärke mittels eines im Stromkreise angebrachten losen, veränderlichen und regulierbaren Kontaktes. Dadurch wurde der Strom in einen „undulatorischen“, d. h. einen anschwellenden und

  1. Thompson, „Ph. Reis, Inventor of the Telephone“. S, 112 und 113.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_238.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)