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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


siehst ihn? – und sprechen Recht und Urtel – für die Katz’!“ Der Kohlmann lachte zornig. „Das einzig’ Recht im Gadem ist allweil, was dem Wazemann und seinen Buben taugt!“

„Das soll sich wenden!“ sagte Eberwein mit ruhigem Wort. „Zeige mir Wazes Haus!“

„Schau, dort, wo aus dem Schönsee der endsmächtige Berg aufsteigt, der größt’ von allen, der mit dem weißen Schneekittel – König Eismann heißen ihn die Leut’ oder Wazemanns Bannberg – da schiebt sich aus dem Buchwald eine Nas heraus, die heißt der Falkenstein, da schaut ein spitziges Dach und ein Mauerturm über die Buchengirbel. Das ist Wazemanns Haus!“

Eberwein erhob sich und deckte, in die Ferne spähend, die Hand über die Augen. „Wenn meine Klause steht, soll der Weg nach diesem Haus der erste sein, den ich suche.“ Er bückte sich und nahm seinen Bergstock auf. „Komm, Eigel, wir gehen zu Thal!“

Als sie, von der schroffen Zinne niedersteigend, um die Felswand bogen, öffnete sich vor ihnen ein weiter Ausblick gegen Westen.

„Alles noch Dein Land!“ sagte der Kohlmann, mit dem Bergstock deutend. „Schau, neben dem König Eismann, da liegt ein langes langes Thal und in dem Thal ein See, der größt’ von allen, den heißen die Leut’ den Windachersee. Und über dem Thal drüben – siehst die zwei hohen Berg’? – die heißen der Steinberg und der Schneekalter. Und hinter denen liegt wieder ein Thal und wieder ein See; der hat keinen Namen, die Leut’ sagen nur: ‚der hinter’ See‘. Die Achen, die aus ihm herausläuft, das ist ein böses Wasser! Wenn Wetter losbrechen und viel Regen fallt, treibt der Bach allen Rams[1] mit her, der von den Bergen herunterbröselt. Davon heißt das Thal auch die Ramsau. Wohl wohl, Herr, und in dem Thal, da hausen die besten Christenleut’. Freilich, die haben gut fromm sein, bei denen sitzt ein Pfarrherr. Hiltischalk heißt er.“

„Ein Leutpriester in der Ramsau?“ rief Eberwein, freudig betroffen von dieser Nachricht.

„Jung ist er freilich nimmer, aber ein gutes freundliches Mandl. Und alle Leut’ haben ihn gern . . .“ Eigel verstummte und hob lauschend den Kopf. Auch Eberwein horchte auf. „Was war das?“ fragte er. Es hatte geklungen wie der wild jauchzende Aufschrei einer weiblichen Stimme.

Sie spähten umher. „Dort, Herr, schau!“ stotterte der Kohlmann und deutete nach den dichten Krummföhrenbüschen, welche zwischen der kahlen Felswand und dem tiefer liegenden Almfeld den Berghang bedeckten. Ein mächtiger Bartgeier schwebte langsam, mit klatschendem Flügelschlag, über die Büsche hin; das zappelnde Gemskitz, das er in den Fängen hielt und hinwegschleifte über die schwankenden Aeste, erschwerte seinen Flug. Doch mit jedem Schwingenschlag strebte er höher und gewann schon die freie Luft. Da tauchte unter den Büschen am Saum des Almfelds eine Reiterin auf; rötliches Haar umflatterte den Nacken; das jagende Roß schien nur ihrem Ruf zu gehorchen, denn sie führte keinen Zügel, sondern hielt in erhobenen Armen den gespannten Bogen mit aufgelegtem Pfeil. Nun plötzlich stand das Roß, einen Augenblick erschien die Gestalt des jungen schönen Weibes regungslos, wie aus Erz gegossen – dann schwirrte mit hellem Klang die Bogensehne.

Der Geier machte eine jähe Schwenkung im Flug und ließ die Beute fallen, laut klagend raffte das gestürzte Tierchen sich auf, taumelte hin und her und verkroch sich zwischen die Büsche; der Geier schwankte und gaukelte in der Luft, er mußte tödlich getroffen sein; mit aller Kraft noch kämpfte er gegen den Sturz, doch immer matter wurden seine Schwingen, immer tiefer ging sein Flug, nun verschwand er im schrägen Niedergleiten hinter einer Wölbung des Almfelds – und hinter ihm her, mit jauchzendem Schrei und wehendem Haar, jagte die Reiterin, mit so wilder ungestümer Hast, daß es Sprung um Sprung den Anschein hatte, als müßte das Roß sich überstürzen auf dem steinigen Hang. Aus den Büschen kamen zwei weißgefleckte Bracken hervorgeschossen und suchten mit heiserem Gekläff den Weg, auf dem ihre Herrin verschwunden war.

Eberwein stand und streifte mit der Hand über die Augen. Den Herzschlag lähmend und jeden Nerv erregend, wie ein toller Spuk, war das wildschöne Bild dieser seltsamen Jagd an ihm vorübergeflogen. „Eigel! Wer war dieses Weib?“

„Die rote Recka war es, Wazemanns Tochter. Sieben Söhn’ hat er und diese einzige Dirn’. Aber die Leut’ sagen, sie wär’ kein richtiges Menschenkind. Ihr Vater ist freilich ein Mensch – und was für einer! – aber ihre Mutter wär’ eine Alfin gewesen! Und ich glaub’s auch! Denn die Dirn’ hat Feuer und Luft im Blut. Wie verwachsen ist sie mit ihrem Roß. Für die ist kein Wald zu schiech und kein Berg zu hoch, überall kommt sie hin, als hätt’ sie Flügel am Leib wie eine Walmaid!“

Eberwein schüttelte seufzend den Kopf. „Wute und Walmaid und Alfin – fast hab’ ich noch kein ander’ Wort von Dir gehört! Eigel, Eigel, mit Deinem Christentum ist es schlecht bestellt!“

„Wohl wohl, Herr, kannst schon recht haben!“ meinte der Kohlmann kleinlaut. „Aber wo soll ich denn ein besseres hernehmen? In die Ramsau und nach der Salzaburg ist mir der Weg zu weit, und was einer im Gadem von Wazemann und seinen Buben lernt, das ist alles eher, mein’ ich, nur kein Christentum. Aber komm, Herr – schau, wie hoch schon die Sonn’ steht – wir müssen uns tummeln, daß wir rechterzeit wieder hinunterkommen ins Thal.“

Eigel bahnte den Weg durch die dichten Föhrenbüsche, und Eberwein folgte ihm. Als sie das offene Almfeld erreichten und den Ueberblick über den weiten Hang gewannen, blieb Eberwein stehen und spähte umher. „Ich sehe sie nicht mehr. Sie muß den Wald schon erreicht haben.“

„Wen meinst? Ach so, die Rote!“ Der Kohlmann lachte und schaute mit blinzelnden Augen zu seinem Begleiter auf. „Herr, nimm Dich in acht vor der! Und wenn sie Dir wieder begegnet, dann schau Dich nicht um nach ihr! Weißt, so ein Blick über die Achsel, der hat schon diemal recht schieche Sachen angerichtet.“

Eberwein furchte die Brauen, und fester schloß sich seine Hand um den Stab. „Ich wollte, sie träte mir noch heute in den Weg. Ich hätte Lust, ihr eine Botschaft aufzutragen an ihren Vater.“

Eine tiefe Mulde nahm die Wanderer auf. Als sie wieder den höheren Grund erreichten, lag ein Haufe verkohlten Gebälks vor ihnen. „Eigel! Was ist hier geschehen?“

„Da hat der Gernreuter, der drunten beim Albenbach hauset, seine Albhütte stehen gehabt. Aber die Wazemannsbuben haben gemeint, daß dem Gernreuter sein Vieh den Hirschen zu viel Gras wegfrißt, und drum haben sie den roten Hahn auf die Hütte gesetzt. Im letzten Sommer war’s. Drei Stückl Vieh und dem Gernreuter sein Weib, die heroben gesennet hat, sind mitverbronnen.“

Eberwein stand mit erblaßtem Gesicht und starrte den Kohlmann an. „Und das habt Ihr geschehen lassen, Ihr im Gadem? Und da es geschehen war, habt Ihr nicht Klage geführt?“

„Wohl wohl, Herr! Der Gernreuter hat geklagt. Und auf dem Jahrthing zu Grafengadem hat der Sulzbacher Herr das Urtel gesprochen. Herr Waze hat Wehrgeld zahlen müssen für das Weib – und alles ist gut gewesen! Alles gut!“ Des Kohlmanns Augen funkelten, und unter seinen Händen knirschte der Bergstock.

„Eigel!“ Eberweins Stimme zitterte.

„Und weißt Du, Herr, was die Leut’ sagen? Sie sagen, es wär’ gar nicht hergegangen um das Gras für die Hirschen und Gemsen – es wär’ eine Rach’ gewesen an dem Weib. Bei der sind die Wazemannsbuben an die Unrechte gekommen. Den einen hat sie mit der Faust ins Gesicht geschlagen, und den andern hat sie über die Hausgräd hinuntergeworfen, daß er das blaue Mal im Gesicht drei Wochen lang herumgetragen hat. Wären nur alle, wie die gewesen ist! Dann hätt’ das Treiben im Gadem bald ein End’! Aber so! Kein Weib ist sicher! Jede Mutter, die ein Dirndl hat, das sich sauber anschaut, muß zittern vor jeder Stund’!“

Es währte eine Weile, bis Eberwein Worte fand. Er faßte den Arm des Kohlmanns und schüttelte ihn. „Eigel, Eigel – kann es denn Wahrheit sein, was ich höre?“

„Wahrheit, Herr? Als ob ich’s nicht erfahren hätt’ an mir selber! Weit über die dreißig Jahr’ mag’s her sein, da hab’ ich . . . hab’ ich eine Dirn’ gekannt“ – die Stimme des Kohlmanns schwankte, daß die Worte kaum verständlich waren – „ein Gesichtl hat sie gehabt so warm und lichtscheinig wie Rötelstein, wenn die Sonn’ drauf liegt. Und sauber gewachsen wie ein jung’s Bäuml, und Haar’ wie der Hanf so goldig. Und hast ihr in die Augen geschaut, so hast gemeint, Du schaust ins blaue Himmelreich. Und so gut ist das Dirndl gewesen, so brav und gradschlächtig! Und ihre Lieb’ zu mir ist all ihr Um und Auf gewesen. Auf Sonnwend, Herr, da hab’ ich ihr zum Herdverspruch den beinernen Armreif angelegt, den meine Mutter getragen

hat . . . und die ander’ Woch’ darauf hätten wir heuern


  1. Schutt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_007.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)