Seite:Die Gartenlaube (1894) 061.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Der Baron fuhr zusammen, und die Hand, die auf der Tischdecke lag, zitterte. Ilse neigte sich über diese zitternde Hand und küßte sie. Armin legte leise einen Arm um seines Vaters Schulter. „Solche Kinder heimatlos machen, sie enterben müssen!“ rief Doßberg, in plötzlich ausbrechendem Jammer. „Solche Kinder!“

„Nein, nein. Papa – nicht so! Nicht so aufgeregt, es schadet Dir! Sag’ uns alles! Dir ist ein Käufer vorgeschlagen durch den Justizrat? Wer ist es? Kennst Du ihn?“

Der Baron machte ein verneinendes Zeichen. „Ich war neulich bei Sorau; ich hatte zuvor meine Verhältnisse genau geprüft und wußte, mir war nicht mehr zu helfen. Ich weihte Sorau ein und sagte ihm, er möge sich unter der Hand nach einem Käufer umschauen; allerdings müsse ich meine Bedingungen stellen. Meine Gattin, Eure arme Mutter, dürfe von der bevorstehenden Veränderung nicht betroffen werden, dürfe, wenn es irgend moglich sei. gar nichts davon erfahren. Sie müsse daher auf dem Gut bleiben. ihre Zimmer lägen abgesondert von der ganzen Flucht der Hauptgemächer in einem Seitenflügel – und solange Eure Mutter lebe. müsse der neue Besitzer auch uns gestatten, bei ihr zu bleiben. Wir würden mit wenigen Zimmern in demselben Seitenflügel vorlieb nehmen ...“

Armin wollte auffahren, Ilse legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm.

„Ich – ich wußte mir nicht anders zu helfen,“ murmelte Doßberg verzweifelnd.

Eine bange Stille. Durch das Epheulaub, das sich in einem vergoldeten Gittergeflecht innen am Fenster emporrankte, fielen tanzende Lichter in das helle freundliche Zimmer, draußen auf dem breiten Fenstersims zwitscherte ein Stieglitz aus heller Kehle, und Ilses Kanarienvogel machte schüchterne Versuche, dem musikalischen Kollegen da draußen zu antworten.

Aus dem wird nichts!
Nach einem Gemälde von Emanuel Spitzer.
Photographie im Verlage der Photographischen Union in München.

Ilse hatte den Kopf in die Hand gestützt; sie wußte es nicht, daß Thräne um Thräne über ihre Wangen rollte – ihr war unsäglich weh ums Herz. Verstoßen aus der lieben alten Heimat, aus Barmherzigkeit vielleicht geduldet von dem fremden Besitzer, sie selbst samt ihrem Vater in ein unentwirrbares Netz von Ausflüchten und Unwahrheiten verstrickt gegenüber der kranken Mutter, die immer und überall die Ahnungslose bleiben sollte – wie würde ein solches Leben zu ertragen sein? Ach, und das eine noch, das Schwerste – ihr süßes und doch so trauriges Herzensgeheimnis, das nun auf unabsehbare Zeit ein Geheimnis bleiben mußte, da sie die Ihrigen jetzt unmöglich verlassen durfte! Wie sollte sie all das durchkämpfen, wie den ungeduldigen leidenschaftlichen Geliebten beschwichtigen, dem das eine Jahr, das vor ihnen lag, schon ein unerträgliches Hindernis schien, der nach Ablauf dieses Jahres sicherlich jede Schwierigkeit mit Ungestüm aus dem Wege räumen würde, um sich sein „gutes Recht“ zu holen! Welch ein Abschied stand ihr bevor, welch eine Zeit trostloser Oede! Und wenn sie dann an den armen Knaben, ihren Bruder, dachte, dessen ganze Seele an seinem künftigen Beruf, an diesem Besitztum hing, dann wurde ihr das Herz doppelt schwer und ein schwarzer Schatten schien sich langsam und unabwendbar herabzusenken auf ihr junges blühendes Leben.

Zuletzt brach Armin das trostlose Schweigen. „Könnte Onkel Erich nicht helfen, Papa?“

Doßberg schüttelte den Kopf.

„Ist Onkel Leupold nicht reich?“

„Nein, Kind, das ist er nicht. Erich war von Hause aus arm und hat sich allmählich ein Vermögen gesammelt, von dessen Zinsen er anständig leben kann – das ist alles. Hilfe – für die ist es jetzt zu spät. Freilich, ich hatte immer noch Pläne“ – unwillkürlich sah der Baron zu Ilse hinüber – „Pläne, die ich später zu verwirklichen hoffte, aber die Zeit drängt, und Eure arme Mutter – wie könnte ich sie mit Ilse zusammen verlassen?“

„Mit mir zusammen, Papa? Aber warum denn das?“

Doßberg strich mit der Hand kosend über das schöne Goldhaar seiner Tochter. „Ich hatte so meine stolzen Pläne mit Dir, Liebling, in aller Stille. Das ist zu Ende. Wenn es sich bestätigt, daß der Käufer sicher, das heißt zahlungsfähig ist und auf meine sonstigen Bedingungen eingeht, dann – dann muß ich –“

„Vielleicht irrt sich aber der Justizrat!“ fiel Armin hastig ein.

„Das glaube ich nicht. Sorau ist sehr vorsichtig, ein gewiegter erfahrener Geschäftsmann; er würde mir niemals dies Telegramm geschickt haben, wenn er des Käufers nicht sicher wäre.“

„Und Du willst hier auf dem Gut bleiben, Papa, und zusehen, wie ein Fremder hier schaltet und waltet?“ fragte Armin bitter. „Das hältst Du nicht aus, Papa!“

„Ich glaube, ich halte es noch weniger aus, fern von dem

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_061.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2019)