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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Nachbarin, der Baronin Ciancio in Poiera, um am nächsten Morgen zur Besichtigung seiner Felder zurückzukehren. Diesmal begleiteten ihn vier bewaffnete Campieri. Er war noch nicht weit gekommen, als ihm sechs Reiter auf trefflichen Tieren den Weg versperrten. Die Campieri waren rasch entwaffnet und geknebelt, der Baron wurde in die Mitte genommen. Er hatte kein Geld bei sich und die Briganten führten ihn kecklich vor das Hans der Baronin Ciancio, die als Loskaufssumme 50000 Lire zum Fenster hinauswarf. Diese Summe wurde als zu klein befunden, so stürmten die Briganten in das Haus, erbrachen Thüren und Schränke und brachten endlich 110000 Lire zusammen. Damit erklärten sie sich vorläufig zufriedengestellt, ließen den Baron los und verabschiedeten sich von ihm mit ehrerbietigem Handkuß. Die Ausführung oder richtiger Aufführung hatte von früh 8 bis nachmittags 4 Uhr gedauert und war so ziemlich glatt (sogar mit Frühstück) verlaufen, bis auf einen eigenartigen Zwischenfall. Bei der Baronin zurückgeblieben war der vierzehnjährige Sohn Spitalieris. Als er vom Balkon aus seinen Vater in den Händen der Räuber sah, schoß er unter die Bande – eine kindliche Thorheit, die ihn beinahe teuer zu stehen gekommen wäre, denn fünf Schüsse wurden auf ihn abgegeben, von denen einer ihm die Haare versengte. Uebrigens waren die Briganten selbst über diese That erstaunt und umarmten und küßten später den jugendlichen Helden zum Zeichen der Bewunderung.

Nächtlicher Kaffeeschank in Berlin.
Nach einer Originalzeichnung von W. Zehme.


Schwerer ist der folgende Fall, der sich in der Provinz Palermo, in der Nähe der schönen Kreisstadt Termini Imerese, zutrug. Er gestattet auch Einblick in den wohlorganisierten „Manotengolismo“, den Helfershelferdienst, dem selbst Priester angehören.

An einem Maientage des Jahres 1892 ging der Kavalier Filippo Arrigo, ein schöner starker und wohlgelittener Mann und Großgrundbesitzer, mit seiner Familie zur Villeggiatura auf sein Landgut. Am 25. Mai stand er um fünf Uhr früh auf, ließ sich durch den Inspektor ein Pferd satteln, um auf eine andere Besitzung zu reiten, und führte, außer dem Inspektor, noch seinen vierzehnjährigen Sohn Francesco auf einem Esel mit. Nach Erledigung der Geschäfte nahm Signor Arrigo, da es die Zeit des Wachtelstrichs war, die Flinte und wanderte ein wenig durch die Saatfelder. Er traf auf zwei andere Jäger, die ihn grüßten und weitergingen, dann stieß er wieder mit seinem Sohne und dem Inspektor zusammen. Da, vor der Oeffnung eines Thälchens, entdeckte der Inspektor plötzlich fünf Carabinieri. Hierbei war freilich nichts Auffälliges, denn bei den unsichern Zeitläufen hatte diese Waffe in zahlreichen Streifwachen die Campagna abzusuchen.

Die Carabinieri kamen langsam näher und der Wachtmeister grüßte höflich: „Guten Tag, Herr Arrigo. wie geht’s?“ In diesem Augenblick traten weitere drei Personen an die Gruppe heran, sie hatten durchlöcherte Taschentücher vor dem Gesicht, und nun wußte Herr Arrigo, woran er war: die vermeintlichen Carabinieri waren


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_093.jpg&oldid=- (Version vom 25.10.2019)