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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


„Laß Du die Krax’ in Ruh’!“ fiel der Bauer hastig ein. „Die besorg’ ich schon selber. Geh’, Bub’, geh’!“

Ruedlieb fragte nicht mehr; er schaute mit bekümmertem Blick seinem Vater ins Gesicht, dann wandte er sich zögernd ab und ging ins Haus. Als er drinnen in der Flurstube auf dem niederen Herdrand saß und die Riemen der Bergschuhe knüpfte, konnte er durch die offene Thür sehen, daß der Köppelecker den Hof betrat, mit einem Pack auf der Schulter. Der Schönauer redete mit dem Nachbar; dann ging der Köppelecker mit seinem Pack wieder davon. Der Reihe nach kamen auch die andern: der Kirngasser und Bärenlochner, einer der Winklerbuben, der Schwaiger und Waldhauser - der Schönauer redete mit ihnen, und da trug ein jeder wieder heim, was er gebracht hatte. Der Kaganhart blieb aus - er war wohl mit seinem Weib nicht auf gleiche Meinung gekommen. Einer aber erschien, den der Schönauer gar nicht erwartet hatte: Eigel, der Kohlmann.

„Hast gehört, Richtmann, hast das Glöckl gehört?“ fragte der Alte mit erregten Worten und deutete mit seinem Stecken gegen den Lokistein.

Der Schönauer nickte. „Deine Kohlstatt liegt nicht weit vom Stein ... Du bist wohl gleich drauf zugelaufen, gelt?“

„Das kannst Dir denken!“

„Und warum kommst zu mir?“

Der Kohlmann faßte den Schönauer am Arm und dämpfte die Stimme. „Sie haben schon einen Ring gezogen um den Stein.“

„Wer?“

„Die Wazemannsbuben. Auf jedem Weg zum Lok’stein ist einer dagestanden vor mir, auf der Untersberger Seit’ der Rimiger, hinter dem Kälberstein sein Bruder Sindel ... und wie ich mich von der Thalseit’ hab’ hinschleichen wollen, hab’ ich den Hartwig reiten sehen im Gehölz. Sie liegen um den Lok’stein herum wie die Wölf’ um den Geißstall.

„Hat Dich einer gesehen?“

„Der Sindel.“

„Aber ich hoff’ doch, Du hast leere Händ’ gehabt?“

„Warum?“

„Sei froh! Sonst hätt’ Herr Waze heut’ nacht geträumt von Dir! Komm, Eigel ... ich erzähl’ Dir ’was!“ Sie gingen den Eichen zu und fetzten sich auf die Steinbank.

Ruedlieb konnte sehen, daß sein Vater lange Zeit allein sprach; dann erwiderte der Kohlmann mit erregten Gebärden, als möchte er die Meinung bestreiten, die er hörte; aber der Schönauer schüttelte immer wieder den Kopf. Als nun der Bub’, für die Bergfahrt gerüstet, zu den Eichen kam, erhob sich der Schönauer und sagte zum Kohlmann. „Laß gut sein, Eigel, das reden wir zwei nicht aus miteinander! Bring’ alles vor beim Thing ... dann wirst ja hören, was die andern sagen.“ Er wandte sich zu Ruedlieb. „Wart nur bei der Hausthür, Liebli, ich komm’ gleich.“

Ruedlieb nickte dem Kohlmann einen Gruß zu und ging zur Hausbank. Da zog der Schönauer sein Messer aus dem Gürtel und gab es in Eigels Hand; es hatte einen Griff aus Horn mit eingeritzten Zeichen. „Heut’ über drei Nächt’, wenn Vollmond einsteht. Kommst aus mit der Zeit?“

„Wohl wohl!“ sagte der Kohlmann und verwahrte das Messer. „Heut’ lad’ ich über die Schönau hinaus in die Ramsau, über Schwarzeck und Winkel zurück ins Engedein. Morgen über Unterstein auf die Alben und über den Jennar und Göhl wieder heimzu bis zum Vorderecker. Und am dritten Tag vom Greinwalder hinaus zum Gernroder, und über die Metzenleit und Aschau herunter in die Strub.“

„Lad’ nur wortfeste Leut’, die Unsicheren laß aus!“

„Wohl wohl!“

„Und in der Ramsau geh’ vorbei am Hiltischalk!“

Eigel schaute betroffen auf. „Richtmann! Ich mein’ doch, der Hiltischalk müßt’ dabei sein zu allererst!“

„Thu’, was ich sag’!“

„Wohl wohl, Du bist der Richtmann, Du wirst ja wissen, warum. Heut’ über drei Nächt’, wenn Vollmond einsteht.“. Sie reichten sich die Hände und gingen dem Haus zu. Da hörten sie plötzlich ein dumpfes Rollen, es klang wie ferner Donner. Sie blieben stehen und blickten zum Himmel auf. Aber kein Wölklein trübte das reine Blau, und alle Bergspitzen waren nebelfrei. Eine Magd kam aus der Stallthür gelaufen, schaute verwundert umher, schüttelte den Kopf und verschwand wieder.

„Vater,“ rief der Bub’, „was war denn das?“

„Ich weiß nicht. Es hat gedonnert, und ich seh’ doch kein Wettergewölk.“

Da sagte der Kohlmann mit langsamen Worten. „Richtmann, ich mein’, es wär’ gar nicht in der Luft gewesen, sondern in der Erd’!“

„Was Dir nicht einfallt!“ Der Schönauer schüttelte den Kopf. Nun standen sie alle schweigend und lauschten; doch in den sonnigen Lüften störte kein Laut mehr die Stille. „Es muß wohl hinter dem Eismann ein Wetter liegen ... und die Tauern haben aus der Fern’ her den Donnerhall hereingeworfen ins Thal.“

„Meinst?“ sagte Eigel. „Dann müßt’ das Wetter kommen auf die Nacht. Wir haben Tauernwind[1]. Der müßt’ die Wolken hertreiben über den Eismann. Da darf ich schauen, daß ich den Weg hinter die Füß’ krieg’.“

„Zeit lassen!“ grüßte der Schönauer.

„Zeit lassen auch!“ nickte der Kohlmann und ging.

Zwischen Wiesen und Feldern, auf denen der Sommerroggen, reif zum Schnitt, dünn und mit mageren Aehren stand, wanderte Eigel dem nächsten Hag entgegen. Vor dem Thor, inmitten einer Wiese, schwang der Köppelecker die Sense. Eigel ging auf den Bauer zu, zog des Richtmanns Messer aus der Kotze, drückte dem Köppelecker das Heft an die Brust und sagte. „Heut’ über drei Nächt’, wenn Vollmond einsteht! <poem> Fehl’ nicht! Thu’ nach Deiner Mannspflicht! Laß Dich nicht halten von Wetter und Wind, Von Weib und Kind, Laß Dich nur halten von Wassersnot, Von Feuer und Tod!“</poem

Der Köppelecker legte die Hand an das Messer. „Heut’ über drei Nächt’, wenn Vollmond einsteht. Ich hab’s gehört und schweig’. Fahr’ weiter, Thingbot’!“ Eigel nickte und ging seiner Wege. Auf schmalem Pfad, zwischen dichten Hecken, kam ihm der ältere der Hanetzerbuben entgegen. Eigel blieb stehen und hob die Hand nach dem Messer; doch er ließ sie wieder sinken. „Zeit lassen, Hanetzer! Wohin so flink?“

„Nach meiner Alben hinauf. Und Du?“

„Meiner Arbeit nach!“ sagte Eigel und ging vorüber.

„He, Du!“ rief der andere ihm nach. „Hast vor einer Weil’ das Brummen nicht gehört?“

„Wohl wohl!“

„Was war denn das?“

„Ein Wetter kommt!“

Der Hanetzer blickte zum blauen Himmel auf und lachte. „Möcht’ wissen, woher!“

Der Kohlmann zuckte die Achseln und wanderte weiter. Beim Kaganhart fand er das Hagthor verschlossen. Er lud den Kirngasser und Bärenlochner, die Winklerbuben, den Schwaiger und Waldhauser. Beim Kinill und Grünsteiner ging er vorüber. Als er den Urstaller geladen hatte, stieg er über den Hang eines waldigen Hügels empor und kam zu einem halb zerfallenen Hag. Schief hing das Thor in den Weidenringen und dichtes Unkraut wucherte im Hof. Ein verschobenes, von Lücken klaffendes Strohdach deckte die morsche Hütte, deren faulendes Gebälk schon in allen Fugen gelockert war. Wo einst der Stall gestanden, lag ein wüster Haufe von Asche und halbverbrannten Balken. Neben dem verwahrlosten Gärtlein ragten fünf Eichenstrünke aus der Erde; die jungen Stämme waren mit der Axt gefällt und lagen dürr mit gebrochenen Aesten. Eine einzige Eiche, fast hundertjährig, stand noch zwischen den Strünken; ihr Wipsel war verdorrt, und die von schmarotzendem Moose fast erstickten Aeste trugen nur noch einzelne Büschel braungrünen Laubes; der Baum krankte an den tiefen Kerben, die seinem Stamme eingehauen waren; neben der Eiche, mit einem Hanfseil noch an den Stamm gebunden, lag eine tote, von einem Fliegenschwarm umsummte Ziege.

Inmitten des Hofes stand ein Baum in vollem Grün, ein Apfelbaum mit zahlreichen Mistelbüschen; doch hingen nur wenige Früchte noch an seinen Zweigen - der Sturm der vergangenen Nacht hatte Ernte gehalten und die unreifen Aepfel heruntergeschüttelt in das Unkraut. Im Schatten des Baumes saß der alte Gobl, mit dem Rücken an den Stammn gelehnt, das weißbärtige

Kinn auf der Brust, die welken Hände im Schoß. Eigel trat

  1. Tauernwind = Südwind, der über die Tauern (Berge) kommt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_118.jpg&oldid=- (Version vom 17.5.2020)