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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

unter dem Eingang stehen und ließen bewundernde Blicke umherschweifen. Und nun gar der weite pomphafte Festsaal selbst, vom Goldglanz zahlloser Wachskerzen erhellt, mit schönen alten Gobelins geschmückt, die Decke in Felder von Weiß und Gold geteilt! Im Musiksaal prachtvolle Fresken an den Wänden, der Fußboden in kunstreicher Mosaik ausgelegt, die Decke mit reizenden Genien bevölkert, die Geigen, Klarinetten und Flöten in den kleinen Händen hielten und Miene machten, lachenden Gesichts an den Wänden herabzuklettern, sich unter die Menschen zu mischen, die dort unten froh sein sollten. Wohl war es schön im alten Schloß zu „Perle“, und Clémence hatte die Genugthuung, immer von neuem staunende Blicke aufzufangen, bewundernde Worte zu vernehmen. Sie hatte ein kostbares bläulich schimmerndes Brokatkleid, mit Silber durchwirkt, angelegt, die schwere Schleppe rauschte anspruchsvoll hinter ihr her, im Haar funkelte ein Brillantstern; an einer feinen Spirale angebracht, wiegte er sich wie launisch in dem Blondhaar hin und her, tauchte bei einer Kopfbewegung unter, kam neckend wieder zum Vorschein und warf verschwenderisch seine Strahlengarben hierhin und dorthin. Clémence kam sich überaus reizvoll vor in dieser Toilette; auf regelmäßige Schönheit erhob sie keine Ansprüche, aber sie fand sich apart und pikant – war das nicht mehr wert? Sie hielt ihren Botho fest am Arm und rauschte von einem zum andern, verbindliche Anreden und Begrüßungen austeilend.

Herr von Montrose bewillkommnete seine Gäste mit der ihm eigenen stattlichen Würde. Etwas von der „überfrorenen Höflichkeit“, deren Clémence einmal Erwähnung gethan, kam auch heute wieder zum Vorschein – es durfte sich aber niemand über ihn beklagen. Er wußte anteilvoll zu fragen, verbindlich zuzuhören, neue Ankömmlinge gut unterzubringen, die Gäste untereinander bekannt zu machen, mit einem Wort, er wurde allen gerecht, und Georges, wie er einmal neben Botho vörüberschlüpfte, murmelte diesem ins Ohr, daß „der Alte sich über Erwarten gut mache“.

Er hatte viel zu thun, der Sohn des Hauses. Ueberall sah man seine glänzende Uniform auftauchen, in der die geschmeidige Figur sich so wohlig bewegte. Hier einem Kameraden die Hand drücken. dort einer jungen Dame mit vertraulichem Lächeln ein Kompliment, ein Witzwort zuflüstern, sich da vor irgend einer gebietenden Mama tief verbeugen, die Hacken zusammengenommen, und die Hand der Dame ehrfurchtsvoll an seinen kleinen Schnurrbart führen – dies alles vollbrachte er binnen wenigen Minuten, behielt auch noch Zeit, mit Blicken Unheil anzurichten ... recht, wie ein Fisch in seinem Element bewegte er sich, und es gefiel ihm gar nicht schlecht, sich von verschiedenen Seiten als künftigen Besitzer von „Perle“ beglückwünschen zu lassen. Es war am Ende doch kein so ganz übler Einfall von Papa gewesen, das Ding zu kaufen! Aber dazwischen quälte ihn immer wieder die prickelnde Ungeduld: wo bleibt „sie“? Die Stunde rückte vor, Gast auf Gast stellte sich ein, und Ilse, die nur wenige Minuten zu gehen hatte, kam immer noch nicht! Schützte sie am Ende im letzten Augenblick wieder die kranke Mutter vor und erschien gar nicht? Nein, diese Beleidigung konnte man dem „Haus Montrose“ nicht anthun, daran war nicht zu denken!

„Ich meine, Georges, es wäre nachgerade Zeit, zu Tisch zu gehen,“ sagte Clémence leise zu ihrem Bruder, als er wieder einmal in ihre Nähe kam.

„Ach, kein Gedanke! Ist ja noch viel zu früh! Fehlen ja noch - hm - allerlei Leute! Ich bitt’ Dich, Kind, gieb den Botho endlich frei, er kann sich wirklich nicht ein bißchen entfalten, Deine Schleppe wickelt sich ihm fortgesetzt um die Füße, er kann noch der Länge nach darüber stürzen.“

„Wird auch beim Tanzen später ungeheuer hinderlich sein!“ murmelte Botho gereizt und zerrte an seinem Bart.

„Ich dachte, mein Anzug gefiele Dir!“ Clémence sah kleinlaut auf ihre brokatene Pracht hinunter.

„Bis auf die Schleppe, gewiß! Aber wenn man doch tanzen will –“

„Den Walzer und den Kotillon mit Dir!“ flüsterte sie, sich zärtlich an ihn schmiegend; dann wieder zu Georges gewendet: „Wer fehlt denn noch? Botho und ich haben eben Rundschau gehalten und sind der Meinung, es sei alles von Belang versammelt.“

„So? Botho ist auch dieser Meinung? Muß mich wunder nehmen. Ich finde - ah!“ Georges hatte den Eingang des Saales im Auge behalten und sah jetzt einen vornehm aussehenden grauhaarigen Herrn eintreten, der ein weißgekleidetes Mädchen am Arm führte. Er war aber nicht der einzige, der das bemerkt hatte. Diejenigen von den Gutsnachbarn der Doßbergs, die heute hier anwesend waren – viel waren es nicht, die meisten hatten abgesagt – hatten teils mit Schadenfreude, teils mit Neugier, einige auch in wirklichem Mitgefühl des Augenblicks geharrt, da der ehemalige Besitzer von „Perle“ samt seiner Tochter hier im Schloß als Gast, als Fremder, als Untergebener erscheinen würde, hier, wo er noch vor kurzem Herr und Gebieter gewesen war. Georges von Montrose flog den beiden entgegen, jeder Zoll liebenswürdiger Kavalier. Wie das „süße Geschöpf“ nur wieder aussah in dem weißen Seidenkleid, das, im Rücken ausgeschnitten, den herrlichen Nacken frei ließ! Nur kleine Maiblumensträuße trug sie an der Brust und im Haar, aber wie dieses Goldgelock geordnet war, wie es im Kerzenlicht schimmerte – da „hörte einfach alles auf“!

Baron Doßberg sah blaß aus, aber er schritt hocherhobenen Hauptes, in stolzer, beinahe etwas herausfordernder Haltung vorwärts wie jemand, der sich kräftig gewappnet hat gegen alles, was über ihn kommen könnte. Seine Augen gingen im Kreise umher – Ilse hielt die ihrigen gesenkt. „Alles auf den Effekt berechnet,“ sagte sich Clémence voller Ingrimm; „sie weiß recht gut, daß sie lange dunkle Wimpern hat und daß die zu dem strahlenden goldblonden Haar einen auffallenden Gegensatz bilden!“ Schwer geärgert blickte sie zu Botho auf, aber Botho sah nicht so aus, als ob er ihre Empfindungen teilte. Und nun mußte auch sie, Clémence, noch die Zuvorkommende spielen und über die Maßen erfreut thun, daß Papas bezahlter Verwalter und dessen Tochter ihnen die große Ehre erwiesen, bei dem heutigen Fest ihre Gäste zu sein! Als Dame des Hauses kam es ihr zu, und überdies trug ihres Vaters Antlitz einen Ausdruck, da er jetzt mit Ilse vor sie trat, den sie nur zu genau kannte: mit diesem Ausdruck in den Augen hatte er seiner Tochter störrische und eigenwillige Natur bis jetzt noch jedesmal gemeistert, so sehr Clémence auch geneigt war, ihm Widerstand zu leisten.

„Willkommen, Baroneß Doßberg!“ sagte sie verbindlich und streckte Ilse die rechte Hand entgegen; mit der linken hielt sie ihren Botho fest.

„Darf ich mich Ihnen in Erinnerung bringen, Gnädigste?“ begann dieser und verbeugte sich so tief, daß die Angeredete seinen tadellosen Scheitel zu bewundern imstande war. „Ich habe nur äußerst selten den Vorzug gehabt und in letzter Zeit so ganz darauf verzichten müssen, Baroneß zu sehen, daß ich mich nicht beklagen dürfte, vollständig in Vergessenheit geraten zu sein!“

„Bewahre, Herr von Jagemann! Sie trauen mir ein schlechtes Gedächtnis zu. Es ist noch gar nicht so lange Zeit her –“

„Mir erscheint es so!“ warf Botho geschickt dazwischen; Clémence sah unruhig zu ihm auf.

„Du gestattest, Clémence! Ich möchte Baroneß Doßberg noch einigen Bekannten und Fremden zuführen – dann giebst Du wohl das Zeichen zu Tisch!“ sagte Herr von Montrose.

„Also richtig! Nur auf die haben wir gewartet!“ flüsterte Clémence, sobald ihr Vater mit Ilse außer Gehörweite war. „Daß die beiden so spät kamen, unser freiherrlicher Verwalter und sein gnädiges Fräulein Tochter, hatte wohl seinen guten Grund – man wollte Aufsehen erregen um jeden Preis! Das ist ihnen ja auch gelungen – sieh nur, sieh, wie sie alle sie angaffen, diesen Doßberg. der hier auftritt, als sei er Reichsfürst, und diese Ilse mit ihren Maiblümchen, die vielleicht andeuten sollen. daß sie all ihren Schmuck zum Wohl des edlen Hauses, dem sie entstammt, geopfert habe! Wenn mir etwas in tiefster Seele zuwider ist, dann ist es dieser Bettelstolz! Und sieh, wie sie alle lachen und freundlich sind! Excellenz Sonneberg katzenbuckelt bedenklich. und der junge Graf Röstem küßt ihr gar die Hand!“

„Sie sind Jugendgespielen!“

„So? Ich möchte doch wissen, woher Du das weißt! Was Dich das wohl angeht! – Wie mütterlich die Baronin Brobant sie umarmt! Ob der Landrat überhaupt noch einmal ihre Hand losläßt! Und Georges macht sich geradezu lächerlich, daß er den beiden auf Schritt und Tritt nachläuft!“

Herr von Jagemann hörte kaum hin. „Kind, weißt Du die Tischordnung?“ fragte er mitten in Clémences gereizte Auseinandersetzungen hinein.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_235.jpg&oldid=- (Version vom 20.4.2021)