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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

kleine bedruckte Zettel, auf denen eine alberne, aber meist sehr erfreuliche Prophezeiung zu lesen ist, die mit der Versicherung schließt: „Mit den Nummern 23, 65, 80 werden Sie Ihr Glück begründen.“

Die „Epileptische“.

In den Praterwirtshäusern, beim Heurigen und in den Vorstadtlokalen nimmt der Bettel die verschiedensten Gestalten an. Das Ausspielen von „Kipfeln“, das Anbieten von wertlosen Blumen, der Handel mit Zündhölzchen gehören zu diesem verschämten Bettel.

Die Speisung Armer wird nicht nur in vielen Familien gepflegt, es ist fast in jedem Gasthause Uebung, daß die Ueberreste des Tages an einzelne Hausarme verteilt werden. Größere Wirtschaften liefern diese Ueberbleibsel an die Kapuziner und Franziskaner ab. Und hier, vor der Klosterpforte der Franziskaner, kann man um die Mittagszeit die mannigfachsten Typen des menschlichen Elends beisammen sehen.

Die listigen Gaunerstückchen, mit denen wohlthätige Menschen zuweilen von arbeitsscheuen Geschöpfen in der oben geschilderten Weise geprellt werden, können mit einigem Humor verschmerzt werden, zumal der einmal Geprellte nicht leicht wieder in die Falle geht. Das allgemeine Mißtrauen aber schadet wieder häufig den wirklich Dürftigen. Viel ernster wird die Sache, wenn es sich um verkommene Existenzen handelt, welche die Maske des Bettlers nur so lange tragen, bis sich eine günstige Gelegenheit zu Gewaltakten findet. Und in dieser Beziehung hat die Wiener Chronik leider einige tragische Fälle aufzuweisen. Vor wenigen Jahren erst wurde ein angesehener Wiener Bürger in einem der belebtesten Stadtteile Wiens von einem Bettler in brüsker Weise angesprochen und, als ihm jener das Almosen verweigerte, von dem Strolch mit Messerstichen ermordet. In abgelegenen Straßen und auf großen, menschenleeren Plätzen ist es schon oftmals vorgekommen, daß ein Vorübergehender von einem zerlumpten und verwegen aussehenden Burschen in drohendem Tone aufgefordert wurde, einen größeren Betrag herzugeben. Wer läßt es in einem solchen Falle auf einen Messerstich ankommen! Man kauft sich los und ist froh, Gesundheit und Leben gerettet zu haben.

Ein ganz anderes Gesicht zeigt die Bettlerindustrie im großen. Das sind Leute, welche ihr Geschäft mit kaufmännischer Umsicht und Betriebsamkeit führen. Sie haben ihren Klientenkreis, der streng verbucht ist und dessen Eigenheiten und Wohlthätigkeitsneigungen aufs sorgfältigste geprüft werden. Mit den „Geschäftsfreunden“ stehen sie in lebhaftem Verkehr. Sie teilen ihnen die Adressen der Wohlthäter mit und empfangen dafür andere. Der Mann schreibt Bittgesuche an hohe und höchste Herrschaften, an Großkaufleute und bekannte Wohlthäter. Diese Gesuche sind oft Meisterstücke eines raffinierten Lügengewebes. Die Frau geht, anständig in Schwarz gekleidet, in die vornehmsten Häuser. Gelingt es ihr nur, vorgelassen zu werden, so ist sie ihres Erfolges sicher. Bei dem General ist sie eine Offizierswitwe und erzählt bis ins kleinste hinein die Schlacht, in der ihr „armer Mann“ fürs Vaterland gefallen ist. Bei der frommen Aristokratin ist sie ein Muster von Demut und Frömmigkeit, welches die von Gott auferlegte Prüfung mit Ergebung trägt. Baronin M. hat ihren einzigen Sohn verloren. Ihr erzählt das Weib eine herzergreifende Geschichte von ihrer einzigen Tochter, die durch ihre Künstlerhände Mutter und Geschwister erhält. Aber das schwache Kind droht den Anstrengungen zu erliegen. Sie ist blaß und hinfällig und hustet die ganze Nacht. Der Arzt schüttelt den Kopf. Nur ein Aufenthalt im Süden könnte sie retten. Das ist für so arme Leute ein Todesurteil. Das arme Kind muß sterben! Schluchzend sinkt sie auf die Knie und umklammert die Füße der Wohlthäterin. Die Mutter spricht zu dem Mutterherzen! Wer könnte in einem solchen Augenblicke hart sein? –

In einem Vorstadthaus wohnt ein armer Tagschreiber mit fünf Kindern im größten Elend. Aber er bettelt nicht. Seinen Zimmermieter scheint das Elend zu rühren; er wendet sich an

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_251.jpg&oldid=- (Version vom 26.6.2023)